Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Die Neuzeit.
Rock verwandelte. Dieses Kleidungsstück hatte in seiner alten
und ursprünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an-
gelegt werden müssen, die zunehmende Enge machte das am
Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Einschnitte
vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge-
sucht hatte, schnitt man das Kleid auf in seiner ganzen Länge herab,
so daß es nun im buchstäblicheren Sinne angezogen werden
konnte. Der Knopfbesatz, der den Schnitt begleitete, that ohne-
hin der Enge Vorschub. Auch die obere Tunica, der spätere
Trappert und die Schaube, obwohl sie sich als Vertreterin des
Mantels fast durchgängig in größerer Weite und Länge hielt,
wurde ganz in derselben Weise aus dem Ueberwurf in den An-
zug verwandelt. Doch wurde für sie diese Form erst an der
Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein.

Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica
oder des Rockes bis zur Jacke steht die Entwicklung des Bein-
kleides in nothwendigem Zusammenhang. Wenn wir als die
allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel-
alters die der s. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan-
zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den
Unterleib schützende Leinwandhose hineingesteckt wurde, so mußte
diese Art doch völlig verschwinden, als sich der Rock in so bedeu-
tender Weise verkürzte. In der That haben wir auch erfahren,
daß dieses in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um-
änderung gleichzeitig geschah. Damals wurde das lange, von
der Hüfte bis zur Zehe in einem Stück herabreichende Beinkleid
zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli-
chen Welt. Wie wir gesehen haben, schrumpfte der Rock bis zur
Jacke zusammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid
rings mit Nesteln an dieselbe befestigt. So war die Form noch
um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angegossen in
lästigster Enge jedem Gliede an, soweit nicht die keimende Mode
der Aufschlitzung schon am Arme ihren Einfluß anzukündigen
begann. Es läßt sich nicht sagen, daß der Anstand dabei völlig
gewahrt worden wäre und um so weniger, als Hals und Schul-

III. Die Neuzeit.
Rock verwandelte. Dieſes Kleidungsſtück hatte in ſeiner alten
und urſprünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an-
gelegt werden müſſen, die zunehmende Enge machte das am
Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Einſchnitte
vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge-
ſucht hatte, ſchnitt man das Kleid auf in ſeiner ganzen Länge herab,
ſo daß es nun im buchſtäblicheren Sinne angezogen werden
konnte. Der Knopfbeſatz, der den Schnitt begleitete, that ohne-
hin der Enge Vorſchub. Auch die obere Tunica, der ſpätere
Trappert und die Schaube, obwohl ſie ſich als Vertreterin des
Mantels faſt durchgängig in größerer Weite und Länge hielt,
wurde ganz in derſelben Weiſe aus dem Ueberwurf in den An-
zug verwandelt. Doch wurde für ſie dieſe Form erſt an der
Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein.

Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica
oder des Rockes bis zur Jacke ſteht die Entwicklung des Bein-
kleides in nothwendigem Zuſammenhang. Wenn wir als die
allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel-
alters die der ſ. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan-
zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den
Unterleib ſchützende Leinwandhoſe hineingeſteckt wurde, ſo mußte
dieſe Art doch völlig verſchwinden, als ſich der Rock in ſo bedeu-
tender Weiſe verkürzte. In der That haben wir auch erfahren,
daß dieſes in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um-
änderung gleichzeitig geſchah. Damals wurde das lange, von
der Hüfte bis zur Zehe in einem Stück herabreichende Beinkleid
zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli-
chen Welt. Wie wir geſehen haben, ſchrumpfte der Rock bis zur
Jacke zuſammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid
rings mit Neſteln an dieſelbe befeſtigt. So war die Form noch
um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angegoſſen in
läſtigſter Enge jedem Gliede an, ſoweit nicht die keimende Mode
der Aufſchlitzung ſchon am Arme ihren Einfluß anzukündigen
begann. Es läßt ſich nicht ſagen, daß der Anſtand dabei völlig
gewahrt worden wäre und um ſo weniger, als Hals und Schul-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0016" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
Rock verwandelte. Die&#x017F;es Kleidungs&#x017F;tück hatte in &#x017F;einer alten<lb/>
und ur&#x017F;prünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an-<lb/>
gelegt werden mü&#x017F;&#x017F;en, die zunehmende Enge machte das am<lb/>
Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Ein&#x017F;chnitte<lb/>
vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge-<lb/>
&#x017F;ucht hatte, &#x017F;chnitt man das Kleid auf in &#x017F;einer ganzen Länge herab,<lb/>
&#x017F;o daß es nun im buch&#x017F;täblicheren Sinne <hi rendition="#g">angezogen</hi> werden<lb/>
konnte. Der Knopfbe&#x017F;atz, der den Schnitt begleitete, that ohne-<lb/>
hin der Enge Vor&#x017F;chub. Auch die obere Tunica, der &#x017F;pätere<lb/>
Trappert und die Schaube, obwohl &#x017F;ie &#x017F;ich als Vertreterin des<lb/>
Mantels fa&#x017F;t durchgängig in größerer Weite und Länge hielt,<lb/>
wurde ganz in der&#x017F;elben Wei&#x017F;e aus dem Ueberwurf in den An-<lb/>
zug verwandelt. Doch wurde für &#x017F;ie die&#x017F;e Form er&#x017F;t an der<lb/>
Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein.</p><lb/>
          <p>Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica<lb/>
oder des Rockes bis zur Jacke &#x017F;teht die Entwicklung des Bein-<lb/>
kleides in nothwendigem Zu&#x017F;ammenhang. Wenn wir als die<lb/>
allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel-<lb/>
alters die der &#x017F;. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan-<lb/>
zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den<lb/>
Unterleib &#x017F;chützende Leinwandho&#x017F;e hineinge&#x017F;teckt wurde, &#x017F;o mußte<lb/>
die&#x017F;e Art doch völlig ver&#x017F;chwinden, als &#x017F;ich der Rock in &#x017F;o bedeu-<lb/>
tender Wei&#x017F;e verkürzte. In der That haben wir auch erfahren,<lb/>
daß die&#x017F;es in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um-<lb/>
änderung gleichzeitig ge&#x017F;chah. Damals wurde das lange, von<lb/>
der Hüfte bis zur Zehe in <hi rendition="#g">einem</hi> Stück herabreichende Beinkleid<lb/>
zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli-<lb/>
chen Welt. Wie wir ge&#x017F;ehen haben, &#x017F;chrumpfte der Rock bis zur<lb/>
Jacke zu&#x017F;ammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid<lb/>
rings mit Ne&#x017F;teln an die&#x017F;elbe befe&#x017F;tigt. So war die Form noch<lb/>
um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angego&#x017F;&#x017F;en in<lb/>&#x017F;tig&#x017F;ter Enge jedem Gliede an, &#x017F;oweit nicht die keimende Mode<lb/>
der Auf&#x017F;chlitzung &#x017F;chon am Arme ihren Einfluß anzukündigen<lb/>
begann. Es läßt &#x017F;ich nicht &#x017F;agen, daß der An&#x017F;tand dabei völlig<lb/>
gewahrt worden wäre und um &#x017F;o weniger, als Hals und Schul-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0016] III. Die Neuzeit. Rock verwandelte. Dieſes Kleidungsſtück hatte in ſeiner alten und urſprünglichen Form durch Ueberwerfen über den Kopf an- gelegt werden müſſen, die zunehmende Enge machte das am Ende unmöglich. Nachdem man eine Zeit lang durch Einſchnitte vorn von oben und unten her vergeblich dem Uebel abzuhelfen ge- ſucht hatte, ſchnitt man das Kleid auf in ſeiner ganzen Länge herab, ſo daß es nun im buchſtäblicheren Sinne angezogen werden konnte. Der Knopfbeſatz, der den Schnitt begleitete, that ohne- hin der Enge Vorſchub. Auch die obere Tunica, der ſpätere Trappert und die Schaube, obwohl ſie ſich als Vertreterin des Mantels faſt durchgängig in größerer Weite und Länge hielt, wurde ganz in derſelben Weiſe aus dem Ueberwurf in den An- zug verwandelt. Doch wurde für ſie dieſe Form erſt an der Grenze des Mittelalters gegen das Jahr 1500 allgemein. Mit der allmähligen Verkürzung und Verengung der Tunica oder des Rockes bis zur Jacke ſteht die Entwicklung des Bein- kleides in nothwendigem Zuſammenhang. Wenn wir als die allgemeinere Form für die früheren Jahrhunderte des Mittel- alters die der ſ. g. Bruche annehmen, d. h. der langen, die gan- zen Beine deckenden Strümpfe, in welche von oben her eine den Unterleib ſchützende Leinwandhoſe hineingeſteckt wurde, ſo mußte dieſe Art doch völlig verſchwinden, als ſich der Rock in ſo bedeu- tender Weiſe verkürzte. In der That haben wir auch erfahren, daß dieſes in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts bei jener Um- änderung gleichzeitig geſchah. Damals wurde das lange, von der Hüfte bis zur Zehe in einem Stück herabreichende Beinkleid zur allgemeinen Tracht in der ganzen vornehmen und bürgerli- chen Welt. Wie wir geſehen haben, ſchrumpfte der Rock bis zur Jacke zuſammen. Um die Hüfte herum wurde nun das Beinkleid rings mit Neſteln an dieſelbe befeſtigt. So war die Form noch um 1500. Beinkleid und Jacke lagen damals wie angegoſſen in läſtigſter Enge jedem Gliede an, ſoweit nicht die keimende Mode der Aufſchlitzung ſchon am Arme ihren Einfluß anzukündigen begann. Es läßt ſich nicht ſagen, daß der Anſtand dabei völlig gewahrt worden wäre und um ſo weniger, als Hals und Schul-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/16
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/16>, abgerufen am 19.04.2024.