Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

hinziehen. Und diese Kanäle sind das wahre Ratten¬
eldorado; da sind sie zu Millionen. Oben drei Millionen
Franzosen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal,
wie gesagt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einem
Boote durch diese Unterwelt hingefahren, immer mitten
in die Ratten hinein."

"Gräßlich, gräßlich. Und sind Sie heil wieder
'raus gekommen?"

"Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigste Frau,
eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unserm Kahn
hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn
und einen hinten. Und nun hatten Sie sehen sollen,
wie das losging. ,Schnapp', und das Tier um die
Ohren geschlagen, und tot war es. Und so weiter, so
schnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch
schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver,
dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal
gelesen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln
wegschoß. Und so immerzu, viele Hundert. Ja, so was
wie diese Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht
wieder. Es war aber auch das Beste da. Denn was
sonst noch von Paris geredet wird, das ist alles über¬
trieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn
Großes? Opern und Cirkus und Museum, und in einem
Saal 'ne Venus, die man sich nicht recht ansieht, weil
sie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen
da ist. Und das alles haben wir schließlich auch, und
manches haben wir noch besser. So zum Beispiel Nie¬
mann und die dell' Era. Aber solche Rattenschlacht,
das muß wahr sein, die haben wir nicht. Und warum
nicht? Weil wir keine Katakomben haben."

Der alte Dubslav, der das Wort "Katakomben"
gehört hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin
und sagte: "Pardon, Herr von Czako, aber Sie müssen
meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so

hinziehen. Und dieſe Kanäle ſind das wahre Ratten¬
eldorado; da ſind ſie zu Millionen. Oben drei Millionen
Franzoſen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal,
wie geſagt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einem
Boote durch dieſe Unterwelt hingefahren, immer mitten
in die Ratten hinein.“

„Gräßlich, gräßlich. Und ſind Sie heil wieder
'raus gekommen?“

„Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigſte Frau,
eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unſerm Kahn
hatten wir nämlich zwei ſolche Rattenfänger, einen vorn
und einen hinten. Und nun hatten Sie ſehen ſollen,
wie das losging. ‚Schnapp‘, und das Tier um die
Ohren geſchlagen, und tot war es. Und ſo weiter, ſo
ſchnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch
ſchneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver,
dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal
geleſen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln
wegſchoß. Und ſo immerzu, viele Hundert. Ja, ſo was
wie dieſe Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht
wieder. Es war aber auch das Beſte da. Denn was
ſonſt noch von Paris geredet wird, das iſt alles über¬
trieben; meiſt dummes Zeug. Was haben ſie denn
Großes? Opern und Cirkus und Muſeum, und in einem
Saal 'ne Venus, die man ſich nicht recht anſieht, weil
ſie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen
da iſt. Und das alles haben wir ſchließlich auch, und
manches haben wir noch beſſer. So zum Beiſpiel Nie¬
mann und die dell' Era. Aber ſolche Rattenſchlacht,
das muß wahr ſein, die haben wir nicht. Und warum
nicht? Weil wir keine Katakomben haben.“

