Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894."Ungerechte, Onkel." "Das ist brav, Ungerechte! Die Gerechtigkeit ist blos für die Komik. Da hab' ich vorigen Winter was gelesen, ich glaube, ,die drei gerechten Amtmänner' ..." "Kammmacher," verbesserte Karoline. "Richtig, Kammmacher. Versteht sich, versteht sich, Kammmacher. Amtmänner ist Unsinn, Amtmänner sind nie gerecht ... Aber da kommt ja der Lammbraten. Das ist brav, Karoline. Du kennst meine schwache Seite; Lammbraten, er hat so viel Alttestamentarisches, so was Ur- und Erzväterliches." Und dabei nahm er Platz und band sich die Serviette vor. "Aber nicht aus der Keule, lieber Otto," fuhr er fort. "Wenn ich bitten darf, eine Rippe, das heißt ein paar; ich bin fürs Knaupeln und was am Knochen sitzt, ist immer das Beste." So sprach er weiter, und weil ihn das Sprechen und Knaupeln ganz in Anspruch nahm, konnt' ich ihn, ohne daß er's merkte, gut beobachten. Er mochte Mitte fünfzig sein, eher drüber als drunter, und konnte füglich als das Bild eines alten behäbigen Garcons gelten. Er war ganz und gar in blanke graue Leinwand gekleidet, die fast einen Seidenschimmer hatte; die Weste war derartig weit ausgeschnitten, daß man hätte zweifeln können, ob er überhaupt „Ungerechte, Onkel.“ „Das ist brav, Ungerechte! Die Gerechtigkeit ist blos für die Komik. Da hab’ ich vorigen Winter was gelesen, ich glaube, ‚die drei gerechten Amtmänner‘ …“ „Kammmacher,“ verbesserte Karoline. „Richtig, Kammmacher. Versteht sich, versteht sich, Kammmacher. Amtmänner ist Unsinn, Amtmänner sind nie gerecht … Aber da kommt ja der Lammbraten. Das ist brav, Karoline. Du kennst meine schwache Seite; Lammbraten, er hat so viel Alttestamentarisches, so was Ur- und Erzväterliches.“ Und dabei nahm er Platz und band sich die Serviette vor. „Aber nicht aus der Keule, lieber Otto,“ fuhr er fort. „Wenn ich bitten darf, eine Rippe, das heißt ein paar; ich bin fürs Knaupeln und was am Knochen sitzt, ist immer das Beste.“ So sprach er weiter, und weil ihn das Sprechen und Knaupeln ganz in Anspruch nahm, konnt’ ich ihn, ohne daß er’s merkte, gut beobachten. Er mochte Mitte fünfzig sein, eher drüber als drunter, und konnte füglich als das Bild eines alten behäbigen Garçons gelten. Er war ganz und gar in blanke graue Leinwand gekleidet, die fast einen Seidenschimmer hatte; die Weste war derartig weit ausgeschnitten, daß man hätte zweifeln können, ob er überhaupt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0093" n="91"/> <p>„Ungerechte, Onkel.“</p><lb/> <p>„Das ist brav, Ungerechte! Die Gerechtigkeit ist blos für die Komik. Da hab’ ich vorigen Winter was gelesen, ich glaube, ‚die drei gerechten Amtmänner‘ …“</p><lb/> <p>„Kammmacher,“ verbesserte Karoline.</p><lb/> <p>„Richtig, Kammmacher. Versteht sich, versteht sich, Kammmacher. Amtmänner ist Unsinn, Amtmänner sind nie gerecht … Aber da kommt ja der Lammbraten. Das ist brav, Karoline. Du kennst meine schwache Seite; Lammbraten, er hat so viel Alttestamentarisches, so was Ur- und Erzväterliches.“ Und dabei nahm er Platz und band sich die Serviette vor. „Aber nicht aus der Keule, lieber Otto,“ fuhr er fort. „Wenn ich bitten darf, eine Rippe, das heißt ein paar; ich bin fürs Knaupeln und was am Knochen sitzt, ist immer das Beste.“</p><lb/> <p>So sprach er weiter, und weil ihn das Sprechen und Knaupeln ganz in Anspruch nahm, konnt’ ich ihn, ohne daß er’s merkte, gut beobachten. Er mochte Mitte fünfzig sein, eher drüber als drunter, und konnte füglich als das Bild eines alten behäbigen Garçons gelten. Er war ganz und gar in blanke graue Leinwand gekleidet, die fast einen Seidenschimmer hatte; die Weste war derartig weit ausgeschnitten, daß man hätte zweifeln können, ob er überhaupt </p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0093]
„Ungerechte, Onkel.“
„Das ist brav, Ungerechte! Die Gerechtigkeit ist blos für die Komik. Da hab’ ich vorigen Winter was gelesen, ich glaube, ‚die drei gerechten Amtmänner‘ …“
„Kammmacher,“ verbesserte Karoline.
„Richtig, Kammmacher. Versteht sich, versteht sich, Kammmacher. Amtmänner ist Unsinn, Amtmänner sind nie gerecht … Aber da kommt ja der Lammbraten. Das ist brav, Karoline. Du kennst meine schwache Seite; Lammbraten, er hat so viel Alttestamentarisches, so was Ur- und Erzväterliches.“ Und dabei nahm er Platz und band sich die Serviette vor. „Aber nicht aus der Keule, lieber Otto,“ fuhr er fort. „Wenn ich bitten darf, eine Rippe, das heißt ein paar; ich bin fürs Knaupeln und was am Knochen sitzt, ist immer das Beste.“
So sprach er weiter, und weil ihn das Sprechen und Knaupeln ganz in Anspruch nahm, konnt’ ich ihn, ohne daß er’s merkte, gut beobachten. Er mochte Mitte fünfzig sein, eher drüber als drunter, und konnte füglich als das Bild eines alten behäbigen Garçons gelten. Er war ganz und gar in blanke graue Leinwand gekleidet, die fast einen Seidenschimmer hatte; die Weste war derartig weit ausgeschnitten, daß man hätte zweifeln können, ob er überhaupt
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
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