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Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von dem Schicksal einer Bekannten, die durch Liebe unglücklich geworden. Es drängte sich uns die Betrachtung auf, daß im Grunde nur so äußerst wenige Menschen von der Liebe, im höchsten Sinne, wüßten, und nach einigen näher führenden Wendungen fragte ich zutraulich, ob sie denn so lieben könne, wie eben bestimmt worden, daß Liebe sei? -- Ich habe mir es eingebildet, erwiderte sie lächelnd, doch seitdem ich Kinder habe, scheint es mir unmöglich, wenigstens steht eine Liebe als Leidenschaft außerhalb meines Kreises. -- Aber es giebt auch neben der Leidenschaft, entgegnete ich, schöne, reiche Liebesverhältnisse, und ich schilderte lebhaft die klare und verständige Vereinigung, die man mit heitrer Lebenseinsicht schließe und besonnen behaupte zu beiderseitigem Glück. -- Sie meinte, es bleibe nur schön und bringe nur Glück, so lange es klar sei, das daure aber selten lange. Sie fügte hinzu, ein Mann, der sie nicht liebe, könne auch nicht ihr Freund sein; denn das Wohlgefallen sei das Erste, die Achtung nur das Zweite, sie wolle sich lieber auf das Erstere verlassen, doch sei das Andre auch recht gut. -- So hätte ich ja eben einen recht glücklichen Ausdruck von Ihnen gehört, rief ich aus, Eugenie! wie sehr Sie mir gefallen, das haben Sie tausendmal gehört, aber jetzt lassen Sie mich noch fragen, ob ich auch Ihnen gefalle? Ich bog mich zu ihr hinüber, sie blickte auf, sah mich eine Weile gelassen an und blickte dann wieder ruhig vor sich nieder, indem sie sagte, ich miß-

von dem Schicksal einer Bekannten, die durch Liebe unglücklich geworden. Es drängte sich uns die Betrachtung auf, daß im Grunde nur so äußerst wenige Menschen von der Liebe, im höchsten Sinne, wüßten, und nach einigen näher führenden Wendungen fragte ich zutraulich, ob sie denn so lieben könne, wie eben bestimmt worden, daß Liebe sei? — Ich habe mir es eingebildet, erwiderte sie lächelnd, doch seitdem ich Kinder habe, scheint es mir unmöglich, wenigstens steht eine Liebe als Leidenschaft außerhalb meines Kreises. — Aber es giebt auch neben der Leidenschaft, entgegnete ich, schöne, reiche Liebesverhältnisse, und ich schilderte lebhaft die klare und verständige Vereinigung, die man mit heitrer Lebenseinsicht schließe und besonnen behaupte zu beiderseitigem Glück. — Sie meinte, es bleibe nur schön und bringe nur Glück, so lange es klar sei, das daure aber selten lange. Sie fügte hinzu, ein Mann, der sie nicht liebe, könne auch nicht ihr Freund sein; denn das Wohlgefallen sei das Erste, die Achtung nur das Zweite, sie wolle sich lieber auf das Erstere verlassen, doch sei das Andre auch recht gut. — So hätte ich ja eben einen recht glücklichen Ausdruck von Ihnen gehört, rief ich aus, Eugenie! wie sehr Sie mir gefallen, das haben Sie tausendmal gehört, aber jetzt lassen Sie mich noch fragen, ob ich auch Ihnen gefalle? Ich bog mich zu ihr hinüber, sie blickte auf, sah mich eine Weile gelassen an und blickte dann wieder ruhig vor sich nieder, indem sie sagte, ich miß-

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[0030] von dem Schicksal einer Bekannten, die durch Liebe unglücklich geworden. Es drängte sich uns die Betrachtung auf, daß im Grunde nur so äußerst wenige Menschen von der Liebe, im höchsten Sinne, wüßten, und nach einigen näher führenden Wendungen fragte ich zutraulich, ob sie denn so lieben könne, wie eben bestimmt worden, daß Liebe sei? — Ich habe mir es eingebildet, erwiderte sie lächelnd, doch seitdem ich Kinder habe, scheint es mir unmöglich, wenigstens steht eine Liebe als Leidenschaft außerhalb meines Kreises. — Aber es giebt auch neben der Leidenschaft, entgegnete ich, schöne, reiche Liebesverhältnisse, und ich schilderte lebhaft die klare und verständige Vereinigung, die man mit heitrer Lebenseinsicht schließe und besonnen behaupte zu beiderseitigem Glück. — Sie meinte, es bleibe nur schön und bringe nur Glück, so lange es klar sei, das daure aber selten lange. Sie fügte hinzu, ein Mann, der sie nicht liebe, könne auch nicht ihr Freund sein; denn das Wohlgefallen sei das Erste, die Achtung nur das Zweite, sie wolle sich lieber auf das Erstere verlassen, doch sei das Andre auch recht gut. — So hätte ich ja eben einen recht glücklichen Ausdruck von Ihnen gehört, rief ich aus, Eugenie! wie sehr Sie mir gefallen, das haben Sie tausendmal gehört, aber jetzt lassen Sie mich noch fragen, ob ich auch Ihnen gefalle? Ich bog mich zu ihr hinüber, sie blickte auf, sah mich eine Weile gelassen an und blickte dann wieder ruhig vor sich nieder, indem sie sagte, ich miß-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/30>, abgerufen am 29.03.2024.