Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

trauen, das Sie sogleich über Vieles hinaushelfen und
das Ihnen lebenslänglich zu Gute kommen soll. Meine
Sachen können nicht popular werden
; wer
daran denkt und dafür strebt, ist in einem Irrthum.
Sie sind nicht für die Masse geschrieben, sondern nur
für einzelne Menschen, die etwas Ähnliches wollen und
suchen, und die in ähnlichen Richtungen begriffen sind."

Er wollte weiter reden; eine junge Dame trat heran,
ihn unterbrechend und ihn in ein Gespräch ziehend. Ich
wendete mich zu Anderen, worauf wir uns bald zu
Tisch setzten.

Von dem, was gesprochen wurde, wüßte ich nichts
zu sagen; Goethe's Worte lagen mir im Sinn und be¬
schäftigten ganz mein Inneres.

Freylich, dachte ich, ein Schriftsteller wie Er, ein
Geist von solcher Höhe, eine Natur von so unendlichem
Umfang, wie soll der popular werden! Kann doch kaum
ein kleiner Theil von ihm popular werden! Kaum ein
Lied, das lustige Brüder und verliebte Mädchen singen
und das für Andere wiederum nicht da ist.

Und, recht besehen, ist es nicht mit allen außeror¬
dentlichen Dingen so? Ist denn Mozart popular? Und
ist es denn Raphael? -- Und verhält sich nicht die
Welt gegen so große Quellen überschwenglichen geistigen
Lebens überall nur wie Naschende, die froh sind, hin
und wieder ein Weniges zu erhaschen, das ihnen eine
Weile eine höhere Nahrung gewähre?

trauen, das Sie ſogleich uͤber Vieles hinaushelfen und
das Ihnen lebenslaͤnglich zu Gute kommen ſoll. Meine
Sachen koͤnnen nicht popular werden
; wer
daran denkt und dafuͤr ſtrebt, iſt in einem Irrthum.
Sie ſind nicht fuͤr die Maſſe geſchrieben, ſondern nur
fuͤr einzelne Menſchen, die etwas Ähnliches wollen und
ſuchen, und die in aͤhnlichen Richtungen begriffen ſind.“

Er wollte weiter reden; eine junge Dame trat heran,
ihn unterbrechend und ihn in ein Geſpraͤch ziehend. Ich
wendete mich zu Anderen, worauf wir uns bald zu
Tiſch ſetzten.

Von dem, was geſprochen wurde, wuͤßte ich nichts
zu ſagen; Goethe's Worte lagen mir im Sinn und be¬
ſchaͤftigten ganz mein Inneres.

Freylich, dachte ich, ein Schriftſteller wie Er, ein
Geiſt von ſolcher Hoͤhe, eine Natur von ſo unendlichem
Umfang, wie ſoll der popular werden! Kann doch kaum
ein kleiner Theil von ihm popular werden! Kaum ein
Lied, das luſtige Bruͤder und verliebte Maͤdchen ſingen
und das fuͤr Andere wiederum nicht da iſt.