Der alte Dubslav, der das Wort „Katakomben“
gehört hatte, wandte ſich jetzt wieder über den Tiſch hin
und ſagte: „Pardon, Herr von Czako, aber Sie müſſen
meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="40"/>
hinziehen. Und die&#x017F;e Kanäle &#x017F;ind das wahre Ratten¬<lb/>
eldorado; da &#x017F;ind &#x017F;ie zu Millionen. Oben drei Millionen<lb/>
Franzo&#x017F;en, unten drei Millionen Ratten. Und einmal,<lb/>
wie ge&#x017F;agt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einem<lb/>
Boote durch die&#x017F;e Unterwelt hingefahren, immer mitten<lb/>
in die Ratten hinein.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Gräßlich, gräßlich. Und &#x017F;ind Sie heil wieder<lb/>
'raus gekommen?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Im ganzen, ja. Denn, meine gnädig&#x017F;te Frau,<lb/>
eigentlich war es doch ein Vergnügen. In un&#x017F;erm Kahn<lb/>
hatten wir nämlich zwei &#x017F;olche Rattenfänger, einen vorn<lb/>
und einen hinten. Und nun hatten Sie &#x017F;ehen &#x017F;ollen,<lb/>
wie das losging. &#x201A;Schnapp&#x2018;, und das Tier um die<lb/>
Ohren ge&#x017F;chlagen, und tot war es. Und &#x017F;o weiter, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch<lb/>
&#x017F;chneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver,<lb/>
dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal<lb/>
gele&#x017F;en haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln<lb/>
weg&#x017F;choß. Und &#x017F;o immerzu, viele Hundert. Ja, &#x017F;o was<lb/>
wie die&#x017F;e Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht<lb/>
wieder. Es war aber auch das Be&#x017F;te da. Denn was<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t noch von Paris geredet wird, das i&#x017F;t alles über¬<lb/>
trieben; mei&#x017F;t dummes Zeug. Was haben &#x017F;ie denn<lb/>
Großes? Opern und Cirkus und Mu&#x017F;eum, und in einem<lb/>
Saal 'ne Venus, die man &#x017F;ich nicht recht an&#x017F;ieht, weil<lb/>
&#x017F;ie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen<lb/>
da i&#x017F;t. Und das alles haben wir &#x017F;chließlich auch, und<lb/>
manches haben wir noch be&#x017F;&#x017F;er. So zum Bei&#x017F;piel Nie¬<lb/>
mann und die dell' Era. Aber &#x017F;olche Ratten&#x017F;chlacht,<lb/>
das muß wahr &#x017F;ein, die haben wir nicht. Und warum<lb/>
nicht? Weil wir keine Katakomben haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der alte Dubslav, der das Wort &#x201E;Katakomben&#x201C;<lb/>
gehört hatte, wandte &#x017F;ich jetzt wieder über den Ti&#x017F;ch hin<lb/>
und &#x017F;agte: &#x201E;Pardon, Herr von Czako, aber Sie mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit &#x017F;o<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0047] hinziehen. Und dieſe Kanäle ſind das wahre Ratten¬ eldorado; da ſind ſie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzoſen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal, wie geſagt, bin ich da mit 'runtergeklettert und in einem Boote durch dieſe Unterwelt hingefahren, immer mitten in die Ratten hinein.“ „Gräßlich, gräßlich. Und ſind Sie heil wieder 'raus gekommen?“ „Im ganzen, ja. Denn, meine gnädigſte Frau, eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unſerm Kahn hatten wir nämlich zwei ſolche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. Und nun hatten Sie ſehen ſollen, wie das losging. ‚Schnapp‘, und das Tier um die Ohren geſchlagen, und tot war es. Und ſo weiter, ſo ſchnell wie Sie nur zählen können, und mitunter noch ſchneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, dem bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiß einmal geleſen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegſchoß. Und ſo immerzu, viele Hundert. Ja, ſo was wie dieſe Rattenjagd da unten, das vergißt man nicht wieder. Es war aber auch das Beſte da. Denn was ſonſt noch von Paris geredet wird, das iſt alles über¬ trieben; meiſt dummes Zeug. Was haben ſie denn Großes? Opern und Cirkus und Muſeum, und in einem Saal 'ne Venus, die man ſich nicht recht anſieht, weil ſie das Gefühl verletzt, namentlich wenn man mit Damen da iſt. Und das alles haben wir ſchließlich auch, und manches haben wir noch beſſer. So zum Beiſpiel Nie¬ mann und die dell' Era. Aber ſolche Rattenſchlacht, das muß wahr ſein, die haben wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben.“ Der alte Dubslav, der das Wort „Katakomben“ gehört hatte, wandte ſich jetzt wieder über den Tiſch hin und ſagte: „Pardon, Herr von Czako, aber Sie müſſen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/47
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/47>, abgerufen am 23.04.2024.