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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Indivi-
duum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich
liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zu Grunde,
aber das, was sie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö-
sen Wahrheit macht, dieß ist gerade das Besondere, das Diffe-
rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinstim-
mende.

Allerdings ist immer und nothwendig das Verhältniß
des Denkens zu den Gegenständen der Religion als ein sie
be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion, oder
wenigstens der Theologie, ein sie diluirendes und destruirendes
Verhältniß -- so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nach-
zuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion
ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen --
aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der
Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders
die Religion, nicht sich selbst expectoriren will. Die wesent-
liche Differenz der Religion von der Philosophie begründet
aber das Bild. Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott
selbst ist ein dramatisches, d. h. persönliches Wesen. Wer der
Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur
das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist als Bild
Sache.

Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Reli-
gion weder zu Gedanken -- wenigstens nicht in dem Sinne
der speculativen Religionsphilosophie -- noch zu Sachen ge-
macht, sondern als Bilder betrachtet -- d. h. die Theologie
wird weder als eine mystische Pragmatologie, wie von der
christlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der
speculativen Religionsphilosophie, sondern als psychische Pa-
thologie
behandelt.

Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist
eine durchaus objective -- die Methode der analytischen
Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög-
lich war, Documente, theils gleich unter dem Text, theils in

dieſe Bedeckung anders aus, als daß das menſchliche Indivi-
duum von Natur nicht ſo iſt, wie es ſein ſoll. Freilich
liegt auch der Erbſünde dieſer allgemeine Gedanke zu Grunde,
aber das, was ſie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö-
ſen Wahrheit macht, dieß iſt gerade das Beſondere, das Diffe-
rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinſtim-
mende.

Allerdings iſt immer und nothwendig das Verhältniß
des Denkens zu den Gegenſtänden der Religion als ein ſie
be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion, oder
wenigſtens der Theologie, ein ſie diluirendes und deſtruirendes
Verhältniß — ſo iſt es auch die Aufgabe dieſer Schrift, nach-
zuweiſen, daß den übernatürlichen Myſterien der Religion
ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen —
aber es iſt zugleich unerläßlich, die weſentliche Differenz der
Philoſophie und Religion ſtets feſtzuhalten, wenn man anders
die Religion, nicht ſich ſelbſt expectoriren will. Die weſent-
liche Differenz der Religion von der Philoſophie begründet
aber das Bild. Die Religion iſt weſentlich dramatiſch. Gott
ſelbſt iſt ein dramatiſches, d. h. perſönliches Weſen. Wer der
Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur
das Caput mortuum in Händen. Das Bild iſt als Bild
Sache.

Hier in dieſer Schrift nun werden die Bilder der Reli-
gion weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne
der ſpeculativen Religionsphiloſophie — noch zu Sachen ge-
macht, ſondern als Bilder betrachtet — d. h. die Theologie
wird weder als eine myſtiſche Pragmatologie, wie von der
chriſtlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der
ſpeculativen Religionsphiloſophie, ſondern als pſychiſche Pa-
thologie
behandelt.

Die Methode, die aber der Verfaſſer hiebei befolgt, iſt
eine durchaus objective — die Methode der analytiſchen
Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög-
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[VI/0012] dieſe Bedeckung anders aus, als daß das menſchliche Indivi- duum von Natur nicht ſo iſt, wie es ſein ſoll. Freilich liegt auch der Erbſünde dieſer allgemeine Gedanke zu Grunde, aber das, was ſie zu einem Glaubensobject, zu einer religiö- ſen Wahrheit macht, dieß iſt gerade das Beſondere, das Diffe- rente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Uebereinſtim- mende. Allerdings iſt immer und nothwendig das Verhältniß des Denkens zu den Gegenſtänden der Religion als ein ſie be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion, oder wenigſtens der Theologie, ein ſie diluirendes und deſtruirendes Verhältniß — ſo iſt es auch die Aufgabe dieſer Schrift, nach- zuweiſen, daß den übernatürlichen Myſterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zu Grunde liegen — aber es iſt zugleich unerläßlich, die weſentliche Differenz der Philoſophie und Religion ſtets feſtzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht ſich ſelbſt expectoriren will. Die weſent- liche Differenz der Religion von der Philoſophie begründet aber das Bild. Die Religion iſt weſentlich dramatiſch. Gott ſelbſt iſt ein dramatiſches, d. h. perſönliches Weſen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild iſt als Bild Sache. Hier in dieſer Schrift nun werden die Bilder der Reli- gion weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne der ſpeculativen Religionsphiloſophie — noch zu Sachen ge- macht, ſondern als Bilder betrachtet — d. h. die Theologie wird weder als eine myſtiſche Pragmatologie, wie von der chriſtlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der ſpeculativen Religionsphiloſophie, ſondern als pſychiſche Pa- thologie behandelt. Die Methode, die aber der Verfaſſer hiebei befolgt, iſt eine durchaus objective — die Methode der analytiſchen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nöthig und mög- lich war, Documente, theils gleich unter dem Text, theils in

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/12>, abgerufen am 28.03.2024.