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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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bißchen tolles Zeug rede. Wie steht es denn da mit
ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er
bloß so mit?"

"Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke
mir, er steht so wie die meisten stehn; das heißt, er
weiß es nicht recht."

"Ja, ja, den Zustand kenn' ich."

"Und weil er es nicht recht weiß, hat er sozusagen
die Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach
oben hin empfiehlt. Ich kann das auch so schlimm
nicht finden. Einige nennen ihn einen "Streber". Aber
wenn er es ist, ist er jedenfalls keiner von den schlimmsten.
Er hat eigentlich einen guten Charakter, und im cercle
intime
kann er reizend sein. Er verändert sich dann
nicht in dem, was er sagt, oder doch nur ganz wenig, aber
ich möchte sagen, er verändert sich in der Art, wie er
zuhört. Czako meint, unser Freund Rex halte sich mit
dem Ohr für das schadlos, was er mit dem Munde
versäumt. Czako wird überhaupt am besten mit ihm
fertig; er schraubt ihn beständig, und Rex, was ich
reizend finde, läßt sich diese Schraubereien gefallen. Daran
siehst du schon, daß sich mit ihm leben läßt. Seine
Frömmigkeit ist keine Lüge, bloß Erziehung, Angewohn¬
heit, und so schließlich seine zweite Natur geworden."

"Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen;
die mögen dann beide sehn, wie sie miteinander fertig
werden. Vielleicht erleben wir 'ne Bekehrung. Das
heißt Rex den Pastor. Aber da höre ich eine Kutsche
die Dorfstraße 'raufkommen. Das sind natürlich Gunder¬
manns; die kommen immer zu früh. Der arme Kerl
hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört und
macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon.
Autodidakten übertreiben immer. Ich bin selber einer
und kann also mitreden. Nun, wir sprechen morgen
früh weiter; heute wird es nichts mehr. Du wirst dich

bißchen tolles Zeug rede. Wie ſteht es denn da mit
ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er
bloß ſo mit?“

„Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke
mir, er ſteht ſo wie die meiſten ſtehn; das heißt, er
weiß es nicht recht.“

„Ja, ja, den Zuſtand kenn' ich.“

„Und weil er es nicht recht weiß, hat er ſozuſagen
die Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach
oben hin empfiehlt. Ich kann das auch ſo ſchlimm
nicht finden. Einige nennen ihn einen „Streber“. Aber
wenn er es iſt, iſt er jedenfalls keiner von den ſchlimmſten.
Er hat eigentlich einen guten Charakter, und im cercle
intime
kann er reizend ſein. Er verändert ſich dann
nicht in dem, was er ſagt, oder doch nur ganz wenig, aber
ich möchte ſagen, er verändert ſich in der Art, wie er
zuhört. Czako meint, unſer Freund Rex halte ſich mit
dem Ohr für das ſchadlos, was er mit dem Munde
verſäumt. Czako wird überhaupt am beſten mit ihm
fertig; er ſchraubt ihn beſtändig, und Rex, was ich
reizend finde, läßt ſich dieſe Schraubereien gefallen. Daran
ſiehſt du ſchon, daß ſich mit ihm leben läßt. Seine
Frömmigkeit iſt keine Lüge, bloß Erziehung, Angewohn¬
heit, und ſo ſchließlich ſeine zweite Natur geworden.“

„Ich werde ihn bei Tiſch neben Lorenzen ſetzen;
die mögen dann beide ſehn, wie ſie miteinander fertig
werden. Vielleicht erleben wir 'ne Bekehrung. Das
heißt Rex den Paſtor. Aber da höre ich eine Kutſche
die Dorfſtraße 'raufkommen. Das ſind natürlich Gunder¬
manns; die kommen immer zu früh. Der arme Kerl
hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört und
macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon.
Autodidakten übertreiben immer. Ich bin ſelber einer
und kann alſo mitreden. Nun, wir ſprechen morgen
früh weiter; heute wird es nichts mehr. Du wirſt dich

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[25/0032] bißchen tolles Zeug rede. Wie ſteht es denn da mit ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er bloß ſo mit?“ „Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke mir, er ſteht ſo wie die meiſten ſtehn; das heißt, er weiß es nicht recht.“ „Ja, ja, den Zuſtand kenn' ich.“ „Und weil er es nicht recht weiß, hat er ſozuſagen die Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt. Ich kann das auch ſo ſchlimm nicht finden. Einige nennen ihn einen „Streber“. Aber wenn er es iſt, iſt er jedenfalls keiner von den ſchlimmſten. Er hat eigentlich einen guten Charakter, und im cercle intime kann er reizend ſein. Er verändert ſich dann nicht in dem, was er ſagt, oder doch nur ganz wenig, aber ich möchte ſagen, er verändert ſich in der Art, wie er zuhört. Czako meint, unſer Freund Rex halte ſich mit dem Ohr für das ſchadlos, was er mit dem Munde verſäumt. Czako wird überhaupt am beſten mit ihm fertig; er ſchraubt ihn beſtändig, und Rex, was ich reizend finde, läßt ſich dieſe Schraubereien gefallen. Daran ſiehſt du ſchon, daß ſich mit ihm leben läßt. Seine Frömmigkeit iſt keine Lüge, bloß Erziehung, Angewohn¬ heit, und ſo ſchließlich ſeine zweite Natur geworden.“ „Ich werde ihn bei Tiſch neben Lorenzen ſetzen; die mögen dann beide ſehn, wie ſie miteinander fertig werden. Vielleicht erleben wir 'ne Bekehrung. Das heißt Rex den Paſtor. Aber da höre ich eine Kutſche die Dorfſtraße 'raufkommen. Das ſind natürlich Gunder¬ manns; die kommen immer zu früh. Der arme Kerl hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört und macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon. Autodidakten übertreiben immer. Ich bin ſelber einer und kann alſo mitreden. Nun, wir ſprechen morgen früh weiter; heute wird es nichts mehr. Du wirſt dich

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/32>, abgerufen am 23.04.2024.