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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Ihr Gemüth erquicken wird. Ich bin ein alter Mann.
Meine Aufgabe ist, diesem Kinde, das zur Stunde
vielleicht auch die Mutter verloren hat, so weit meine
Kraft noch reicht, den Vater zu ersetzen."

Der alte Mann schwieg. Wenn Ihr aber glaubt,
daß sein Gleichniß vom Wasserborn, -- Feuer und
Flamme wie ich war, -- meinen Zorn gelöscht haben
sollte, nun, so irrt Ihr Euch. Oel hatte es in den
Brand gegossen. Ich kehrte dem gefühlvollen Schwäch¬
ling den Rücken, der ohne sich zu rühren, das Haus
seines Nachbars einäschern sieht und derweilen gemüth¬
lich die Bausteine für eine Hütte der Zukunft zu¬
sammenträgt.

Wir sprachen bis zur Zwischenstation kein weiteres
Wort. Der Probst saß mir still gegenüber, den Kopf
des schlafenden Knaben auf seinem Schoß. In mir
jagten sich die Gedanken. Was geschehen sollte, kam
ich noch zur rechten Zeit, was aus mir werden, kam
ich zu spät -- ich wußte es nicht.

Aus diesem Tumult weckte mich eine Bewegung
meines Begleiters, der während des Pferdewechsels sich
zum Aussteigen rüstete, um den Seitenweg nach seiner
Anstalt mit dem Knaben einzuschlagen. Ich merkte
die Absicht und sagte höhnend: "Sie schlucken Elephan¬

Ihr Gemüth erquicken wird. Ich bin ein alter Mann.
Meine Aufgabe iſt, dieſem Kinde, das zur Stunde
vielleicht auch die Mutter verloren hat, ſo weit meine
Kraft noch reicht, den Vater zu erſetzen.“

Der alte Mann ſchwieg. Wenn Ihr aber glaubt,
daß ſein Gleichniß vom Waſſerborn, — Feuer und
Flamme wie ich war, — meinen Zorn gelöſcht haben
ſollte, nun, ſo irrt Ihr Euch. Oel hatte es in den
Brand gegoſſen. Ich kehrte dem gefühlvollen Schwäch¬
ling den Rücken, der ohne ſich zu rühren, das Haus
ſeines Nachbars einäſchern ſieht und derweilen gemüth¬
lich die Bauſteine für eine Hütte der Zukunft zu¬
ſammenträgt.

Wir ſprachen bis zur Zwiſchenſtation kein weiteres
Wort. Der Probſt ſaß mir ſtill gegenüber, den Kopf
des ſchlafenden Knaben auf ſeinem Schoß. In mir
jagten ſich die Gedanken. Was geſchehen ſollte, kam
ich noch zur rechten Zeit, was aus mir werden, kam
ich zu ſpät — ich wußte es nicht.

Aus dieſem Tumult weckte mich eine Bewegung
meines Begleiters, der während des Pferdewechſels ſich
zum Ausſteigen rüſtete, um den Seitenweg nach ſeiner
Anſtalt mit dem Knaben einzuſchlagen. Ich merkte
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[98/0102] Ihr Gemüth erquicken wird. Ich bin ein alter Mann. Meine Aufgabe iſt, dieſem Kinde, das zur Stunde vielleicht auch die Mutter verloren hat, ſo weit meine Kraft noch reicht, den Vater zu erſetzen.“ Der alte Mann ſchwieg. Wenn Ihr aber glaubt, daß ſein Gleichniß vom Waſſerborn, — Feuer und Flamme wie ich war, — meinen Zorn gelöſcht haben ſollte, nun, ſo irrt Ihr Euch. Oel hatte es in den Brand gegoſſen. Ich kehrte dem gefühlvollen Schwäch¬ ling den Rücken, der ohne ſich zu rühren, das Haus ſeines Nachbars einäſchern ſieht und derweilen gemüth¬ lich die Bauſteine für eine Hütte der Zukunft zu¬ ſammenträgt. Wir ſprachen bis zur Zwiſchenſtation kein weiteres Wort. Der Probſt ſaß mir ſtill gegenüber, den Kopf des ſchlafenden Knaben auf ſeinem Schoß. In mir jagten ſich die Gedanken. Was geſchehen ſollte, kam ich noch zur rechten Zeit, was aus mir werden, kam ich zu ſpät — ich wußte es nicht. Aus dieſem Tumult weckte mich eine Bewegung meines Begleiters, der während des Pferdewechſels ſich zum Ausſteigen rüſtete, um den Seitenweg nach ſeiner Anſtalt mit dem Knaben einzuſchlagen. Ich merkte die Abſicht und ſagte höhnend: „Sie ſchlucken Elephan¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/102>, abgerufen am 29.03.2024.