Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
sten Gestalt den Höhepunkt der Aufschlitzung bezeichnend, ist so
sehr ein Ausfluß des speciell reformatorischen Geistes, daß sich
diese Bemerkung selbst nicht den evangelischen Sittenpredigern
entziehen kann. So sagt Andreas Musculus in seinem Hosen-
teufel: "Es möchte sich billig ein Christ hoch darüber verwun-
dern und der Ursachen nachdenken, wie es immer mehr komme,
daß solche unzüchtige und unehrliche Kleidung sonst bei keinem
Volk erfunden als allein bei den Christen und nirgend in keinem
Land so allgemein und erschrecklich als eben in den Ländern und
Stätten, in welchen Gott seine Gnade ausgegossen, sein liebes
Wort und reine Lehr des Evangelii hat lassen predigen. Denn
wer Lust hätte von wunders wegen, solche unflethige, bübische
und unzüchtige Pluderteufel zu sehen, der such sie nit unter dem
Papstthum, sondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund
lutherisch und evangelisch genennet werden, da wird er sie häu-
fig zu sehen kriegen, bis auf den höchsten Greuel und Ekel, daß
ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem
greulichsten Meerwunder sich entsetzen und erschrecken wird."

Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens
heraufstieg und eine That des Bürgerthums genannt werden
kann, so kam auch diesmal der Anstoß zur Umgestaltung in der
Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen
Bürger und den Adel und auch die Fürstenhöfe mit sich fort.
Die Landsknechte waren es, selber erst ein Geschöpf der
neuen Zeit, welche die Mode der Aufschlitzung zu bestimmter
Gestaltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch
zu solchem Uebermaß sich verstiegen, daß endlich der Reaction
der Sieg nicht schwer werden konnte. Wir müssen uns darum
dieses Kriegsvolk etwas näher besehen.

Wir haben schon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des
Ritterthums die Entscheidung der Schlachten auf den Fußknecht
übergegangen war. Die Schweizer hatten in dieser Kampfesart
die ersten Lorbeeren errungen. Da schuf Maximilian die Lands-
knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der
Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten

III. Die Neuzeit.
ſten Geſtalt den Höhepunkt der Aufſchlitzung bezeichnend, iſt ſo
ſehr ein Ausfluß des ſpeciell reformatoriſchen Geiſtes, daß ſich
dieſe Bemerkung ſelbſt nicht den evangeliſchen Sittenpredigern
entziehen kann. So ſagt Andreas Musculus in ſeinem Hoſen-
teufel: „Es möchte ſich billig ein Chriſt hoch darüber verwun-
dern und der Urſachen nachdenken, wie es immer mehr komme,
daß ſolche unzüchtige und unehrliche Kleidung ſonſt bei keinem
Volk erfunden als allein bei den Chriſten und nirgend in keinem
Land ſo allgemein und erſchrecklich als eben in den Ländern und
Stätten, in welchen Gott ſeine Gnade ausgegoſſen, ſein liebes
Wort und reine Lehr des Evangelii hat laſſen predigen. Denn
wer Luſt hätte von wunders wegen, ſolche unflethige, bübiſche
und unzüchtige Pluderteufel zu ſehen, der ſuch ſie nit unter dem
Papſtthum, ſondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund
lutheriſch und evangeliſch genennet werden, da wird er ſie häu-
fig zu ſehen kriegen, bis auf den höchſten Greuel und Ekel, daß
ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem
greulichſten Meerwunder ſich entſetzen und erſchrecken wird.“

Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens
heraufſtieg und eine That des Bürgerthums genannt werden
kann, ſo kam auch diesmal der Anſtoß zur Umgeſtaltung in der
Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen
Bürger und den Adel und auch die Fürſtenhöfe mit ſich fort.
Die Landsknechte waren es, ſelber erſt ein Geſchöpf der
neuen Zeit, welche die Mode der Aufſchlitzung zu beſtimmter
Geſtaltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch
zu ſolchem Uebermaß ſich verſtiegen, daß endlich der Reaction
der Sieg nicht ſchwer werden konnte. Wir müſſen uns darum
dieſes Kriegsvolk etwas näher beſehen.

