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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Ihm war recht innerlichst fröhlich zu Muthe. Tau¬
send Erinnerungen, Entwürfe und Hoffnungen zo¬
gen wie ein Schattenspiel durch seine bewegte
Brust. Das Bild der schönen Rosa stand wieder
ganz lebendig in ihm auf, mit aller Farbenpracht
des Morgens gemahlt und geschmückt. Der Son¬
nenschein, der laue Wind und Lerchensang verwirr¬
te sich in das Bild, und so entstand in seinem
glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er im¬
merfort laut vor sich hersang:

Grüß' euch aus Herzensgrund:
Zwey Augen hell und rein,
Zwey Röslein auf dem Mund,
Kleid blank aus Sonnenschein!
Nachtigall klagt und weint,
Wollüstig rauscht der Hain,
Alles die Liebste meynt:
Wo weilt sie so allein?
Weil's draußen finster war,
Sah ich viel hellern Schein,
Jezt ist es licht und klar,
Ich muß im Dunkeln seyn.
Sonne nicht steigen mag,
Sieht so verschlafen drein,
Wünschet den ganzen Tag,
Daß wieder Nacht möcht' seyn.
Liebe geht durch die Luft,
Holt fern die Liebste ein;
Fort über Berg und Kluft!
Und Sie wird doch noch mein!
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Ihm war recht innerlichſt fröhlich zu Muthe. Tau¬
ſend Erinnerungen, Entwürfe und Hoffnungen zo¬
gen wie ein Schattenſpiel durch ſeine bewegte
Bruſt. Das Bild der ſchönen Roſa ſtand wieder
ganz lebendig in ihm auf, mit aller Farbenpracht
des Morgens gemahlt und geſchmückt. Der Son¬
nenſchein, der laue Wind und Lerchenſang verwirr¬
te ſich in das Bild, und ſo entſtand in ſeinem
glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er im¬
merfort laut vor ſich herſang:

Grüß' euch aus Herzensgrund:
Zwey Augen hell und rein,
Zwey Röslein auf dem Mund,
Kleid blank aus Sonnenſchein!
Nachtigall klagt und weint,
Wollüſtig rauſcht der Hain,
Alles die Liebſte meynt:
Wo weilt ſie ſo allein?
Weil's draußen finſter war,
Sah ich viel hellern Schein,
Jezt iſt es licht und klar,
Ich muß im Dunkeln ſeyn.
Sonne nicht ſteigen mag,
Sieht ſo verſchlafen drein,
Wünſchet den ganzen Tag,
Daß wieder Nacht möcht' ſeyn.
Liebe geht durch die Luft,
Holt fern die Liebſte ein;
Fort über Berg und Kluft!
Und Sie wird doch noch mein!
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[19/0025] Ihm war recht innerlichſt fröhlich zu Muthe. Tau¬ ſend Erinnerungen, Entwürfe und Hoffnungen zo¬ gen wie ein Schattenſpiel durch ſeine bewegte Bruſt. Das Bild der ſchönen Roſa ſtand wieder ganz lebendig in ihm auf, mit aller Farbenpracht des Morgens gemahlt und geſchmückt. Der Son¬ nenſchein, der laue Wind und Lerchenſang verwirr¬ te ſich in das Bild, und ſo entſtand in ſeinem glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er im¬ merfort laut vor ſich herſang: Grüß' euch aus Herzensgrund: Zwey Augen hell und rein, Zwey Röslein auf dem Mund, Kleid blank aus Sonnenſchein! Nachtigall klagt und weint, Wollüſtig rauſcht der Hain, Alles die Liebſte meynt: Wo weilt ſie ſo allein? Weil's draußen finſter war, Sah ich viel hellern Schein, Jezt iſt es licht und klar, Ich muß im Dunkeln ſeyn. Sonne nicht ſteigen mag, Sieht ſo verſchlafen drein, Wünſchet den ganzen Tag, Daß wieder Nacht möcht' ſeyn. Liebe geht durch die Luft, Holt fern die Liebſte ein; Fort über Berg und Kluft! Und Sie wird doch noch mein! 2 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/25>, abgerufen am 29.03.2024.