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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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Auch hier in Arkona diente das "weiße Pferd" zur Zeichen-
deuterei. Alle Poesie knüpfte sich an dasselbe. Nicht selten
fand man es des Morgens mit Schaum und Schmutz bedeckt in
seinem Stall: dann hieß es, Swatowit selber habe das Pferd
geritten und es im Streit gegen seine Feinde getummelt. Die
Formen, unter denen das Orakel ertheilt oder die Frage "Krieg
oder Friede" entschieden wurde, waren denen in Rhetra nah
verwandt, aber doch nicht voll dieselben. Drei Paar gekreuzte
Lanzen wurden in den Boden gesteckt und das Pferd heran
geführt. Schritt es nun mit dem rechten Fuß zuerst über die
Speere, so war das Zeichen glücklich, unglücklich, wenn das
Thier den linken Fuß zuerst aufhob. Entschiedenes Heil aber
versprach das Orakel nur, wenn das weiße Pferd über alle
drei Lanzenpaare mit dem rechten Fuße hingeschritten war.

Der Swatowit-Tempel auf Arkona war das letzte Boll-
werk des Heidenthums; es fiel endlich in den Dänenkämpfen,
im Kriege mit "Waldemar dem Sieger", nachdem es nicht nur
den Radigast-Tempel Rhetra's, wenigstens den Ruhm desselben,
um ein Jahrhundert, sondern auch den uns in gewissem Sinne
näher angehenden Triglaff-Tempel zu Brannibor um
zwanzig und einige Jahre überlebt hatte.

Dieser Triglaff-Tempel zu Brannibor, wenn auch für die
Gesammtheit der Wenden nur ein Tempel zweiten Ranges,
stand doch, wie eben schon angedeutet, für die märkischen
Wenden in erster Reihe, und diese seine lokale Bedeutung --
da uns die märkischen Wenden hier vorzugsweise beschäftigen --
erheischt noch ein kurzes Verweilen bei ihm.

Der Triglaff, der in Brannibor verehrt wurde, war eine
ursprünglich pommersche Gottheit und wurde, wie es scheint, erst
in späterer Zeit, sei es aus Eifersucht oder sei es aus Miß-
trauen
gegen den Radigast (in Rhetra), von Pommern her
eingeführt. In Kürze haben wir ihn schon an anderer Stelle
beschrieben. Er hatte drei Köpfe, weil er Herr im Himmel,
auf Erden und in der Unterwelt war, und sein Gesicht war
verhüllt, zum Zeichen, daß er die Sünden der Menschen

Auch hier in Arkona diente das „weiße Pferd“ zur Zeichen-
deuterei. Alle Poeſie knüpfte ſich an daſſelbe. Nicht ſelten
fand man es des Morgens mit Schaum und Schmutz bedeckt in
ſeinem Stall: dann hieß es, Swatowit ſelber habe das Pferd
geritten und es im Streit gegen ſeine Feinde getummelt. Die
Formen, unter denen das Orakel ertheilt oder die Frage „Krieg
oder Friede“ entſchieden wurde, waren denen in Rhetra nah
verwandt, aber doch nicht voll dieſelben. Drei Paar gekreuzte
Lanzen wurden in den Boden geſteckt und das Pferd heran
geführt. Schritt es nun mit dem rechten Fuß zuerſt über die
Speere, ſo war das Zeichen glücklich, unglücklich, wenn das
Thier den linken Fuß zuerſt aufhob. Entſchiedenes Heil aber
verſprach das Orakel nur, wenn das weiße Pferd über alle
drei Lanzenpaare mit dem rechten Fuße hingeſchritten war.

Der Swatowit-Tempel auf Arkona war das letzte Boll-
werk des Heidenthums; es fiel endlich in den Dänenkämpfen,
im Kriege mit „Waldemar dem Sieger“, nachdem es nicht nur
den Radigaſt-Tempel Rhetra’s, wenigſtens den Ruhm deſſelben,
um ein Jahrhundert, ſondern auch den uns in gewiſſem Sinne
näher angehenden Triglaff-Tempel zu Brannibor um
zwanzig und einige Jahre überlebt hatte.

