Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

schichten, nicht an Ideen reicher geworden, und
vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der
Jupiter des einen ist nicht der des andern, Homer
hat einen der zu dem der dorischen und aeolischen
Dichter nicht paßt, und so geht es fort, die eine
Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren sie in
ein Chaos zurück. "Du hast noch nicht den gehö-
rigen Blick, antwortest Du, wenn dieser Dir kommt,
so wird Dir alles aufgethan seyn!" -- Der Jüng-
ling studirt aufs neue, und sinnt unablässig, und
strengt seinen Verstand und seine Phantasie an,
um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End-
lich überrascht er Dich mit seiner glücklichen und
scharfsinnigen Entdeckung, und Du -- wenn Du
die Mythologie kennst -- bist erstaunt, nicht
einen wahren Gedanken in ihr zu finden
.
Laß ihn das Geschäft fortsetzen, Hell! wenn Du
grausam genug dazu bist, und Du wirst immer
den gleichen Erfolg sehen, denn Du kannst
selbst nichts anders
. Endlich führt das Glück
den Armen zu einem besseren Lehrer, oder auch Du
selbst, wenn Du es kannst, wirst dieser bessere
Lehrer und sprichst: Die Fabeln vom Jupiter, die
Du nun von den Mythologen gelernt hast, sind
nicht zu einer Zeit und an einem
Orte
entstanden. Die älteste einfache Mythe, die wir
kennen ist die, z. B. die ionische; diese ist vermehrt
worden durch völlig ungleichartige, z. B. die
cretensischen, und verändert in späteren Zeiten
durch die lyrischen, dramatischen u. a. Dichter nach
ihrem besonderen Zweck
. Jupiter ist ein

ſchichten, nicht an Ideen reicher geworden, und
vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der
Jupiter des einen iſt nicht der des andern, Homer
hat einen der zu dem der doriſchen und aeoliſchen
Dichter nicht paßt, und ſo geht es fort, die eine
Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren ſie in
ein Chaos zuruͤck. „Du haſt noch nicht den gehoͤ-
rigen Blick, antworteſt Du, wenn dieſer Dir kommt,
ſo wird Dir alles aufgethan ſeyn!“ — Der Juͤng-
ling ſtudirt aufs neue, und ſinnt unablaͤſſig, und
ſtrengt ſeinen Verſtand und ſeine Phantaſie an,
um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End-
lich uͤberraſcht er Dich mit ſeiner gluͤcklichen und
ſcharfſinnigen Entdeckung, und Du — wenn Du
die Mythologie kennſt — biſt erſtaunt, nicht
einen wahren Gedanken in ihr zu finden
.
Laß ihn das Geſchaͤft fortſetzen, Hell! wenn Du
grauſam genug dazu biſt, und Du wirſt immer
den gleichen Erfolg ſehen, denn Du kannſt
ſelbſt nichts anders
. Endlich fuͤhrt das Gluͤck
den Armen zu einem beſſeren Lehrer, oder auch Du
ſelbſt, wenn Du es kannſt, wirſt dieſer beſſere
Lehrer und ſprichſt: Die Fabeln vom Jupiter, die
Du nun von den Mythologen gelernt haſt, ſind
nicht zu einer Zeit und an einem
Orte
entſtanden. Die aͤlteſte einfache Mythe, die wir
kennen iſt die, z. B. die ioniſche; dieſe iſt vermehrt
worden durch voͤllig ungleichartige, z. B. die
cretenſiſchen, und veraͤndert in ſpaͤteren Zeiten
durch die lyriſchen, dramatiſchen u. a. Dichter nach
ihrem beſonderen Zweck
. Jupiter iſt ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="340"/>
&#x017F;chichten, nicht an Ideen reicher geworden, und<lb/>
vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der<lb/>
Jupiter des einen i&#x017F;t nicht der des andern, <hi rendition="#g">Homer</hi><lb/>
hat einen der zu dem der dori&#x017F;chen und aeoli&#x017F;chen<lb/>
Dichter nicht paßt, und &#x017F;o geht es fort, die eine<lb/>
Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren &#x017F;ie in<lb/>
ein Chaos zuru&#x0364;ck. &#x201E;Du ha&#x017F;t noch nicht den geho&#x0364;-<lb/>
rigen Blick, antworte&#x017F;t Du, wenn die&#x017F;er Dir kommt,<lb/>
