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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719.

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Von denen wilden Thieren.
[Spaltenumbruch] die Eichel in die Erde getreten, so könne
er mit der Zeit erleben, daß daraus ein
starcker Baum wachse, der ihm jährlich
Mastung trage, mit der Zeit abnehme,
umbfalle und verfaule, daß er solchen mit
dem Gehörn zerstossen, oder denen Läuff-
ten zerkratzen könne, welches sie auff
drey hundert Jahr lang geschätzet. Vom
Käyser Julio Caesare schreibt man, er ha-
be einigen Hirsch-Kälbern Halß-Bän-
der von Golde machen, seinen Namen
und Jahrzahl darauf stechen lassen, wel-
che etliche hundert Jahr nach seinem To-
de gantz verwachsen befunden worden,
ohne daß man denen Hirschen groß Alter
angesehen habe. Hingegen erlanget ein
Thier, Hündin oder Stück Wild kein
sonderlich hohes Alter, und habe ich ob-
servir
et, daß solche selten über 24. biß 30.
Jahr alt werden, weil dieselben wegen
des jährlichen Setzens der Kälber abge-
mattet werden, und ihre Natur dadurch
von Jahren zu Jahren schwächer wird.
Sonst ist ein gar alter Hirsch wohl zu er-
kennen, wann die Rose voller grosser Per-
len oder Steine nahe und breit ihm auf
dem Kopffe sitzet; Die Stangen lang
und dicke, von tieffen und perrlichten Ri-
tzen, oben feine und flache gedoppelte Kro-
nen, lange weisse abgenutzte Enden, ü-
ber denen Augen tief eingesunckene Gru-
ben, blasse Zunge und trübe Augen,
stumpffe wackelnde Zähne, abgenutzte
kleine Schaalen, stumpffe Klauen, grosse
flache dicke Ballen und dergleichen, nach
dem Augen-Maaß zu sehen sind. Jm
Sommer gehen das Wild und die Hir-
sche fleißig in das Geträyde, als Erbsen,
Gerste, Wicken, Haber, Flachs-Knoten,
Eichel-Mast, wild Obst, Kraut, Rüben,
und dergleichen. Sie halten sich heim-
lich und gehen nicht weit zu Felde, auch
nicht weit zu Holtze, daß sie nicht verra-
then werden. Gegen Jacobi umb die
Erndte-Zeit, werden sie sehr feiste und
nehmen zu, daß man wohl zu Zeiten Jo-
hann Georg des Ersten allhier in Sach-
sen Hirsche gefunden, welche acht biß neun
Centner gewogen, ob es gleich fast eine
Unmögligkeit zu seyn scheinet. Sobald
AEgidii kömmt, jedoch nach der alten Zeit,
wann viel wild Obst oder Eichel-Mast
vorhanden und die Hirsche feiste worden
sind, woraus die Geilheit entstehet, auch
Fröste und kalte Nebel kommen, welche
die Schweiß-Löcher verstopffen und die
Brunfft-Hitze vermehren, wovon sie
gleichsam rasend werden, so gehen die
[Spaltenumbruch] Hirsche von einander, werden begierig,
suchen das Wild und spühren ihnen fleis-
sig nach. Was nun ein Hirsch vor Wild
antrifft und nicht abgetrieben wird, dar-
bey bleibter: So er eines bespringen will
und solches will nicht halten, fänget er an
vor Grimm zu schreyen, scharret dann
in die Erde, reisset und wirfft den Koth
über sich, bespritzet sich mit Saamen
und Harn. Vor Hitze der Brunfft be-
kommt er unter dem Zäum einen
schwartzen Fleck, welcher je länger je grös-
ser wird, namentlich der Brand, und
vom Schreyen einen starcken Halß, wie
einen Kropff, daran lange Spieß-Haa-
re sind; Hält das Maul offen: So er
einmahl seinen Willen erlanget hat, trei-
bet und jaget er das Wild zusammen und
lässet keines ablauffen. Währender
Brunfft-Zeit soll er anders nichts
als Pültze und rothe Schwämme
geniessen: Vor Hitze, sonderlich da Ma-
stung ist, kühlen sich in Brudel und
Morast, daß sie über den gantzen Leib
voller Koth schwartz aussehen, sowohl
die Hirsche als das Wild. Wann
der Hirsch in voller Brunfft stehet und
recht grimmig ist, so weicht er vor
nichts aus, sondern thut offters so-
wohl Menschen als Vieh Schaden: Ein
solcher Brunfft-Hirsch gehet allezeit hin-
ter dem Wild her, und so er einen an-
dern schreyen höret, antwortet er heff-
tiger: Gegen Abend und Morgen wäh-
ret ihr Schreyen am meisten, sonderlich,
wenn es kalt und neblicht ist, oder das
Wetter sich ändert und er nicht seinen
Willen haben kan, seinen Wiederparth
damit abzuschrecken: Wann nun ein
anderer kommt, der noch kein Wild hat
und dieser siehet ihn, so gehet er auff ihn
loß und jener reisset aus: Doch mancher,
welcher ihm gewachsen, und sich zu weh-
ren getrauet, weichet nicht, denn fahren
sie vor Grimm plötzlich mit dem Gehörne
zusammen, daß man es eine Viertel-
stunde, ja bey stillen Wetter noch weiter
klappen höret, und kämpffen mit grosser
Geschwindigkeit; welcher nun den Platz
behält, schützet sich so lange, biß ein stär-
ckerer über ihn kommt, der ihn wieder-
um davon abtreibet. Offte verwirren und
verbeugen sie das Gehörn in einander so
feste, daß sie sowohl selbsten, als andere sol-
ches nicht wieder von einander bringen
können, und öffters beyde auff dem Pla-
bleiben müssen, wenigstens sich viele zu
schanden, krumb und lahm stossen, oder

gar
M 3

Von denen wilden Thieren.