Dieſer Triglaff-Tempel zu Brannibor, wenn auch für die
Geſammtheit der Wenden nur ein Tempel zweiten Ranges,
ſtand doch, wie eben ſchon angedeutet, für die märkiſchen
Wenden in erſter Reihe, und dieſe ſeine lokale Bedeutung —
da uns die märkiſchen Wenden hier vorzugsweiſe beſchäftigen —
erheiſcht noch ein kurzes Verweilen bei ihm.

Der Triglaff, der in Brannibor verehrt wurde, war eine
urſprünglich pommerſche Gottheit und wurde, wie es ſcheint, erſt
in ſpäterer Zeit, ſei es aus Eiferſucht oder ſei es aus Miß-
trauen
gegen den Radigaſt (in Rhetra), von Pommern her
eingeführt. In Kürze haben wir ihn ſchon an anderer Stelle
beſchrieben. Er hatte drei Köpfe, weil er Herr im Himmel,
auf Erden und in der Unterwelt war, und ſein Geſicht war
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[28/0046] Auch hier in Arkona diente das „weiße Pferd“ zur Zeichen- deuterei. Alle Poeſie knüpfte ſich an daſſelbe. Nicht ſelten fand man es des Morgens mit Schaum und Schmutz bedeckt in ſeinem Stall: dann hieß es, Swatowit ſelber habe das Pferd geritten und es im Streit gegen ſeine Feinde getummelt. Die Formen, unter denen das Orakel ertheilt oder die Frage „Krieg oder Friede“ entſchieden wurde, waren denen in Rhetra nah verwandt, aber doch nicht voll dieſelben. Drei Paar gekreuzte Lanzen wurden in den Boden geſteckt und das Pferd heran geführt. Schritt es nun mit dem rechten Fuß zuerſt über die Speere, ſo war das Zeichen glücklich, unglücklich, wenn das Thier den linken Fuß zuerſt aufhob. Entſchiedenes Heil aber verſprach das Orakel nur, wenn das weiße Pferd über alle drei Lanzenpaare mit dem rechten Fuße hingeſchritten war. Der Swatowit-Tempel auf Arkona war das letzte Boll- werk des Heidenthums; es fiel endlich in den Dänenkämpfen, im Kriege mit „Waldemar dem Sieger“, nachdem es nicht nur den Radigaſt-Tempel Rhetra’s, wenigſtens den Ruhm deſſelben, um ein Jahrhundert, ſondern auch den uns in gewiſſem Sinne näher angehenden Triglaff-Tempel zu Brannibor um zwanzig und einige Jahre überlebt hatte. Dieſer Triglaff-Tempel zu Brannibor, wenn auch für die Geſammtheit der Wenden nur ein Tempel zweiten Ranges, ſtand doch, wie eben ſchon angedeutet, für die märkiſchen Wenden in erſter Reihe, und dieſe ſeine lokale Bedeutung — da uns die märkiſchen Wenden hier vorzugsweiſe beſchäftigen — erheiſcht noch ein kurzes Verweilen bei ihm. Der Triglaff, der in Brannibor verehrt wurde, war eine urſprünglich pommerſche Gottheit und wurde, wie es ſcheint, erſt in ſpäterer Zeit, ſei es aus Eiferſucht oder ſei es aus Miß- trauen gegen den Radigaſt (in Rhetra), von Pommern her eingeführt. In Kürze haben wir ihn ſchon an anderer Stelle beſchrieben. Er hatte drei Köpfe, weil er Herr im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt war, und ſein Geſicht war verhüllt, zum Zeichen, daß er die Sünden der Menſchen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/46>, abgerufen am 29.03.2024.