Wir haben ſchon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des
Ritterthums die Entſcheidung der Schlachten auf den Fußknecht
übergegangen war. Die Schweizer hatten in dieſer Kampfesart
die erſten Lorbeeren errungen. Da ſchuf Maximilian die Lands-
knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der
Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
&#x017F;ten Ge&#x017F;talt den Höhepunkt der Auf&#x017F;chlitzung bezeichnend, i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr ein Ausfluß des &#x017F;peciell reformatori&#x017F;chen Gei&#x017F;tes, daß &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;e Bemerkung &#x017F;elb&#x017F;t nicht den evangeli&#x017F;chen Sittenpredigern<lb/>
entziehen kann. So &#x017F;agt Andreas Musculus in &#x017F;einem Ho&#x017F;en-<lb/>
teufel: &#x201E;Es möchte &#x017F;ich billig ein Chri&#x017F;t hoch darüber verwun-<lb/>
dern und der Ur&#x017F;achen nachdenken, wie es immer mehr komme,<lb/>
daß &#x017F;olche unzüchtige und unehrliche Kleidung &#x017F;on&#x017F;t bei keinem<lb/>
Volk erfunden als allein bei den Chri&#x017F;ten und nirgend in keinem<lb/>
Land &#x017F;o allgemein und er&#x017F;chrecklich als eben in den Ländern und<lb/>
Stätten, in welchen Gott &#x017F;eine Gnade ausgego&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ein liebes<lb/>
Wort und reine Lehr des Evangelii hat la&#x017F;&#x017F;en predigen. Denn<lb/>
wer Lu&#x017F;t hätte von wunders wegen, &#x017F;olche unflethige, bübi&#x017F;che<lb/>
und unzüchtige Pluderteufel zu &#x017F;ehen, der &#x017F;uch &#x017F;ie nit unter dem<lb/>
Pap&#x017F;tthum, &#x017F;ondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund<lb/>
lutheri&#x017F;ch und evangeli&#x017F;ch genennet werden, da wird er &#x017F;ie häu-<lb/>
fig zu &#x017F;ehen kriegen, bis auf den höch&#x017F;ten Greuel und Ekel, daß<lb/>
ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem<lb/>
greulich&#x017F;ten Meerwunder &#x017F;ich ent&#x017F;etzen und er&#x017F;chrecken wird.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens<lb/>
herauf&#x017F;tieg und eine That des Bürgerthums genannt werden<lb/>
kann, &#x017F;o kam auch diesmal der An&#x017F;toß zur Umge&#x017F;taltung in der<lb/>
Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen<lb/>
Bürger und den Adel und auch die Für&#x017F;tenhöfe mit &#x017F;ich fort.<lb/>
Die <hi rendition="#g">Landsknechte</hi> waren es, &#x017F;elber er&#x017F;t ein Ge&#x017F;chöpf der<lb/>
neuen Zeit, welche die Mode der Auf&#x017F;chlitzung zu be&#x017F;timmter<lb/>
Ge&#x017F;taltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch<lb/>
zu &#x017F;olchem Uebermaß &#x017F;ich ver&#x017F;tiegen, daß endlich der Reaction<lb/>
der Sieg nicht &#x017F;chwer werden konnte. Wir mü&#x017F;&#x017F;en uns darum<lb/>
die&#x017F;es Kriegsvolk etwas näher be&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Wir haben &#x017F;chon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des<lb/>
Ritterthums die Ent&#x017F;cheidung der Schlachten auf den Fußknecht<lb/>
übergegangen war. Die Schweizer hatten in die&#x017F;er Kampfesart<lb/>
die er&#x017F;ten Lorbeeren errungen. Da &#x017F;chuf Maximilian die Lands-<lb/>
knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der<lb/>
Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0046] III. Die Neuzeit. ſten Geſtalt den Höhepunkt der Aufſchlitzung bezeichnend, iſt ſo ſehr ein Ausfluß des ſpeciell reformatoriſchen Geiſtes, daß ſich dieſe Bemerkung ſelbſt nicht den evangeliſchen Sittenpredigern entziehen kann. So ſagt Andreas Musculus in ſeinem Hoſen- teufel: „Es möchte ſich billig ein Chriſt hoch darüber verwun- dern und der Urſachen nachdenken, wie es immer mehr komme, daß ſolche unzüchtige und unehrliche Kleidung ſonſt bei keinem Volk erfunden als allein bei den Chriſten und nirgend in keinem Land ſo allgemein und erſchrecklich als eben in den Ländern und Stätten, in welchen Gott ſeine Gnade ausgegoſſen, ſein liebes Wort und reine Lehr des Evangelii hat laſſen predigen. Denn wer Luſt hätte von wunders wegen, ſolche unflethige, bübiſche und unzüchtige Pluderteufel zu ſehen, der ſuch ſie nit unter dem Papſtthum, ſondern gehe in die Stätt und Länder, die jetzund lutheriſch und evangeliſch genennet werden, da wird er ſie häu- fig zu ſehen kriegen, bis auf den höchſten Greuel und Ekel, daß ihm auch das Herz darüber wehe thun und dafür als für dem greulichſten Meerwunder ſich entſetzen und erſchrecken wird.“ Wie die ganze Bewegung aus der Tiefe des Volkslebens heraufſtieg und eine That des Bürgerthums genannt werden kann, ſo kam auch diesmal der Anſtoß zur Umgeſtaltung in der Trachtenwelt von unten her und riß den ruhigen vornehmen Bürger und den Adel und auch die Fürſtenhöfe mit ſich fort. Die Landsknechte waren es, ſelber erſt ein Geſchöpf der neuen Zeit, welche die Mode der Aufſchlitzung zu beſtimmter Geſtaltung brachten, welche fortan den Reigen führten, aber auch zu ſolchem Uebermaß ſich verſtiegen, daß endlich der Reaction der Sieg nicht ſchwer werden konnte. Wir müſſen uns darum dieſes Kriegsvolk etwas näher beſehen. Wir haben ſchon oben bemerkt, wie mit dem Sinken des Ritterthums die Entſcheidung der Schlachten auf den Fußknecht übergegangen war. Die Schweizer hatten in dieſer Kampfesart die erſten Lorbeeren errungen. Da ſchuf Maximilian die Lands- knechte, und die Noth der Zeit, die unaufhörlichen Kriege der Völker, welche an die Stelle der kleinen Fehden traten, machten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/46
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/46>, abgerufen am 20.04.2024.