[Spaltenumbruch] die Eichel in die Erde getreten, ſo koͤnne
er mit der Zeit erleben, daß daraus ein
ſtarcker Baum wachſe, der ihm jaͤhrlich
Maſtung trage, mit der Zeit abnehme,
umbfalle und verfaule, daß er ſolchen mit
dem Gehoͤrn zerſtoſſen, oder denen Laͤuff-
ten zerkratzen koͤnne, welches ſie auff
drey hundert Jahr lang geſchaͤtzet. Vom
Kaͤyſer Julio Cæſare ſchreibt man, er ha-
be einigen Hirſch-Kaͤlbern Halß-Baͤn-
der von Golde machen, ſeinen Namen
und Jahrzahl darauf ſtechen laſſen, wel-
che etliche hundert Jahr nach ſeinem To-
de gantz verwachſen befunden worden,
ohne daß man denen Hirſchen groß Alter
angeſehen habe. Hingegen erlanget ein
Thier, Huͤndin oder Stuͤck Wild kein
ſonderlich hohes Alter, und habe ich ob-
ſervir
et, daß ſolche ſelten uͤber 24. biß 30.
Jahr alt werden, weil dieſelben wegen
des jaͤhrlichen Setzens der Kaͤlber abge-
mattet werden, und ihre Natur dadurch
von Jahren zu Jahren ſchwaͤcher wird.
Sonſt iſt ein gar alter Hirſch wohl zu er-
kennen, wann die Roſe voller groſſer Per-
len oder Steine nahe und breit ihm auf
dem Kopffe ſitzet; Die Stangen lang
und dicke, von tieffen und perrlichten Ri-
tzen, oben feine und flache gedoppelte Kro-
nen, lange weiſſe abgenutzte Enden, uͤ-
ber denen Augen tief eingeſunckene Gru-
ben, blaſſe Zunge und truͤbe Augen,
ſtumpffe wackelnde Zaͤhne, abgenutzte
kleine Schaalen, ſtumpffe Klauen, groſſe
flache dicke Ballen und dergleichen, nach
dem Augen-Maaß zu ſehen ſind. Jm
Sommer gehen das Wild und die Hir-
ſche fleißig in das Getraͤyde, als Erbſen,
Gerſte, Wicken, Haber, Flachs-Knoten,
Eichel-Maſt, wild Obſt, Kraut, Ruͤben,
und dergleichen. Sie halten ſich heim-
lich und gehen nicht weit zu Felde, auch
nicht weit zu Holtze, daß ſie nicht verra-
then werden. Gegen Jacobi umb die
Erndte-Zeit, werden ſie ſehr feiſte und
nehmen zu, daß man wohl zu Zeiten Jo-
hann Georg des Erſten allhier in Sach-
ſen Hirſche gefunden, welche acht biß neun
Centner gewogen, ob es gleich faſt eine
Unmoͤgligkeit zu ſeyn ſcheinet. Sobald
Ægidii koͤmmt, jedoch nach der alten Zeit,
wann viel wild Obſt oder Eichel-Maſt
vorhanden und die Hirſche feiſte worden
ſind, woraus die Geilheit entſtehet, auch
Froͤſte und kalte Nebel kommen, welche
die Schweiß-Loͤcher verſtopffen und die
Brunfft-Hitze vermehren, wovon ſie
gleichſam raſend werden, ſo gehen die
[Spaltenumbruch] Hirſche von einander, werden begierig,
ſuchen das Wild und ſpuͤhren ihnen fleiſ-
ſig nach. Was nun ein Hirſch vor Wild
antrifft und nicht abgetrieben wird, dar-
bey bleibter: So er eines beſpringen will
und ſolches will nicht halten, faͤnget er an
vor Grimm zu ſchreyen, ſcharret dann
in die Erde, reiſſet und wirfft den Koth
uͤber ſich, beſpritzet ſich mit Saamen
und Harn. Vor Hitze der Brunfft be-
kommt er unter dem Zaͤum einen
ſchwartzen Fleck, welcher je laͤnger je groͤſ-
ſer wird, namentlich der Brand, und
vom Schreyen einen ſtarcken Halß, wie
einen Kropff, daran lange Spieß-Haa-
re ſind; Haͤlt das Maul offen: So er
einmahl ſeinen Willen erlanget hat, trei-
bet und jaget er das Wild zuſammen und
laͤſſet keines ablauffen. Waͤhrender
Brunfft-Zeit ſoll er anders nichts
als Puͤltze und rothe Schwaͤmme
