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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

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1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Stände, an deren Stelle der Rang und eine fast willkürlich er-
scheinende Classificirung tritt, wie sie in den Luxusgesetzen be-
obachtet wird. Nicht einmal Wehr und Waffen konnte sich der
Adel vorbehalten. Obwohl er Anfangs sich erst recht durch Dicke
und Undurchdringlichkeit der Rüstung zu schützen suchte, konnte
er doch so wenig dem Feuerrohr widerstehen, das ihn fällte, be-
vor er seinem Mann das Weiße im Auge sah, wie den geschlosse-
nen oder leicht beweglichen Gliedern der Landsknechte. Das
Fußvolk übt jetzt die Entscheidung der Schlachten; der Ritter
kann seinen Harnisch als Erinnerung in der Väter Hallen auf-
hängen, statt der adligen Lanze den gemeinen Spieß ergreifen
und sich als Gleicher in die Reihen des Fußvolks stellen.

In dem politischen Umschwunge trugen die Fürsten den
Preis davon. Durch das Sinken des Adels nicht bloß von einem
Gegner befreit, sondern positiv an Macht gewachsen, bald durch
die Secularisation geistlicher Güter verstärkt, durch die öffentliche
Meinung gehoben und durch die Religion befestigt, errangen sie
die völlige Landeshoheit und legten den Grund zu der unum-
schränkten Gewalt, welcher die nächsten Jahrhunderte zustrebten.
Ihnen gegenüber verloren Kaiser und Reich und wie der Adel,
so auch die freien Städte.

Nach unten hin wurde die Umwandlung der Dinge mehr
socialer oder social politischer Natur bis auf den Bauer herab,
der, hier bedrückt, dort übermüthig, hier darbend, dort reich und
üppig, eine Zeit lang durch die Gährung aus dem Grunde an
die Oberfläche geschleudert wurde. Dann versank er wieder in
die Tiefe, denn seine Zeit war noch nicht gekommen, wo er mit
feststehender Bedeutung als ein nothwendiges und in seinem
Werthe erkanntes Glied in die politische Ordnung der mensch-
lichen Gesellschaft eingereiht werden sollte.

In der ganzen Welt des Bürgerthums, in der gelehrten wie
ungelehrten, in Handel und Gewerbe und bei den gebietenden
Herren dürfte kaum eine Sphäre zu finden sein, die nicht auch
ohne die religiöse Erschütterung von der Bewegung mächtig
ergriffen gewesen wäre. Abgesehen von der Aufregung der Ge-

1. Die Reformation an Haupt und Gliedern.
Stände, an deren Stelle der Rang und eine faſt willkürlich er-
ſcheinende Claſſificirung tritt, wie ſie in den Luxusgeſetzen be-
obachtet wird. Nicht einmal Wehr und Waffen konnte ſich der
Adel vorbehalten. Obwohl er Anfangs ſich erſt recht durch Dicke
und Undurchdringlichkeit der Rüſtung zu ſchützen ſuchte, konnte
er doch ſo wenig dem Feuerrohr widerſtehen, das ihn fällte, be-
vor er ſeinem Mann das Weiße im Auge ſah, wie den geſchloſſe-
nen oder leicht beweglichen Gliedern der Landsknechte. Das
Fußvolk übt jetzt die Entſcheidung der Schlachten; der Ritter
kann ſeinen Harniſch als Erinnerung in der Väter Hallen auf-
hängen, ſtatt der adligen Lanze den gemeinen Spieß ergreifen
und ſich als Gleicher in die Reihen des Fußvolks ſtellen.

In dem politiſchen Umſchwunge trugen die Fürſten den
Preis davon. Durch das Sinken des Adels nicht bloß von einem
Gegner befreit, ſondern poſitiv an Macht gewachſen, bald durch
die Seculariſation geiſtlicher Güter verſtärkt, durch die öffentliche
Meinung gehoben und durch die Religion befeſtigt, errangen ſie
die völlige Landeshoheit und legten den Grund zu der unum-
ſchränkten Gewalt, welcher die nächſten Jahrhunderte zuſtrebten.
Ihnen gegenüber verloren Kaiſer und Reich und wie der Adel,
ſo auch die freien Städte.

