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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Den Menschen, dessen Wesen der Ton bestimmt, beherrscht
das Gefühl -- wenigstens das Gefühl, welches im Tone sein
entsprechendes Element findet. Nicht der Ton für sich selbst,
nur der inhaltsvolle, der sinn- und gefühlvolle Ton hat Macht
auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl-
volle, d. h. durch sich selbst, sein eignes Wesen bestimmt.
So auch der Wille, so auch und unendlich mehr die Vernunft.
Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer
bewußt werden: wir werden stets zugleich auch unsres eignen
Wesens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti-
gen, ohne uns selbst zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh-
len, Denken Vollkommenheiten sind, Perfectionen, Realitäten,
so ist es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft,
mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine
beschränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder
wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit sind iden-
tisch. Endlichkeit ist nur ein Euphemismus für Nichtigkeit.
Endlichkeit ist der metaphysische, der theoretische, Nichtig-
keit der pathologische, praktische Ausdruck. Was dem
Verstande endlich, ist nichtig dem Herzen. Es ist aber
unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver-
nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom-
menheit, jede ursprüngliche Kraft und Wesenheit die unmit-
telbare Bewahrheitung
und Bekräftigung ihrer selbst
ist. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne
diese Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht
wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes
Wesen ist, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfin-
den. Bewußtsein ist das sich selbst Gegenstand Sein eines
Wesens; daher nichts Apartes, nichts von dem Wesen, das

Den Menſchen, deſſen Weſen der Ton beſtimmt, beherrſcht
das Gefühl — wenigſtens das Gefühl, welches im Tone ſein
entſprechendes Element findet. Nicht der Ton für ſich ſelbſt,
nur der inhaltsvolle, der ſinn- und gefühlvolle Ton hat Macht
auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl-
volle, d. h. durch ſich ſelbſt, ſein eignes Weſen beſtimmt.
So auch der Wille, ſo auch und unendlich mehr die Vernunft.
Was für eines Gegenſtandes wir uns daher auch nur immer
bewußt werden: wir werden ſtets zugleich auch unſres eignen
Weſens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti-
gen, ohne uns ſelbſt zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh-
len, Denken Vollkommenheiten ſind, Perfectionen, Realitäten,
ſo iſt es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft,
mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine
beſchränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder
wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit ſind iden-
tiſch. Endlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Nichtigkeit.
Endlichkeit iſt der metaphyſiſche, der theoretiſche, Nichtig-
keit der pathologiſche, praktiſche Ausdruck. Was dem
Verſtande endlich, iſt nichtig dem Herzen. Es iſt aber
unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver-
nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom-
menheit, jede urſprüngliche Kraft und Weſenheit die unmit-
telbare Bewahrheitung
und Bekräftigung ihrer ſelbſt
iſt. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne
dieſe Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht
wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes
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[8/0026] Den Menſchen, deſſen Weſen der Ton beſtimmt, beherrſcht das Gefühl — wenigſtens das Gefühl, welches im Tone ſein entſprechendes Element findet. Nicht der Ton für ſich ſelbſt, nur der inhaltsvolle, der ſinn- und gefühlvolle Ton hat Macht auf das Gefühl. Das Gefühl wird nur durch das Gefühl- volle, d. h. durch ſich ſelbſt, ſein eignes Weſen beſtimmt. So auch der Wille, ſo auch und unendlich mehr die Vernunft. Was für eines Gegenſtandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden ſtets zugleich auch unſres eignen Weſens uns bewußt. Wir können nichts Anderes bethäti- gen, ohne uns ſelbſt zu bethätigen. Und weil Wollen, Füh- len, Denken Vollkommenheiten ſind, Perfectionen, Realitäten, ſo iſt es unmöglich, daß wir mit Vernunft die Vernunft, mit Gefühl das Gefühl, mit Willen den Willen als eine beſchränkte, endliche d. i. nichtige Kraft empfinden, oder wahrnehmen. Endlichkeit nämlich und Richtigkeit ſind iden- tiſch. Endlichkeit iſt nur ein Euphemismus für Nichtigkeit. Endlichkeit iſt der metaphyſiſche, der theoretiſche, Nichtig- keit der pathologiſche, praktiſche Ausdruck. Was dem Verſtande endlich, iſt nichtig dem Herzen. Es iſt aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Ver- nunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkom- menheit, jede urſprüngliche Kraft und Weſenheit die unmit- telbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer ſelbſt iſt. Man kann nicht lieben, nicht wollen, nicht denken, ohne dieſe Thätigkeiten als Vollkommenheiten zu empfinden, nicht wahrnehmen, daß man ein liebendes, wollendes, denkendes Weſen iſt, ohne darüber eine unendliche Freude zu empfin- den. Bewußtſein iſt das ſich ſelbſt Gegenſtand Sein eines Weſens; daher nichts Apartes, nichts von dem Weſen, das

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/26>, abgerufen am 25.04.2024.