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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Findlinge?"

"Ja, Findlinge," wiederholte Woldemar. "Aber
wenn Ihnen das Wort anstößig ist, so können Sie sie
auch Monolithe nennen. Es ist merkwürdig, Czako, wie
hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie sind, wenn Sie
nicht gerade selber das Wort haben ... Aber nun, meine
Herren, müssen wir uns wieder in Trab setzen. Ich bin
überzeugt, mein Papa steht schon ungeduldig auf seiner
Rampe, und wenn er uns so im Schritt ankommen sieht,
denkt er, wir bringen eine Trauernachricht oder einen
Verwundeten."


Wenige Minuten später, und alle drei trabten denn
auch wirklich, von Fritz gefolgt, über die Bohlenbrücke
fort, erst in den Vorhof hinein und dann an der blanken
Glaskugel vorüber. Der Alte stand bereits auf der
Rampe, Engelke hinter ihm und hinter diesem Martin,
der alte Kutscher. Im Nu waren alle drei Reiter aus
dem Sattel, und Martin und Fritz nahmen die Pferde.
So trat man in den Flur. "Erlaube, lieber Papa, dir
zwei liebe Freunde von mir vorzustellen: Assessor von
Rex, Hauptmann von Czako."

Der alte Stechlin schüttelte jedem die Hand und
sprach ihnen aus, wie glücklich er über ihren Besuch sei.
"Seien Sie mir herzlich willkommen, meine Herren. Sie
haben keine Ahnung, welche Freude Sie mir machen,
mir, einem vergrätzten alten Einsiedler. Man sieht nichts
mehr, man hört nichts mehr. Ich hoffe auf einen ganzen
Sack voll Neuigkeiten."

"Ach, Herr Major," sagte Czako, "wir sind ja schon
vierundzwanzig Stunden fort. Und, ganz abgesehen da¬
von, wer kann heutzutage noch mit den Zeitungen kon¬

„Findlinge?“

„Ja, Findlinge,“ wiederholte Woldemar. „Aber
wenn Ihnen das Wort anſtößig iſt, ſo können Sie ſie
auch Monolithe nennen. Es iſt merkwürdig, Czako, wie
hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie ſind, wenn Sie
nicht gerade ſelber das Wort haben ... Aber nun, meine
Herren, müſſen wir uns wieder in Trab ſetzen. Ich bin
überzeugt, mein Papa ſteht ſchon ungeduldig auf ſeiner
Rampe, und wenn er uns ſo im Schritt ankommen ſieht,
denkt er, wir bringen eine Trauernachricht oder einen
Verwundeten.“


Wenige Minuten ſpäter, und alle drei trabten denn
auch wirklich, von Fritz gefolgt, über die Bohlenbrücke
fort, erſt in den Vorhof hinein und dann an der blanken
Glaskugel vorüber. Der Alte ſtand bereits auf der
Rampe, Engelke hinter ihm und hinter dieſem Martin,
der alte Kutſcher. Im Nu waren alle drei Reiter aus
dem Sattel, und Martin und Fritz nahmen die Pferde.
So trat man in den Flur. „Erlaube, lieber Papa, dir
zwei liebe Freunde von mir vorzuſtellen: Aſſeſſor von
Rex, Hauptmann von Czako.“

Der alte Stechlin ſchüttelte jedem die Hand und
ſprach ihnen aus, wie glücklich er über ihren Beſuch ſei.
„Seien Sie mir herzlich willkommen, meine Herren. Sie
haben keine Ahnung, welche Freude Sie mir machen,
mir, einem vergrätzten alten Einſiedler. Man ſieht nichts
mehr, man hört nichts mehr. Ich hoffe auf einen ganzen
Sack voll Neuigkeiten.“

„Ach, Herr Major,“ ſagte Czako, „wir ſind ja ſchon
vierundzwanzig Stunden fort. Und, ganz abgeſehen da¬
von, wer kann heutzutage noch mit den Zeitungen kon¬

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[18/0025] „Findlinge?“ „Ja, Findlinge,“ wiederholte Woldemar. „Aber wenn Ihnen das Wort anſtößig iſt, ſo können Sie ſie auch Monolithe nennen. Es iſt merkwürdig, Czako, wie hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie ſind, wenn Sie nicht gerade ſelber das Wort haben ... Aber nun, meine Herren, müſſen wir uns wieder in Trab ſetzen. Ich bin überzeugt, mein Papa ſteht ſchon ungeduldig auf ſeiner Rampe, und wenn er uns ſo im Schritt ankommen ſieht, denkt er, wir bringen eine Trauernachricht oder einen Verwundeten.“ Wenige Minuten ſpäter, und alle drei trabten denn auch wirklich, von Fritz gefolgt, über die Bohlenbrücke fort, erſt in den Vorhof hinein und dann an der blanken Glaskugel vorüber. Der Alte ſtand bereits auf der Rampe, Engelke hinter ihm und hinter dieſem Martin, der alte Kutſcher. Im Nu waren alle drei Reiter aus dem Sattel, und Martin und Fritz nahmen die Pferde. So trat man in den Flur. „Erlaube, lieber Papa, dir zwei liebe Freunde von mir vorzuſtellen: Aſſeſſor von Rex, Hauptmann von Czako.“ Der alte Stechlin ſchüttelte jedem die Hand und ſprach ihnen aus, wie glücklich er über ihren Beſuch ſei. „Seien Sie mir herzlich willkommen, meine Herren. Sie haben keine Ahnung, welche Freude Sie mir machen, mir, einem vergrätzten alten Einſiedler. Man ſieht nichts mehr, man hört nichts mehr. Ich hoffe auf einen ganzen Sack voll Neuigkeiten.“ „Ach, Herr Major,“ ſagte Czako, „wir ſind ja ſchon vierundzwanzig Stunden fort. Und, ganz abgeſehen da¬ von, wer kann heutzutage noch mit den Zeitungen kon¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/25>, abgerufen am 19.04.2024.