Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Buch. I. Theil.
keit, in wiefern das Begehrungsvermögen
des Menschen durch die Lust an der Handlung
zur Begehung derselben angetrieben wird.
Dieser sinnliche Antrieb muss, wenn die That
unterbleiben soll, durch einen entgegenge-
setzten sinnlichen Antrieb aufgehoben wer-
den. Solch ein entgegengesetzter sinnlicher
Antrieb ist Unlust (Schmerz, Uebel), als
Folge der begangenen That. Der Wille der
Bürger wird daher durch psychologischen
Zwang zur Unterlassung von Rechtsver-
letzungen bestimmt, wenn jeder weiss, dass
auf seine That ein Uebel folgen werde, welches
grösser ist, als die Unlust, die aus dem nichtbe-
friedigten Antrieb zur That entspringt.

§. 18.

Da der Staat durch psychologischen
Zwang Gesetzmässigkeit bewirken soll; so
muss er diese Ueberzeugung in seinen Bür-
gern erwecken. Er muss also I. auf Rechts-
verletzungen durch ein Gesetz ein solches Uebel
als nothwendige Folge der That androhen,
mithin Rechtsverletzung durch sinnliche
Uebel bedingen (Drohung). Da aber eine
Drohung in sich selbst widersprechend ist,
wenn sie, sobald ihre Voraussetzung existirt,
nicht wirklich ausgeübt wird; so muss auch,
damit die Bürger durch das Gesetz wirklich
zur Unterlassung der bestimmten Rechtsver-
letzungen angetrieben werden können, II.
die gesetzliche Drohung zugefügt werden, so-
bald die Uebertretung geschehen ist, an die
das Gesetz jenes Uebel geknüpft hat. Eine
Drohung, die nicht exequirt wird, ist eine

leere

I. Buch. I. Theil.
keit, in wiefern das Begehrungsvermögen
des Menſchen durch die Luſt an der Handlung
zur Begehung derſelben angetrieben wird.
Dieſer ſinnliche Antrieb muſs, wenn die That
unterbleiben ſoll, durch einen entgegenge-
ſetzten ſinnlichen Antrieb aufgehoben wer-
den. Solch ein entgegengeſetzter ſinnlicher
Antrieb iſt Unluſt (Schmerz, Uebel), als
Folge der begangenen That. Der Wille der
Bürger wird daher durch pſychologiſchen
Zwang zur Unterlaſſung von Rechtsver-
letzungen beſtimmt, wenn jeder weiſs, daſs
auf ſeine That ein Uebel folgen werde, welches
gröſser iſt, als die Unluſt, die aus dem nichtbe-
friedigten Antrieb zur That entſpringt.

§. 18.

Da der Staat durch pſychologiſchen
Zwang Geſetzmäſsigkeit bewirken ſoll; ſo
muſs er dieſe Ueberzeugung in ſeinen Bür-
gern erwecken. Er muſs alſo I. auf Rechts-
verletzungen durch ein Geſetz ein ſolches Uebel
als nothwendige Folge der That androhen,
mithin Rechtsverletzung durch ſinnliche
Uebel bedingen (Drohung). Da aber eine
Drohung in ſich ſelbſt widerſprechend iſt,
wenn ſie, ſobald ihre Vorausſetzung exiſtirt,
nicht wirklich ausgeübt wird; ſo muſs auch,
damit die Bürger durch das Geſetz wirklich
zur Unterlaſſung der beſtimmten Rechtsver-
letzungen angetrieben werden können, II.
die geſetzliche Drohung zugefügt werden, ſo-
bald die Uebertretung geſchehen iſt, an die
das Geſetz jenes Uebel geknüpft hat. Eine
Drohung, die nicht exequirt wird, iſt eine

