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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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suchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt
schon, wenn die richtige Persönlichkeit sich ihr aufthut.
Da ist dieser Wörishofener Pfarrer -- er sucht nicht
die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie
kommen, so heilt er sie, heilt sie mit dem Einfachsten
und Natürlichsten. Übertragen Sie das vom Äußern
aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen
graben just an der Stelle, wo man gerade steht. Innere
Mission in nächster Nähe, sei's mit dem Alten, sei's mit
etwas Neuem."

"Also mit dem Neuen," sagte Woldemar und reichte
seinem alten Lehrer die Hand.

Aber dieser antwortete: "Nicht so ganz unbedingt
mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es irgend
geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muß."


Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei
einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß
Stechlin war und jedesmal die Bewunderung seiner
Gäste: losgelöste Krammetsvögelbrüste, mit einer dunkeln
Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbst- und Eber¬
eschentage da waren, als eine höhere Form von Schwarz¬
sauer auf den Tisch zu kommen pflegten. Engelke prä¬
sentierte Burgunder dazu, der schon lange lag, noch aus
alten besseren Tagen her, und als jeder davon genommen,
erhob sich Dubslav, um erst kurz seine lieben Gäste zu
begrüßen, dann aber die Damen leben zu lassen. Er
müsse bei diesem Plural bleiben, trotzdem die Damen¬
welt nur in einer Einheit vertreten sei; doch er gedenke
dabei neben seiner lieben Freundin und Tischnachbarin
(er küßte dieser huldigend die Hand) zugleich auch der
"Gemahlin" seines Freundes Katzler, die leider -- wenn
auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster

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ſuchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt
ſchon, wenn die richtige Perſönlichkeit ſich ihr aufthut.
Da iſt dieſer Wörishofener Pfarrer — er ſucht nicht
die Menſchen, die Menſchen ſuchen ihn. Und wenn ſie
kommen, ſo heilt er ſie, heilt ſie mit dem Einfachſten
und Natürlichſten. Übertragen Sie das vom Äußern
aufs Innere, ſo haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen
graben juſt an der Stelle, wo man gerade ſteht. Innere
Miſſion in nächſter Nähe, ſei's mit dem Alten, ſei's mit
etwas Neuem.“

„Alſo mit dem Neuen,“ ſagte Woldemar und reichte
ſeinem alten Lehrer die Hand.

Aber dieſer antwortete: „Nicht ſo ganz unbedingt
mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, ſoweit es irgend
geht, und mit dem Neuen nur, ſoweit es muß.“


Das Mahl war inzwiſchen vorgeſchritten und bei
einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß
Stechlin war und jedesmal die Bewunderung ſeiner
Gäſte: losgelöſte Krammetsvögelbrüſte, mit einer dunkeln
Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbſt- und Eber¬
eſchentage da waren, als eine höhere Form von Schwarz¬
ſauer auf den Tiſch zu kommen pflegten. Engelke prä¬
ſentierte Burgunder dazu, der ſchon lange lag, noch aus
alten beſſeren Tagen her, und als jeder davon genommen,
erhob ſich Dubslav, um erſt kurz ſeine lieben Gäſte zu
begrüßen, dann aber die Damen leben zu laſſen. Er
müſſe bei dieſem Plural bleiben, trotzdem die Damen¬
welt nur in einer Einheit vertreten ſei; doch er gedenke
dabei neben ſeiner lieben Freundin und Tiſchnachbarin
(er küßte dieſer huldigend die Hand) zugleich auch der
„Gemahlin“ ſeines Freundes Katzler, die leider — wenn
auch vom Familienſtandpunkt aus in hocherfreulichſter

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[35/0042] ſuchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt ſchon, wenn die richtige Perſönlichkeit ſich ihr aufthut. Da iſt dieſer Wörishofener Pfarrer — er ſucht nicht die Menſchen, die Menſchen ſuchen ihn. Und wenn ſie kommen, ſo heilt er ſie, heilt ſie mit dem Einfachſten und Natürlichſten. Übertragen Sie das vom Äußern aufs Innere, ſo haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen graben juſt an der Stelle, wo man gerade ſteht. Innere Miſſion in nächſter Nähe, ſei's mit dem Alten, ſei's mit etwas Neuem.“ „Alſo mit dem Neuen,“ ſagte Woldemar und reichte ſeinem alten Lehrer die Hand. Aber dieſer antwortete: „Nicht ſo ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, ſoweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, ſoweit es muß.“ Das Mahl war inzwiſchen vorgeſchritten und bei einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloß Stechlin war und jedesmal die Bewunderung ſeiner Gäſte: losgelöſte Krammetsvögelbrüſte, mit einer dunkeln Kraftbrühe angerichtet, die, wenn die Herbſt- und Eber¬ eſchentage da waren, als eine höhere Form von Schwarz¬ ſauer auf den Tiſch zu kommen pflegten. Engelke prä¬ ſentierte Burgunder dazu, der ſchon lange lag, noch aus alten beſſeren Tagen her, und als jeder davon genommen, erhob ſich Dubslav, um erſt kurz ſeine lieben Gäſte zu begrüßen, dann aber die Damen leben zu laſſen. Er müſſe bei dieſem Plural bleiben, trotzdem die Damen¬ welt nur in einer Einheit vertreten ſei; doch er gedenke dabei neben ſeiner lieben Freundin und Tiſchnachbarin (er küßte dieſer huldigend die Hand) zugleich auch der „Gemahlin“ ſeines Freundes Katzler, die leider — wenn auch vom Familienſtandpunkt aus in hocherfreulichſter 3*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/42>, abgerufen am 29.03.2024.