genieſſen: Vor Hitze, ſonderlich da Ma-
ſtung iſt, kuͤhlen ſich in Brudel und
Moraſt, daß ſie uͤber den gantzen Leib
voller Koth ſchwartz ausſehen, ſowohl
die Hirſche als das Wild. Wann
der Hirſch in voller Brunfft ſtehet und
recht grimmig iſt, ſo weicht er vor
nichts aus, ſondern thut offters ſo-
wohl Menſchen als Vieh Schaden: Ein
ſolcher Brunfft-Hirſch gehet allezeit hin-
ter dem Wild her, und ſo er einen an-
dern ſchreyen hoͤret, antwortet er heff-
tiger: Gegen Abend und Morgen waͤh-
ret ihr Schreyen am meiſten, ſonderlich,
wenn es kalt und neblicht iſt, oder das
Wetter ſich aͤndert und er nicht ſeinen
Willen haben kan, ſeinen Wiederparth
damit abzuſchrecken: Wann nun ein
anderer kommt, der noch kein Wild hat
und dieſer ſiehet ihn, ſo gehet er auff ihn
loß und jener reiſſet aus: Doch mancher,
welcher ihm gewachſen, und ſich zu weh-
ren getrauet, weichet nicht, denn fahren
ſie vor Grimm ploͤtzlich mit dem Gehoͤrne
zuſammen, daß man es eine Viertel-
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klappen hoͤret, und kaͤmpffen mit groſſer
Geſchwindigkeit; welcher nun den Platz
behaͤlt, ſchuͤtzet ſich ſo lange, biß ein ſtaͤr-
ckerer uͤber ihn kommt, der ihn wieder-
um davon abtreibet. Offte verwirren und
verbeugen ſie das Gehoͤrn in einander ſo
feſte, daß ſie ſowohl ſelbſten, als andere ſol-
ches nicht wieder von einander bringen
koͤnnen, und oͤffters beyde auff dem Pla-
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M 3
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[93/0185] Von denen wilden Thieren. die Eichel in die Erde getreten, ſo koͤnne er mit der Zeit erleben, daß daraus ein ſtarcker Baum wachſe, der ihm jaͤhrlich Maſtung trage, mit der Zeit abnehme, umbfalle und verfaule, daß er ſolchen mit dem Gehoͤrn zerſtoſſen, oder denen Laͤuff- ten zerkratzen koͤnne, welches ſie auff drey hundert Jahr lang geſchaͤtzet. Vom Kaͤyſer Julio Cæſare ſchreibt man, er ha- be einigen Hirſch-Kaͤlbern Halß-Baͤn- der von Golde machen, ſeinen Namen und Jahrzahl darauf ſtechen laſſen, wel- che etliche hundert Jahr nach ſeinem To- de gantz verwachſen befunden worden, ohne daß man denen Hirſchen groß Alter angeſehen habe. Hingegen erlanget ein Thier, Huͤndin oder Stuͤck Wild kein ſonderlich hohes Alter, und habe ich ob- ſerviret, daß ſolche ſelten uͤber 24. biß 30. Jahr alt werden, weil dieſelben wegen des jaͤhrlichen Setzens der Kaͤlber abge- mattet werden, und ihre Natur dadurch von Jahren zu Jahren ſchwaͤcher wird. Sonſt iſt ein gar alter Hirſch wohl zu er- kennen, wann die Roſe voller groſſer Per- len oder Steine nahe und breit ihm auf dem Kopffe ſitzet; Die Stangen lang und dicke, von tieffen und perrlichten Ri- tzen, oben feine und flache gedoppelte Kro- nen, lange weiſſe abgenutzte Enden, uͤ- ber denen Augen tief eingeſunckene Gru- ben, blaſſe Zunge und truͤbe Augen, ſtumpffe wackelnde Zaͤhne, abgenutzte kleine Schaalen, ſtumpffe Klauen, groſſe flache dicke Ballen und dergleichen, nach dem Augen-Maaß zu ſehen ſind. Jm Sommer gehen das Wild und die Hir- ſche fleißig in das Getraͤyde, als Erbſen, Gerſte, Wicken, Haber, Flachs-Knoten, Eichel-Maſt, wild Obſt, Kraut, Ruͤben, und dergleichen. Sie