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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Nach meiner Liebsten mich umseh'n
Thu' ich wohl, zieh' ich früh von hier,
Doch Sie mag niemals zu mir geh'n
Im dunkelgrünen Waldrevier.

Sie sang weiter:

Im dunkelgrünen Waldrevier,
Da blizt der Liebste rosenroth,
Gefällt so sehr dem armen Thier,
Das Hirschlein wünscht, es läge todt.

Der Jäger antwortete wieder:

Und wär' das schöne Hirschlein todt,
So möcht' ich länger jagen nicht;
Scheint über'n Wald der Morgenroth:
Hüt', schönes Hirschlein, hüte dich!

Sie.

Hüt' schönes Hirschlein, hüte dich!
Spricht's Hirschlein selbst in seinem Sinn,
Wie soll ich, soll ich hüten mich,
Wenn ich so sehr verliebet bin?

Er.

Weil ich so sehr verliebet bin,
Wollt' ich das Hirschlein, schön und wild,
Aufsuchen tief im Walde d'rinn
Und streicheln, bis es stille hielt.

Sie.

Ja, streicheln bis es stille hielt,
Falsch locken so in Stall und Haus!
Zum Wald springt's Hirschlein frey und wild
Und lacht verliebte Narren aus.
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Nach meiner Liebſten mich umſeh'n
Thu' ich wohl, zieh' ich früh von hier,
Doch Sie mag niemals zu mir geh'n
Im dunkelgrünen Waldrevier.

Sie ſang weiter:

Im dunkelgrünen Waldrevier,
Da blizt der Liebſte roſenroth,
Gefällt ſo ſehr dem armen Thier,
Das Hirſchlein wünſcht, es läge todt.

Der Jäger antwortete wieder:

Und wär' das ſchöne Hirſchlein todt,
So möcht' ich länger jagen nicht;
Scheint über'n Wald der Morgenroth:
Hüt', ſchönes Hirſchlein, hüte dich!

Sie.

Hüt' ſchönes Hirſchlein, hüte dich!
Spricht's Hirſchlein ſelbſt in ſeinem Sinn,
Wie ſoll ich, ſoll ich hüten mich,
Wenn ich ſo ſehr verliebet bin?

Er.

Weil ich ſo ſehr verliebet bin,
Wollt' ich das Hirſchlein, ſchön und wild,
Aufſuchen tief im Walde d'rinn
Und ſtreicheln, bis es ſtille hielt.

Sie.

Ja, ſtreicheln bis es ſtille hielt,
Falſch locken ſo in Stall und Haus!
Zum Wald ſpringt's Hirſchlein frey und wild
Und lacht verliebte Narren aus.
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[33/0039] Nach meiner Liebſten mich umſeh'n Thu' ich wohl, zieh' ich früh von hier, Doch Sie mag niemals zu mir geh'n Im dunkelgrünen Waldrevier. Sie ſang weiter: Im dunkelgrünen Waldrevier, Da blizt der Liebſte roſenroth, Gefällt ſo ſehr dem armen Thier, Das Hirſchlein wünſcht, es läge todt. Der Jäger antwortete wieder: Und wär' das ſchöne Hirſchlein todt, So möcht' ich länger jagen nicht; Scheint über'n Wald der Morgenroth: Hüt', ſchönes Hirſchlein, hüte dich! Sie. Hüt' ſchönes Hirſchlein, hüte dich! Spricht's Hirſchlein ſelbſt in ſeinem Sinn, Wie ſoll ich, ſoll ich hüten mich, Wenn ich ſo ſehr verliebet bin? Er. Weil ich ſo ſehr verliebet bin, Wollt' ich das Hirſchlein, ſchön und wild, Aufſuchen tief im Walde d'rinn Und ſtreicheln, bis es ſtille hielt. Sie. Ja, ſtreicheln bis es ſtille hielt, Falſch locken ſo in Stall und Haus! Zum Wald ſpringt's Hirſchlein frey und wild Und lacht verliebte Narren aus. 3

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/39>, abgerufen am 29.03.2024.