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Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791.

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Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende
Klage vernehmen müsste, damit ihn nicht
der todte Buchstabe des Gesetzes, sondern
eigenes Gefühl und lebendiges Gewissen von
der Rechtmässigkeit seiner Urtheile über¬
zeugte? Wir bedauern den unsittlichen
Menschen, wenn die Natur ihn straft und
physisches Uebel über ihn verhängt; wir
suchen sein Leid zu mildern und ihn von
seinen Schmerzen zu befreien: warum darf
nicht Mitleid den Elenden erquicken, dessen
Unsittlichkeit den Arm der beleidigten Bür¬
gerordnung reizte? Ist der Verlust der Frei¬
heit kein hinreichendes Sühnopfer, und for¬
dert die strenge Gerechtigkeit noch die
Marter des Eingekerkerten? Mich dünkt,
die Abschaffung der Todesstrafen hat uns
nur noch grausamer gemacht. Ich will hier
nicht untersuchen, ob ein Mensch befugt
seyn könne, einem andern das Leben zu


Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende
Klage vernehmen müſste, damit ihn nicht
der todte Buchstabe des Gesetzes, sondern
eigenes Gefühl und lebendiges Gewissen von
der Rechtmäſsigkeit seiner Urtheile über¬
zeugte? Wir bedauern den unsittlichen
Menschen, wenn die Natur ihn straft und
physisches Uebel über ihn verhängt; wir
suchen sein Leid zu mildern und ihn von
seinen Schmerzen zu befreien: warum darf
nicht Mitleid den Elenden erquicken, dessen
Unsittlichkeit den Arm der beleidigten Bür¬
gerordnung reizte? Ist der Verlust der Frei¬
heit kein hinreichendes Sühnopfer, und for¬
dert die strenge Gerechtigkeit noch die
Marter des Eingekerkerten? Mich dünkt,
die Abschaffung der Todesstrafen hat uns
nur noch grausamer gemacht. Ich will hier
nicht untersuchen, ob ein Mensch befugt
seyn könne, einem andern das Leben zu

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[22/0034] Ohren ihr Gewinsel, ihre himmelstürmende Klage vernehmen müſste, damit ihn nicht der todte Buchstabe des Gesetzes, sondern eigenes Gefühl und lebendiges Gewissen von der Rechtmäſsigkeit seiner Urtheile über¬ zeugte? Wir bedauern den unsittlichen Menschen, wenn die Natur ihn straft und physisches Uebel über ihn verhängt; wir suchen sein Leid zu mildern und ihn von seinen Schmerzen zu befreien: warum darf nicht Mitleid den Elenden erquicken, dessen Unsittlichkeit den Arm der beleidigten Bür¬ gerordnung reizte? Ist der Verlust der Frei¬ heit kein hinreichendes Sühnopfer, und for¬ dert die strenge Gerechtigkeit noch die Marter des Eingekerkerten? Mich dünkt, die Abschaffung der Todesstrafen hat uns nur noch grausamer gemacht. Ich will hier nicht untersuchen, ob ein Mensch befugt seyn könne, einem andern das Leben zu

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/34>, abgerufen am 25.04.2024.