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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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reichenden Orientierungsfähigkeit, fand sich in des
Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange
nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hell¬
hörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der
durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. "Ich
glaube herauszuhören," sagte Lorenzen, "daß Herr von
Rex geneigt ist, dem Leben draußen in der Welt vor
dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben.
Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen können,
ich nun schon gewiß nicht; aber auch unser Herr Ober¬
förster wird mutmaßlich froh sein, seine vordem im
Eisenbahncoupe verbrachten Feldjägertage hinter sich zu
haben. Es heißt freilich ,im engen Kreis verengert sich
der Sinn', und in den meisten Fällen mag es zutreffen.
Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Welt¬
fremde bestimmte große Vorzüge."

"Sie sprechen mir durchaus aus der Seele, Herr
Pastor Lorenzen," sagte Rex. "Wenn es einen Augen¬
blick vielleicht so klang, als ob der ,Globetrotter' mein
Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu
lassen. Aber etwas hat es doch mit dem ,Auch-draußen-
zu-Hause-sein' auf sich, und wenn Sie trotzdem für
Einsamkeit und Stille plaidieren, so plaidieren Sie wohl in
eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster aus der
Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind
beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt,
und vielleicht, daß meine persönliche Neigung dieselben
Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von
einem solchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts
wissen wollen, die vielleicht umgekehrt, statt in einem
sich Hingeben an den Einzelnen, in der Beschäftigung
mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden. Ich glaube
durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen Sie
seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglück¬
wünschen zu dürfen. Sie stehen in der christlich-sozialen

Fontane, Der Stechlin. 3

reichenden Orientierungsfähigkeit, fand ſich in des
Miniſterialaſſeſſors etwas gedrechſeltem Gedankengange
nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hell¬
hörige, mittlerweile wieder frei gewordene Paſtor in der
durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. „Ich
glaube herauszuhören,“ ſagte Lorenzen, „daß Herr von
Rex geneigt iſt, dem Leben draußen in der Welt vor
dem in unſrer ſtillen Grafſchaft den Vorzug zu geben.
Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen können,
ich nun ſchon gewiß nicht; aber auch unſer Herr Ober¬
förſter wird mutmaßlich froh ſein, ſeine vordem im
Eiſenbahncoupé verbrachten Feldjägertage hinter ſich zu
haben. Es heißt freilich ‚im engen Kreis verengert ſich
der Sinn‘, und in den meiſten Fällen mag es zutreffen.
Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Welt¬
fremde beſtimmte große Vorzüge.“

„Sie ſprechen mir durchaus aus der Seele, Herr
Paſtor Lorenzen,“ ſagte Rex. „Wenn es einen Augen¬
blick vielleicht ſo klang, als ob der ‚Globetrotter‘ mein
Ideal ſei, ſo bin ich ſehr geneigt, mit mir handeln zu
laſſen. Aber etwas hat es doch mit dem ‚Auch-draußen-
zu-Hauſe-ſein‘ auf ſich, und wenn Sie trotzdem für
Einſamkeit und Stille plaidieren, ſo plaidieren Sie wohl in
eigner Sache. Denn wie ſich der Herr Oberförſter aus der
Welt zurückgezogen hat, ſo wohl auch Sie. Sie ſind
beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt,
und vielleicht, daß meine perſönliche Neigung dieſelben
Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von
einem ſolchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts
wiſſen wollen, die vielleicht umgekehrt, ſtatt in einem
ſich Hingeben an den Einzelnen, in der Beſchäftigung
mit einer Vielheit ihre Beſtimmung finden. Ich glaube
durch Freund Stechlin zu wiſſen, welche Fragen Sie
ſeit lange beſchäftigen, und bitte, Sie dazu beglück¬
wünſchen zu dürfen. Sie ſtehen in der chriſtlich-ſozialen

Fontane, Der Stechlin. 3
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[33/0040] reichenden Orientierungsfähigkeit, fand ſich in des Miniſterialaſſeſſors etwas gedrechſeltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hell¬ hörige, mittlerweile wieder frei gewordene Paſtor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. „Ich glaube herauszuhören,“ ſagte Lorenzen, „daß Herr von Rex geneigt iſt, dem Leben draußen in der Welt vor dem in unſrer ſtillen Grafſchaft den Vorzug zu geben. Ich weiß aber nicht, ob wir ihm darin folgen können, ich nun ſchon gewiß nicht; aber auch unſer Herr Ober¬ förſter wird mutmaßlich froh ſein, ſeine vordem im Eiſenbahncoupé verbrachten Feldjägertage hinter ſich zu haben. Es heißt freilich ‚im engen Kreis verengert ſich der Sinn‘, und in den meiſten Fällen mag es zutreffen. Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Welt¬ fremde beſtimmte große Vorzüge.“ „Sie ſprechen mir durchaus aus der Seele, Herr Paſtor Lorenzen,“ ſagte Rex. „Wenn es einen Augen¬ blick vielleicht ſo klang, als ob der ‚Globetrotter‘ mein Ideal ſei, ſo bin ich ſehr geneigt, mit mir handeln zu laſſen. Aber etwas hat es doch mit dem ‚Auch-draußen- zu-Hauſe-ſein‘ auf ſich, und wenn Sie trotzdem für Einſamkeit und Stille plaidieren, ſo plaidieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie ſich der Herr Oberförſter aus der Welt zurückgezogen hat, ſo wohl auch Sie. Sie ſind beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, daß meine perſönliche Neigung dieſelben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von einem ſolchen Sichzurückziehen aus der Welt nichts wiſſen wollen, die vielleicht umgekehrt, ſtatt in einem ſich Hingeben an den Einzelnen, in der Beſchäftigung mit einer Vielheit ihre Beſtimmung finden. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wiſſen, welche Fragen Sie ſeit lange beſchäftigen, und bitte, Sie dazu beglück¬ wünſchen zu dürfen. Sie ſtehen in der chriſtlich-ſozialen Fontane, Der Stechlin. 3

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/40>, abgerufen am 28.03.2024.