&#x017F;o wird Dir alles aufgethan &#x017F;eyn!&#x201C; &#x2014; Der Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling &#x017F;tudirt aufs neue, und &#x017F;innt unabla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig, und<lb/>
&#x017F;trengt &#x017F;einen Ver&#x017F;tand und &#x017F;eine Phanta&#x017F;ie an,<lb/>
um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End-<lb/>
lich u&#x0364;berra&#x017F;cht er Dich mit &#x017F;einer glu&#x0364;cklichen und<lb/>
&#x017F;charf&#x017F;innigen Entdeckung, und Du &#x2014; wenn Du<lb/>
die Mythologie kenn&#x017F;t &#x2014; bi&#x017F;t er&#x017F;taunt, <hi rendition="#g">nicht<lb/>
einen wahren Gedanken in ihr zu finden</hi>.<lb/>
Laß ihn das Ge&#x017F;cha&#x0364;ft fort&#x017F;etzen, <hi rendition="#g">Hell</hi>! wenn Du<lb/>
grau&#x017F;am genug dazu bi&#x017F;t, und Du wir&#x017F;t immer<lb/>
den gleichen Erfolg &#x017F;ehen, <hi rendition="#g">denn Du kann&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nichts anders</hi>. Endlich fu&#x0364;hrt das Glu&#x0364;ck<lb/>
den Armen zu einem be&#x017F;&#x017F;eren Lehrer, oder auch Du<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, wenn Du es kann&#x017F;t, wir&#x017F;t die&#x017F;er be&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
Lehrer und &#x017F;prich&#x017F;t: Die Fabeln vom Jupiter, die<lb/>
Du nun von den Mythologen gelernt ha&#x017F;t, <hi rendition="#g">&#x017F;ind<lb/>
nicht zu einer Zeit und an einem</hi> Orte<lb/><hi rendition="#g">ent&#x017F;tanden</hi>. Die a&#x0364;lte&#x017F;te einfache Mythe, die wir<lb/>
kennen i&#x017F;t die, z. B. die ioni&#x017F;che; die&#x017F;e i&#x017F;t vermehrt<lb/>
worden durch vo&#x0364;llig ungleichartige, z. B. die<lb/>
creten&#x017F;i&#x017F;chen, und vera&#x0364;ndert in &#x017F;pa&#x0364;teren Zeiten<lb/>
durch die lyri&#x017F;chen, dramati&#x017F;chen u. a. Dichter <hi rendition="#g">nach<lb/>
ihrem be&#x017F;onderen Zweck</hi>. Jupiter i&#x017F;t ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0362] ſchichten, nicht an Ideen reicher geworden, und vom Jupiter weiß ich in der That Nichts. Der Jupiter des einen iſt nicht der des andern, Homer hat einen der zu dem der doriſchen und aeoliſchen Dichter nicht paßt, und ſo geht es fort, die eine Fabel verwirrt die andere, und zuletzt kehren ſie in ein Chaos zuruͤck. „Du haſt noch nicht den gehoͤ- rigen Blick, antworteſt Du, wenn dieſer Dir kommt, ſo wird Dir alles aufgethan ſeyn!“ — Der Juͤng- ling ſtudirt aufs neue, und ſinnt unablaͤſſig, und ſtrengt ſeinen Verſtand und ſeine Phantaſie an, um Einheit in die Verwirrung zu bringen. End- lich uͤberraſcht er Dich mit ſeiner gluͤcklichen und ſcharfſinnigen Entdeckung, und Du — wenn Du die Mythologie kennſt — biſt erſtaunt, nicht einen wahren Gedanken in ihr zu finden. Laß ihn das Geſchaͤft fortſetzen, Hell! wenn Du grauſam genug dazu biſt, und Du wirſt immer den gleichen Erfolg ſehen, denn Du kannſt ſelbſt nichts anders. Endlich fuͤhrt das Gluͤck den Armen zu einem beſſeren Lehrer, oder auch Du ſelbſt, wenn Du es kannſt, wirſt dieſer beſſere Lehrer und ſprichſt: Die Fabeln vom Jupiter, die Du nun von den Mythologen gelernt haſt, ſind nicht zu einer Zeit und an einem Orte entſtanden. Die aͤlteſte einfache Mythe, die wir kennen iſt die, z. B. die ioniſche; dieſe iſt vermehrt worden durch voͤllig ungleichartige, z. B. die cretenſiſchen, und veraͤndert in ſpaͤteren Zeiten durch die lyriſchen, dramatiſchen u. a. Dichter nach ihrem beſonderen Zweck. Jupiter iſt ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/362
Zitationshilfe: [Fessler, Ignaz Aurelius]: Eleusinien des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. Berlin, 1803, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fessler_eleusinien02_1803/362>, abgerufen am 23.04.2024.