leere
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0044" n="16"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">I. Buch. I. Theil.</hi></fw><lb/>
keit, in wiefern das Begehrungsvermögen<lb/>
des Men&#x017F;chen durch die Lu&#x017F;t an der Handlung<lb/>
zur Begehung der&#x017F;elben angetrieben wird.<lb/>
Die&#x017F;er &#x017F;innliche Antrieb mu&#x017F;s, wenn die That<lb/>
unterbleiben &#x017F;oll, durch einen entgegenge-<lb/>
&#x017F;etzten &#x017F;innlichen Antrieb aufgehoben wer-<lb/>
den. Solch ein entgegenge&#x017F;etzter &#x017F;innlicher<lb/>
Antrieb i&#x017F;t <hi rendition="#i">Unlu&#x017F;t</hi> (<hi rendition="#i">Schmerz, Uebel</hi>), als<lb/>
Folge der begangenen That. Der Wille der<lb/>
Bürger wird daher durch p&#x017F;ychologi&#x017F;chen<lb/>
Zwang zur Unterla&#x017F;&#x017F;ung von Rechtsver-<lb/>
letzungen be&#x017F;timmt, wenn jeder wei&#x017F;s, <hi rendition="#i">da&#x017F;s<lb/>
auf &#x017F;eine That ein Uebel folgen werde, welches<lb/>
grö&#x017F;ser i&#x017F;t, als die Unlu&#x017F;t, die aus dem nichtbe-<lb/>
friedigten Antrieb zur That ent&#x017F;pringt.</hi></p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 18.</head><lb/>
                <p>Da der Staat durch p&#x017F;ychologi&#x017F;chen<lb/>
Zwang Ge&#x017F;etzmä&#x017F;sigkeit bewirken &#x017F;oll; &#x017F;o<lb/>
mu&#x017F;s er die&#x017F;e Ueberzeugung in &#x017F;einen Bür-<lb/>
gern erwecken. Er mu&#x017F;s al&#x017F;o I. auf Rechts-<lb/>
verletzungen durch ein Ge&#x017F;etz ein &#x017F;olches Uebel<lb/>
als nothwendige Folge der That androhen,<lb/>
mithin Rechtsverletzung durch &#x017F;innliche<lb/>
Uebel bedingen (<hi rendition="#i">Drohung</hi>). Da aber eine<lb/>
Drohung in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wider&#x017F;prechend i&#x017F;t,<lb/>
wenn &#x017F;ie, &#x017F;obald ihre Voraus&#x017F;etzung exi&#x017F;tirt,<lb/>
nicht wirklich ausgeübt wird; &#x017F;o mu&#x017F;s auch,<lb/>
damit die Bürger durch das Ge&#x017F;etz wirklich<lb/>
zur Unterla&#x017F;&#x017F;ung der be&#x017F;timmten Rechtsver-<lb/>
letzungen angetrieben werden können, II.<lb/>
die ge&#x017F;etzliche Drohung <hi rendition="#i">zugefügt</hi> werden, &#x017F;o-<lb/>
bald die Uebertretung ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, an die<lb/>
das Ge&#x017F;etz jenes Uebel geknüpft hat. Eine<lb/>
Drohung, die nicht exequirt wird, i&#x017F;t eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">leere</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0044] I. Buch. I. Theil. keit, in wiefern das Begehrungsvermögen des Menſchen durch die Luſt an der Handlung zur Begehung derſelben angetrieben wird. Dieſer ſinnliche Antrieb muſs, wenn die That unterbleiben ſoll, durch einen entgegenge- ſetzten ſinnlichen Antrieb aufgehoben wer- den. Solch ein entgegengeſetzter ſinnlicher Antrieb iſt Unluſt (Schmerz, Uebel), als Folge der begangenen That. Der Wille der Bürger wird daher durch pſychologiſchen Zwang zur Unterlaſſung von Rechtsver- letzungen beſtimmt, wenn jeder weiſs, daſs auf ſeine That ein Uebel folgen werde, welches gröſser iſt, als die Unluſt, die aus dem nichtbe- friedigten Antrieb zur That entſpringt. §. 18. Da der Staat durch pſychologiſchen Zwang Geſetzmäſsigkeit bewirken ſoll; ſo muſs er dieſe Ueberzeugung in ſeinen Bür- gern erwecken. Er muſs alſo I. auf Rechts- verletzungen durch ein Geſetz ein ſolches Uebel als nothwendige Folge der That androhen, mithin Rechtsverletzung durch ſinnliche Uebel bedingen (Drohung). Da aber eine Drohung in ſich ſelbſt widerſprechend iſt, wenn ſie, ſobald ihre Vorausſetzung exiſtirt, nicht wirklich ausgeübt wird; ſo muſs auch, damit die Bürger durch das Geſetz wirklich zur Unterlaſſung der beſtimmten Rechtsver- letzungen angetrieben werden können, II. die geſetzliche Drohung zugefügt werden, ſo- bald die Uebertretung geſchehen iſt, an die das Geſetz jenes Uebel geknüpft hat. Eine Drohung, die nicht exequirt wird, iſt eine leere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/44
Zitationshilfe: Feuerbach, Paul Johann Anselm von: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts. Giessen, 1801, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_recht_1801/44>, abgerufen am 18.04.2024.