Nach unten hin wurde die Umwandlung der Dinge mehr
ſocialer oder ſocial politiſcher Natur bis auf den Bauer herab,
der, hier bedrückt, dort übermüthig, hier darbend, dort reich und
üppig, eine Zeit lang durch die Gährung aus dem Grunde an
die Oberfläche geſchleudert wurde. Dann verſank er wieder in
die Tiefe, denn ſeine Zeit war noch nicht gekommen, wo er mit
feſtſtehender Bedeutung als ein nothwendiges und in ſeinem
Werthe erkanntes Glied in die politiſche Ordnung der menſch-
lichen Geſellſchaft eingereiht werden ſollte.

In der ganzen Welt des Bürgerthums, in der gelehrten wie
ungelehrten, in Handel und Gewerbe und bei den gebietenden
Herren dürfte kaum eine Sphäre zu finden ſein, die nicht auch
ohne die religiöſe Erſchütterung von der Bewegung mächtig
ergriffen geweſen wäre. Abgeſehen von der Aufregung der Ge-

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[7/0019] 1. Die Reformation an Haupt und Gliedern. Stände, an deren Stelle der Rang und eine faſt willkürlich er- ſcheinende Claſſificirung tritt, wie ſie in den Luxusgeſetzen be- obachtet wird. Nicht einmal Wehr und Waffen konnte ſich der Adel vorbehalten. Obwohl er Anfangs ſich erſt recht durch Dicke und Undurchdringlichkeit der Rüſtung zu ſchützen ſuchte, konnte er doch ſo wenig dem Feuerrohr widerſtehen, das ihn fällte, be- vor er ſeinem Mann das Weiße im Auge ſah, wie den geſchloſſe- nen oder leicht beweglichen Gliedern der Landsknechte. Das Fußvolk übt jetzt die Entſcheidung der Schlachten; der Ritter kann ſeinen Harniſch als Erinnerung in der Väter Hallen auf- hängen, ſtatt der adligen Lanze den gemeinen Spieß ergreifen und ſich als Gleicher in die Reihen des Fußvolks ſtellen. In dem politiſchen Umſchwunge trugen die Fürſten den Preis davon. Durch das Sinken des Adels nicht bloß von einem Gegner befreit, ſondern poſitiv an Macht gewachſen, bald durch die Seculariſation geiſtlicher Güter verſtärkt, durch die öffentliche Meinung gehoben und durch die Religion befeſtigt, errangen ſie die völlige Landeshoheit und legten den Grund zu der unum- ſchränkten Gewalt, welcher die nächſten Jahrhunderte zuſtrebten. Ihnen gegenüber verloren Kaiſer und Reich und wie der Adel, ſo auch die freien Städte. Nach unten hin wurde die Umwandlung der Dinge mehr ſocialer oder ſocial politiſcher Natur bis auf den Bauer herab, der, hier bedrückt, dort übermüthig, hier darbend, dort reich und üppig, eine Zeit lang durch die Gährung aus dem Grunde an die Oberfläche geſchleudert wurde. Dann verſank er wieder in die Tiefe, denn ſeine Zeit war noch nicht gekommen, wo er mit feſtſtehender Bedeutung als ein nothwendiges und in ſeinem Werthe erkanntes Glied in die politiſche Ordnung der menſch- lichen Geſellſchaft eingereiht werden ſollte. In der ganzen Welt des Bürgerthums, in der gelehrten wie ungelehrten, in Handel und Gewerbe und bei den gebietenden Herren dürfte kaum eine Sphäre zu finden ſein, die nicht auch ohne die religiöſe Erſchütterung von der Bewegung mächtig ergriffen geweſen wäre. Abgeſehen von der Aufregung der Ge-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/19>, abgerufen am 20.04.2024.