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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Kirche seitab des ersten Dorfes auf der Straße nach
Berlin. Die Bewohner saßen beim Mittagsessen,
niemand außer dem Pfarrer und Küster harrte in dem
kleinen, öden Gotteshause. Faber hatte aus Schonung
für seine Braut um eine kurze Feier gebeten und so
beschränkte sich dieselbe nahezu auf die alte strenge,
lutherische Formel und den Segensspruch. Ohne
Sang und Orgelklang waren die Verlobten binnen
weniger Minuten Mann und Weib. Als die Ringe
von Neuem gewechselt wurden, die sie acht Jahre
lang getragen hatten, glitt der der Braut von der
schlaff herabhängenden Hand. Faber fing ihn auf
und steckte ihn an ihren Finger, den er von da ab
fest zwischen den seinigen gepreßt hielt. Sein Ja
schallte laut und freudig durch den Raum. Doro¬
theens Lippen bewegten sich nicht.

Schweigend führte Siegmund Faber seine junge
Frau bis an die Kirchhofspforte, winkte den Wagen
herbei und eilte zu geschäftlichen Abmachungen in die
Sakristei zurück. Die Eltern nahmen Abschied von
dem Kinde, das sie neben dem eignen von der Wiege
ab gehegt hatten.

"Gottes Segen über Sie, theure Dorothee, auch
im Namen unserer guten, fernen Hardine," sagte der

Kirche ſeitab des erſten Dorfes auf der Straße nach
Berlin. Die Bewohner ſaßen beim Mittagseſſen,
niemand außer dem Pfarrer und Küſter harrte in dem
kleinen, öden Gotteshauſe. Faber hatte aus Schonung
für ſeine Braut um eine kurze Feier gebeten und ſo
beſchränkte ſich dieſelbe nahezu auf die alte ſtrenge,
lutheriſche Formel und den Segensſpruch. Ohne
Sang und Orgelklang waren die Verlobten binnen
weniger Minuten Mann und Weib. Als die Ringe
von Neuem gewechſelt wurden, die ſie acht Jahre
lang getragen hatten, glitt der der Braut von der
ſchlaff herabhängenden Hand. Faber fing ihn auf
und ſteckte ihn an ihren Finger, den er von da ab
feſt zwiſchen den ſeinigen gepreßt hielt. Sein Ja
ſchallte laut und freudig durch den Raum. Doro¬
theens Lippen bewegten ſich nicht.

Schweigend führte Siegmund Faber ſeine junge
Frau bis an die Kirchhofspforte, winkte den Wagen
herbei und eilte zu geſchäftlichen Abmachungen in die
Sakriſtei zurück. Die Eltern nahmen Abſchied von
dem Kinde, das ſie neben dem eignen von der Wiege
ab gehegt hatten.

„Gottes Segen über Sie, theure Dorothee, auch
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[105/0109] Kirche ſeitab des erſten Dorfes auf der Straße nach Berlin. Die Bewohner ſaßen beim Mittagseſſen, niemand außer dem Pfarrer und Küſter harrte in dem kleinen, öden Gotteshauſe. Faber hatte aus Schonung für ſeine Braut um eine kurze Feier gebeten und ſo beſchränkte ſich dieſelbe nahezu auf die alte ſtrenge, lutheriſche Formel und den Segensſpruch. Ohne Sang und Orgelklang waren die Verlobten binnen weniger Minuten Mann und Weib. Als die Ringe von Neuem gewechſelt wurden, die ſie acht Jahre lang getragen hatten, glitt der der Braut von der ſchlaff herabhängenden Hand. Faber fing ihn auf und ſteckte ihn an ihren Finger, den er von da ab feſt zwiſchen den ſeinigen gepreßt hielt. Sein Ja ſchallte laut und freudig durch den Raum. Doro¬ theens Lippen bewegten ſich nicht. Schweigend führte Siegmund Faber ſeine junge Frau bis an die Kirchhofspforte, winkte den Wagen herbei und eilte zu geſchäftlichen Abmachungen in die Sakriſtei zurück. Die Eltern nahmen Abſchied von dem Kinde, das ſie neben dem eignen von der Wiege ab gehegt hatten. „Gottes Segen über Sie, theure Dorothee, auch im Namen unſerer guten, fernen Hardine,“ ſagte der

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/109>, abgerufen am 23.04.2024.