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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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zum Organ des Unendlichen, zum subjectiven Wesen der Re-
ligion gemacht wird, der Gegenstand derselben seinen objecti-
ven Werth verliert. So ist, seitdem man das Gefühl zur
Hauptsache der Religion gemacht, der sonst so heilige Glau-
bensinhalt des Christenthums gleichgültig geworden. Wird
auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenstand noch
Werth eingeräumt, so hat er doch diesen nur um des Gefühls
willen. Würde ein anderer Gegenstand dieselben Gefühle er-
regen, so wäre er eben so willkommen. Der Gegenstand des
Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo
einmal das Gefühl als das subjective Wesen der Religion
ausgesprochen wird, es in der That auch das objective We-
sen
derselben ist, wenn es gleich nicht als solches, wenigstens
direct, ausgesprochen wird. Direct sage ich; denn indirect
wird dieß allerdings eingestanden, indem, wenn einmal das
Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als
solches
, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, also
der Unterschied zwischen specifisch religiösen und irreli-
giösen oder wenigstens nicht religiösen Gefühlen aufgehoben
wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we-
gen seines Wesens, seiner Natur machst Du das Gefühl zum Or-
gan des unendlichen, des göttlichen Wesens? Ist aber nicht die
Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes speciellen Ge-
fühls, sein Gegenstand sei nun welcher er wolle? Was macht also
dieses Gefühl zum religiösen? der bestimmte Gegenstand?
Mit nichten, denn dieser Gegenstand ist selbst nur ein reli-
giöser
, wenn er nicht ein Gegenstand des kalten Verstandes
oder Gedächtnisses, sondern des Gefühls ist. Was also?
die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterschied
des Gegenstandes, Theil hat. Das Gefühl ist also heilig ge-

zum Organ des Unendlichen, zum ſubjectiven Weſen der Re-
ligion gemacht wird, der Gegenſtand derſelben ſeinen objecti-
ven Werth verliert. So iſt, ſeitdem man das Gefühl zur
Hauptſache der Religion gemacht, der ſonſt ſo heilige Glau-
bensinhalt des Chriſtenthums gleichgültig geworden. Wird
auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenſtand noch
Werth eingeräumt, ſo hat er doch dieſen nur um des Gefühls
willen. Würde ein anderer Gegenſtand dieſelben Gefühle er-
regen, ſo wäre er eben ſo willkommen. Der Gegenſtand des
Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo
einmal das Gefühl als das ſubjective Weſen der Religion
ausgeſprochen wird, es in der That auch das objective We-
ſen
derſelben iſt, wenn es gleich nicht als ſolches, wenigſtens
direct, ausgeſprochen wird. Direct ſage ich; denn indirect
wird dieß allerdings eingeſtanden, indem, wenn einmal das
Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als
ſolches
, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, alſo
der Unterſchied zwiſchen ſpecifiſch religiöſen und irreli-
giöſen oder wenigſtens nicht religiöſen Gefühlen aufgehoben
wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we-
gen ſeines Weſens, ſeiner Natur machſt Du das Gefühl zum Or-
gan des unendlichen, des göttlichen Weſens? Iſt aber nicht die
Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes ſpeciellen Ge-
fühls, ſein Gegenſtand ſei nun welcher er wolle? Was macht alſo
dieſes Gefühl zum religiöſen? der beſtimmte Gegenſtand?
Mit nichten, denn dieſer Gegenſtand iſt ſelbſt nur ein reli-
giöſer
, wenn er nicht ein Gegenſtand des kalten Verſtandes
oder Gedächtniſſes, ſondern des Gefühls iſt. Was alſo?
die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterſchied
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[14/0032] zum Organ des Unendlichen, zum ſubjectiven Weſen der Re- ligion gemacht wird, der Gegenſtand derſelben ſeinen objecti- ven Werth verliert. So iſt, ſeitdem man das Gefühl zur Hauptſache der Religion gemacht, der ſonſt ſo heilige Glau- bensinhalt des Chriſtenthums gleichgültig geworden. Wird auch auf dem Standpunkt des Gefühls dem Gegenſtand noch Werth eingeräumt, ſo hat er doch dieſen nur um des Gefühls willen. Würde ein anderer Gegenſtand dieſelben Gefühle er- regen, ſo wäre er eben ſo willkommen. Der Gegenſtand des Gefühls wird aber eben nur deßwegen gleichgültig, weil, wo einmal das Gefühl als das ſubjective Weſen der Religion ausgeſprochen wird, es in der That auch das objective We- ſen derſelben iſt, wenn es gleich nicht als ſolches, wenigſtens direct, ausgeſprochen wird. Direct ſage ich; denn indirect wird dieß allerdings eingeſtanden, indem, wenn einmal das Gefühl für das Organ des Göttlichen gilt, das Gefühl als ſolches, jedes Gefühl als Gefühl für religiös erklärt, alſo der Unterſchied zwiſchen ſpecifiſch religiöſen und irreli- giöſen oder wenigſtens nicht religiöſen Gefühlen aufgehoben wird und aufgehoben werden muß. Warum denn anders als we- gen ſeines Weſens, ſeiner Natur machſt Du das Gefühl zum Or- gan des unendlichen, des göttlichen Weſens? Iſt aber nicht die Natur des Gefühls überhaupt auch die Natur jedes ſpeciellen Ge- fühls, ſein Gegenſtand ſei nun welcher er wolle? Was macht alſo dieſes Gefühl zum religiöſen? der beſtimmte Gegenſtand? Mit nichten, denn dieſer Gegenſtand iſt ſelbſt nur ein reli- giöſer, wenn er nicht ein Gegenſtand des kalten Verſtandes oder Gedächtniſſes, ſondern des Gefühls iſt. Was alſo? die Natur des Gefühls, an der jedes Gefühl, ohne Unterſchied des Gegenſtandes, Theil hat. Das Gefühl iſt alſo heilig ge-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/32>, abgerufen am 16.04.2024.