halten ſich heim- lich und gehen nicht weit zu Felde, auch nicht weit zu Holtze, daß ſie nicht verra- then werden. Gegen Jacobi umb die Erndte-Zeit, werden ſie ſehr feiſte und nehmen zu, daß man wohl zu Zeiten Jo- hann Georg des Erſten allhier in Sach- ſen Hirſche gefunden, welche acht biß neun Centner gewogen, ob es gleich faſt eine Unmoͤgligkeit zu ſeyn ſcheinet. Sobald Ægidii koͤmmt, jedoch nach der alten Zeit, wann viel wild Obſt oder Eichel-Maſt vorhanden und die Hirſche feiſte worden ſind, woraus die Geilheit entſtehet, auch Froͤſte und kalte Nebel kommen, welche die Schweiß-Loͤcher verſtopffen und die Brunfft-Hitze vermehren, wovon ſie gleichſam raſend werden, ſo gehen die Hirſche von einander, werden begierig, ſuchen das Wild und ſpuͤhren ihnen fleiſ- ſig nach. Was nun ein Hirſch vor Wild antrifft und nicht abgetrieben wird, dar- bey bleibter: So er eines beſpringen will und ſolches will nicht halten, faͤnget er an vor Grimm zu ſchreyen, ſcharret dann in die Erde, reiſſet und wirfft den Koth uͤber ſich, beſpritzet ſich mit Saamen und Harn. Vor Hitze der Brunfft be- kommt er unter dem Zaͤum einen ſchwartzen Fleck, welcher je laͤnger je groͤſ- ſer wird, namentlich der Brand, und vom Schreyen einen ſtarcken Halß, wie einen Kropff, daran lange Spieß-Haa- re ſind; Haͤlt das Maul offen: So er einmahl ſeinen Willen erlanget hat, trei- bet und jaget er das Wild zuſammen und laͤſſet keines ablauffen. Waͤhrender Brunfft-Zeit ſoll er anders nichts als Puͤltze und rothe Schwaͤmme genieſſen: Vor Hitze, ſonderlich da Ma- ſtung iſt, kuͤhlen ſich in Brudel und Moraſt, daß ſie uͤber den gantzen Leib voller Koth ſchwartz ausſehen, ſowohl die Hirſche als das Wild. Wann der Hirſch in voller Brunfft ſtehet und recht grimmig iſt, ſo weicht er vor nichts aus, ſondern thut offters ſo- wohl Menſchen als Vieh Schaden: Ein ſolcher Brunfft-Hirſch gehet allezeit hin- ter dem Wild her, und ſo er einen an- dern ſchreyen hoͤret, antwortet er heff- tiger: Gegen Abend und Morgen waͤh- ret ihr Schreyen am meiſten, ſonderlich, wenn es kalt und neblicht iſt, oder das Wetter ſich aͤndert und er nicht ſeinen Willen haben kan, ſeinen Wiederparth damit abzuſchrecken: Wann nun ein anderer kommt, der noch kein Wild hat und dieſer ſiehet ihn, ſo gehet er auff ihn loß und jener reiſſet aus: Doch mancher, welcher ihm gewachſen, und ſich zu weh- ren getrauet, weichet nicht, denn fahren ſie vor Grimm ploͤtzlich mit dem Gehoͤrne zuſammen, daß man es eine Viertel- ſtunde, ja bey ſtillen Wetter noch weiter klappen hoͤret, und kaͤmpffen mit groſſer Geſchwindigkeit; welcher nun den Platz behaͤlt, ſchuͤtzet ſich ſo lange, biß ein ſtaͤr- ckerer uͤber ihn kommt, der ihn wieder- um davon abtreibet. Offte verwirren und verbeugen ſie das Gehoͤrn in einander ſo feſte, daß ſie ſowohl ſelbſten, als andere ſol- ches nicht wieder von einander bringen koͤnnen, und oͤffters beyde auff dem Pla- bleiben muͤſſen, wenigſtens ſich viele zu ſchanden, krumb und lahm ſtoſſen, oder gar M 3

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Zitationshilfe: Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger01_1719/185>, abgerufen am 28.03.2024.