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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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er wird auch zu sehr verwöhnt, und immer mehr
eine Puppe. Was er nur bringen mag?"

Ihre Neugier sollte nicht lange unbefriedigt bleiben.
Schon einen Augenblick später hörten beide die Klingel
gehn, und ein alter Diener in Gamaschen, der noch
die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat
ein, um auf einem silbernen Tellerchen ein Billet zu
überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau
von Carayon adressiert.

"An Dich Mama."

"Lies nur," sagte diese.

"Nein, Du selbst; ich hab eine Scheu vor Ge¬
heimnissen."

"Närrin," lachte die Mutter und erbrach das
Billet und las: "Meine gnädigste Frau. Der Regen
der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebessert,
sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner
Tag, wie sie der April uns Hyperboreern nur selten
gewährt. Ich werde 4 Uhr mit meinem Wagen vor
Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire
zu einer Spazierfahrt abzuholen. Über das Ziel
erwarte ich Ihre Befehle. Wissen Sie doch wie glücklich
ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Bescheid
durch den Überbringer. Er ist gerade firm genug im
Deutschen, um ein "ja" oder "nein" nicht zu ver¬
wechseln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine

er wird auch zu ſehr verwöhnt, und immer mehr
eine Puppe. Was er nur bringen mag?“

Ihre Neugier ſollte nicht lange unbefriedigt bleiben.
Schon einen Augenblick ſpäter hörten beide die Klingel
gehn, und ein alter Diener in Gamaſchen, der noch
die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat
ein, um auf einem ſilbernen Tellerchen ein Billet zu
überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau
von Carayon adreſſiert.

„An Dich Mama.“

„Lies nur,“ ſagte dieſe.

„Nein, Du ſelbſt; ich hab eine Scheu vor Ge¬
heimniſſen.“

„Närrin,“ lachte die Mutter und erbrach das
Billet und las: „Meine gnädigſte Frau. Der Regen
der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebeſſert,
ſondern auch die Luft. Alles in allem ein ſo ſchöner
Tag, wie ſie der April uns Hyperboreern nur ſelten
gewährt. Ich werde 4 Uhr mit meinem Wagen vor
Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire
zu einer Spazierfahrt abzuholen. Über das Ziel
erwarte ich Ihre Befehle. Wiſſen Sie doch wie glücklich
ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Beſcheid
durch den Überbringer. Er iſt gerade firm genug im
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[37/0049] er wird auch zu ſehr verwöhnt, und immer mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag?“ Ihre Neugier ſollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen Augenblick ſpäter hörten beide die Klingel gehn, und ein alter Diener in Gamaſchen, der noch die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat ein, um auf einem ſilbernen Tellerchen ein Billet zu überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau von Carayon adreſſiert. „An Dich Mama.“ „Lies nur,“ ſagte dieſe. „Nein, Du ſelbſt; ich hab eine Scheu vor Ge¬ heimniſſen.“ „Närrin,“ lachte die Mutter und erbrach das Billet und las: „Meine gnädigſte Frau. Der Regen der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebeſſert, ſondern auch die Luft. Alles in allem ein ſo ſchöner Tag, wie ſie der April uns Hyperboreern nur ſelten gewährt. Ich werde 4 Uhr mit meinem Wagen vor Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire zu einer Spazierfahrt abzuholen. Über das Ziel erwarte ich Ihre Befehle. Wiſſen Sie doch wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Beſcheid durch den Überbringer. Er iſt gerade firm genug im Deutſchen, um ein „ja“ oder „nein“ nicht zu ver¬ wechſeln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/49>, abgerufen am 25.04.2024.