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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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lerisch Strebenden bey den reichbesetzten Tafeln seiner
Werke zu Gaste, und in ihren Wirkungen zeugen sie
von der allgemeinen Quelle eines großen Lichtes und
Lebens, aus der sie geschöpft haben.

Diese und ähnliche Gedanken gingen mir bey Tisch
durch den Kopf. Ich dachte an einzelne Personen, an
manchen wackeren deutschen Künstler, Naturforscher,
Dichter und Critiker, die einen großen Theil ihrer Bil¬
dung Goethen zu danken haben. Ich dachte an geist¬
reiche Italiener, Franzosen und Engländer, die auf ihn
ihre Augen richten und die in seinem Sinne handeln.

Unterdessen hatte man um mich her heiter gescherzt
und gesprochen und es sich an guten Gerichten wohl seyn
lassen. Ich hatte auch mitunter ein Wörtchen mit drein
geredet, aber alles, ohne eigentlich bey der Sache zu
seyn. Eine Dame hatte eine Frage an mich gerichtet,
worauf ich vielleicht nicht die beste Antwort mochte ge¬
geben haben. Ich wurde geneckt.

"Laßt nur den Eckermann, sagte Goethe, er ist im¬
mer abwesend, außer wenn er im Theater sitzt."

Man lachte auf meine Kosten; doch war es mir
nicht unlieb. Ich war heute in meinem Gemüth beson¬
ders glücklich. Ich segnete mein Geschick, das mich,
nach manchen wunderlichen Fügungen, den Wenigen
zugesellet hatte, die den Umgang und das nähere Ver¬
trauen eines Mannes genießen, dessen Größe mir noch
vor wenig Augenblicken lebhaft durch die Seele gegan¬

leriſch Strebenden bey den reichbeſetzten Tafeln ſeiner
Werke zu Gaſte, und in ihren Wirkungen zeugen ſie
von der allgemeinen Quelle eines großen Lichtes und
Lebens, aus der ſie geſchoͤpft haben.

Dieſe und aͤhnliche Gedanken gingen mir bey Tiſch
durch den Kopf. Ich dachte an einzelne Perſonen, an
manchen wackeren deutſchen Kuͤnſtler, Naturforſcher,
Dichter und Critiker, die einen großen Theil ihrer Bil¬
dung Goethen zu danken haben. Ich dachte an geiſt¬
reiche Italiener, Franzoſen und Englaͤnder, die auf ihn
ihre Augen richten und die in ſeinem Sinne handeln.

Unterdeſſen hatte man um mich her heiter geſcherzt
und geſprochen und es ſich an guten Gerichten wohl ſeyn
laſſen. Ich hatte auch mitunter ein Woͤrtchen mit drein
geredet, aber alles, ohne eigentlich bey der Sache zu
ſeyn. Eine Dame hatte eine Frage an mich gerichtet,
worauf ich vielleicht nicht die beſte Antwort mochte ge¬
geben haben. Ich wurde geneckt.

„Laßt nur den Eckermann, ſagte Goethe, er iſt im¬
mer abweſend, außer wenn er im Theater ſitzt.“

Man lachte auf meine Koſten; doch war es mir
nicht unlieb. Ich war heute in meinem Gemuͤth beſon¬
ders gluͤcklich. Ich ſegnete mein Geſchick, das mich,
nach manchen wunderlichen Fuͤgungen, den Wenigen
zugeſellet hatte, die den Umgang und das naͤhere Ver¬
trauen eines Mannes genießen, deſſen Groͤße mir noch
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[36/0046] leriſch Strebenden bey den reichbeſetzten Tafeln ſeiner Werke zu Gaſte, und in ihren Wirkungen zeugen ſie von der allgemeinen Quelle eines großen Lichtes und Lebens, aus der ſie geſchoͤpft haben. Dieſe und aͤhnliche Gedanken gingen mir bey Tiſch durch den Kopf. Ich dachte an einzelne Perſonen, an manchen wackeren deutſchen Kuͤnſtler, Naturforſcher, Dichter und Critiker, die einen großen Theil ihrer Bil¬ dung Goethen zu danken haben. Ich dachte an geiſt¬ reiche Italiener, Franzoſen und Englaͤnder, die auf ihn ihre Augen richten und die in ſeinem Sinne handeln. Unterdeſſen hatte man um mich her heiter geſcherzt und geſprochen und es ſich an guten Gerichten wohl ſeyn laſſen. Ich hatte auch mitunter ein Woͤrtchen mit drein geredet, aber alles, ohne eigentlich bey der Sache zu ſeyn. Eine Dame hatte eine Frage an mich gerichtet, worauf ich vielleicht nicht die beſte Antwort mochte ge¬ geben haben. Ich wurde geneckt. „Laßt nur den Eckermann, ſagte Goethe, er iſt im¬ mer abweſend, außer wenn er im Theater ſitzt.“ Man lachte auf meine Koſten; doch war es mir nicht unlieb. Ich war heute in meinem Gemuͤth beſon¬ ders gluͤcklich. Ich ſegnete mein Geſchick, das mich, nach manchen wunderlichen Fuͤgungen, den Wenigen zugeſellet hatte, die den Umgang und das naͤhere Ver¬ trauen eines Mannes genießen, deſſen Groͤße mir noch vor wenig Augenblicken lebhaft durch die Seele gegan¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/46>, abgerufen am 28.03.2024.