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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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des steinernen Gastes: "Don Giovanni! A cenar teco..." Ich lasse mir meinen individuellen Bedarf eben so wohl das schlichteste Volkslied, wie den über-genialen Tumult des Walkürenritts gelten, wiewohl ich bekenne, daß ich für jene Schlichtheit und Einfachheit häufiger disponirt bin. Dennoch: so sehr mein Gemüt überall da mitschwingt, wo ächte Kunst mit gottbegnadeter Hand in die Saiten greift, so sehr hasse ich den Exceß, den Mißbrauch, die strafbare Ungebühr... Und daß der Exceß, der Mißbrauch, die strafbare Ungebühr auf keinem Gebiet unseres schöngeistigen Lebens so blindwüthig einhertollt, wie auf dem der Musik, das soll dem Leser in den hier folgenden Blättern ... nicht etwa als eine Hiobspost mitgetheilt, nein, ihm aus der innersten Tiefe seines eignen bedrängten Gefühls heraus zum Bewußtsein gebracht werden.

Von einem vergleichsweise unbedeutenden Uebelstand, der sich zunächst mir aufdrängt, will ich nur ganz im Vorbeigehn reden. Ich meine das tadelnswerthe Zu-viel-auf-einmal, das leider nicht nur bei musikalisch-dramatischen Darbietungen, wo die Verantwortung auf den Tondichter fällt, sondern ebenso sehr im Concertsaal und im Privatsalon seine breitschattenden Flügel entfaltet. Selbst Wagnerianer vom reinsten Wasser geben uns zu, daß ein Tag aus den Nibelungen ganz gewaltige Anforderungen an die Genußfähigkeit stellt, wobei dem sakrilegischen Nicht-Wagnerianer unwillkürlich das Goethesche: "Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage" auf den erschauernden Lippen schwebt. Aber das mag noch unkritisirt bleiben, da es nicht wohl angeht, das Rheingold aus Gründen der praktischen Wohlfahrt in zwei Theile zu trennen. Was aber zwingt die Veranstalter eines Concerts, zwei große Beethoven'sche Symphonieen unmittelbar nach einander zu

des steinernen Gastes: „Don Giovanni! A cenar teco…“ Ich lasse mir meinen individuellen Bedarf eben so wohl das schlichteste Volkslied, wie den über-genialen Tumult des Walkürenritts gelten, wiewohl ich bekenne, daß ich für jene Schlichtheit und Einfachheit häufiger disponirt bin. Dennoch: so sehr mein Gemüt überall da mitschwingt, wo ächte Kunst mit gottbegnadeter Hand in die Saiten greift, so sehr hasse ich den Exceß, den Mißbrauch, die strafbare Ungebühr… Und daß der Exceß, der Mißbrauch, die strafbare Ungebühr auf keinem Gebiet unseres schöngeistigen Lebens so blindwüthig einhertollt, wie auf dem der Musik, das soll dem Leser in den hier folgenden Blättern … nicht etwa als eine Hiobspost mitgetheilt, nein, ihm aus der innersten Tiefe seines eignen bedrängten Gefühls heraus zum Bewußtsein gebracht werden.

Von einem vergleichsweise unbedeutenden Uebelstand, der sich zunächst mir aufdrängt, will ich nur ganz im Vorbeigehn reden. Ich meine das tadelnswerthe Zu-viel-auf-einmal, das leider nicht nur bei musikalisch-dramatischen Darbietungen, wo die Verantwortung auf den Tondichter fällt, sondern ebenso sehr im Concertsaal und im Privatsalon seine breitschattenden Flügel entfaltet. Selbst Wagnerianer vom reinsten Wasser geben uns zu, daß ein Tag aus den Nibelungen ganz gewaltige Anforderungen an die Genußfähigkeit stellt, wobei dem sakrilegischen Nicht-Wagnerianer unwillkürlich das Goethesche: "Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage" auf den erschauernden Lippen schwebt. Aber das mag noch unkritisirt bleiben, da es nicht wohl angeht, das Rheingold aus Gründen der praktischen Wohlfahrt in zwei Theile zu trennen. Was aber zwingt die Veranstalter eines Concerts, zwei große Beethoven’sche Symphonieen unmittelbar nach einander zu

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[10/0012] des steinernen Gastes: „Don Giovanni! A cenar teco…“ Ich lasse mir meinen individuellen Bedarf eben so wohl das schlichteste Volkslied, wie den über-genialen Tumult des Walkürenritts gelten, wiewohl ich bekenne, daß ich für jene Schlichtheit und Einfachheit häufiger disponirt bin. Dennoch: so sehr mein Gemüt überall da mitschwingt, wo ächte Kunst mit gottbegnadeter Hand in die Saiten greift, so sehr hasse ich den Exceß, den Mißbrauch, die strafbare Ungebühr… Und daß der Exceß, der Mißbrauch, die strafbare Ungebühr auf keinem Gebiet unseres schöngeistigen Lebens so blindwüthig einhertollt, wie auf dem der Musik, das soll dem Leser in den hier folgenden Blättern … nicht etwa als eine Hiobspost mitgetheilt, nein, ihm aus der innersten Tiefe seines eignen bedrängten Gefühls heraus zum Bewußtsein gebracht werden. Von einem vergleichsweise unbedeutenden Uebelstand, der sich zunächst mir aufdrängt, will ich nur ganz im Vorbeigehn reden. Ich meine das tadelnswerthe Zu-viel-auf-einmal, das leider nicht nur bei musikalisch-dramatischen Darbietungen, wo die Verantwortung auf den Tondichter fällt, sondern ebenso sehr im Concertsaal und im Privatsalon seine breitschattenden Flügel entfaltet. Selbst Wagnerianer vom reinsten Wasser geben uns zu, daß ein Tag aus den Nibelungen ganz gewaltige Anforderungen an die Genußfähigkeit stellt, wobei dem sakrilegischen Nicht-Wagnerianer unwillkürlich das Goethesche: "Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage" auf den erschauernden Lippen schwebt. Aber das mag noch unkritisirt bleiben, da es nicht wohl angeht, das Rheingold aus Gründen der praktischen Wohlfahrt in zwei Theile zu trennen. Was aber zwingt die Veranstalter eines Concerts, zwei große Beethoven’sche Symphonieen unmittelbar nach einander zu

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/12>, abgerufen am 23.04.2024.