Und, recht beſehen, iſt es nicht mit allen außeror¬
dentlichen Dingen ſo? Iſt denn Mozart popular? Und
iſt es denn Raphael? — Und verhaͤlt ſich nicht die
Welt gegen ſo große Quellen uͤberſchwenglichen geiſtigen
Lebens uͤberall nur wie Naſchende, die froh ſind, hin
und wieder ein Weniges zu erhaſchen, das ihnen eine
Weile eine hoͤhere Nahrung gewaͤhre?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0044" n="34"/>
trauen, das Sie &#x017F;ogleich u&#x0364;ber Vieles hinaushelfen und<lb/>
das Ihnen lebensla&#x0364;nglich zu Gute kommen &#x017F;oll. <hi rendition="#g">Meine<lb/>
Sachen ko&#x0364;nnen nicht popular werden</hi>; wer<lb/>
daran denkt und dafu&#x0364;r &#x017F;trebt, i&#x017F;t in einem Irrthum.<lb/>
Sie &#x017F;ind nicht fu&#x0364;r die Ma&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;chrieben, &#x017F;ondern nur<lb/>
fu&#x0364;r einzelne Men&#x017F;chen, die etwas Ähnliches wollen und<lb/>
&#x017F;uchen, und die in a&#x0364;hnlichen Richtungen begriffen &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Er wollte weiter reden; eine junge Dame trat heran,<lb/>
ihn unterbrechend und ihn in ein Ge&#x017F;pra&#x0364;ch ziehend. Ich<lb/>
wendete mich zu Anderen, worauf wir uns bald zu<lb/>
Ti&#x017F;ch &#x017F;etzten.</p><lb/>
          <p>Von dem, was ge&#x017F;prochen wurde, wu&#x0364;ßte ich nichts<lb/>
zu &#x017F;agen; Goethe's Worte lagen mir im Sinn und be¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigten ganz mein Inneres.</p><lb/>
          <p>Freylich, dachte ich, ein Schrift&#x017F;teller wie Er, ein<lb/>
Gei&#x017F;t von &#x017F;olcher Ho&#x0364;he, eine Natur von &#x017F;o unendlichem<lb/>
Umfang, wie &#x017F;oll der popular werden! Kann doch kaum<lb/>
ein kleiner Theil von ihm popular werden! Kaum ein<lb/>
Lied, das lu&#x017F;tige Bru&#x0364;der und verliebte Ma&#x0364;dchen &#x017F;ingen<lb/>
und das fu&#x0364;r Andere wiederum nicht da i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Und, recht be&#x017F;ehen, i&#x017F;t es nicht mit allen außeror¬<lb/>
dentlichen Dingen &#x017F;o? I&#x017F;t denn Mozart popular? Und<lb/>
i&#x017F;t es denn Raphael? &#x2014; Und verha&#x0364;lt &#x017F;ich nicht die<lb/>
Welt gegen &#x017F;o große Quellen u&#x0364;ber&#x017F;chwenglichen gei&#x017F;tigen<lb/>
Lebens u&#x0364;berall nur wie Na&#x017F;chende, die froh &#x017F;ind, hin<lb/>
und wieder ein Weniges zu erha&#x017F;chen, das ihnen eine<lb/>
Weile eine ho&#x0364;here Nahrung gewa&#x0364;hre?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0044] trauen, das Sie ſogleich uͤber Vieles hinaushelfen und das Ihnen lebenslaͤnglich zu Gute kommen ſoll. Meine Sachen koͤnnen nicht popular werden; wer daran denkt und dafuͤr ſtrebt, iſt in einem Irrthum. Sie ſind nicht fuͤr die Maſſe geſchrieben, ſondern nur fuͤr einzelne Menſchen, die etwas Ähnliches wollen und ſuchen, und die in aͤhnlichen Richtungen begriffen ſind.“ Er wollte weiter reden; eine junge Dame trat heran, ihn unterbrechend und ihn in ein Geſpraͤch ziehend. Ich wendete mich zu Anderen, worauf wir uns bald zu Tiſch ſetzten. Von dem, was geſprochen wurde, wuͤßte ich nichts zu ſagen; Goethe's Worte lagen mir im Sinn und be¬ ſchaͤftigten ganz mein Inneres. Freylich, dachte ich, ein Schriftſteller wie Er, ein Geiſt von ſolcher Hoͤhe, eine Natur von ſo unendlichem Umfang, wie ſoll der popular werden! Kann doch kaum ein kleiner Theil von ihm popular werden! Kaum ein Lied, das luſtige Bruͤder und verliebte Maͤdchen ſingen und das fuͤr Andere wiederum nicht da iſt. Und, recht beſehen, iſt es nicht mit allen außeror¬ dentlichen Dingen ſo? Iſt denn Mozart popular? Und iſt es denn Raphael? — Und verhaͤlt ſich nicht die Welt gegen ſo große Quellen uͤberſchwenglichen geiſtigen Lebens uͤberall nur wie Naſchende, die froh ſind, hin und wieder ein Weniges zu erhaſchen, das ihnen eine Weile eine hoͤhere Nahrung gewaͤhre?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/44
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/44>, abgerufen am 19.04.2024.