Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten, das zauberische Oeffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum erstenmal wahrnähme. Mein wie in Neugier verlorenes Zusehen muß jedoch zugleich ein freudigerstauntes Lächeln gewesen sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne Entzücken an den sanftglühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, daß er meiner Sehnsucht zum Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren, in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen Recht haben, fügte sie

das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten, das zauberische Oeffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum erstenmal wahrnähme. Mein wie in Neugier verlorenes Zusehen muß jedoch zugleich ein freudigerstauntes Lächeln gewesen sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne Entzücken an den sanftglühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, daß er meiner Sehnsucht zum Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren, in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen Recht haben, fügte sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0015"/>
das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken                wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten,                das zauberische Oeffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren                Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen                Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum erstenmal wahrnähme. Mein wie in                Neugier verlorenes Zusehen muß jedoch zugleich ein freudigerstauntes Lächeln gewesen                sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von                äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne                Entzücken an den sanftglühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das                in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange                dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, daß er meiner Sehnsucht zum                Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren,                in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet                fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen                drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn                schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der                Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen                Recht haben, fügte sie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten, das zauberische Oeffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum erstenmal wahrnähme. Mein wie in Neugier verlorenes Zusehen muß jedoch zugleich ein freudigerstauntes Lächeln gewesen sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne Entzücken an den sanftglühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, daß er meiner Sehnsucht zum Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren, in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen Recht haben, fügte sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:43:47Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/15
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/15>, abgerufen am 20.04.2024.