Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich fand ihn, wie ich wünschte, noch allein, in Er¬
wartung der Gesellschaft. Er trug seinen schwarzen
Frack und Stern, worin ich ihn so gerne sehe; er schien
heute besonders jugendlich heiter, und wir fingen sogleich
an von unserm gemeinsamen Interesse zu reden. Goethe
sagte mir, daß er Carlyle's Aufsatz über ihn gleichfalls
diesen Morgen betrachtet, und so waren wir denn im
Stande, über die Bestrebungen der Ausländer manche
Worte des Lobes gegenseitig auszutauschen.

"Es ist eine Freude, zu sehen, sagte Goethe, wie
die frühere Pedanterie der Schotten sich in Ernst und
Gründlichkeit verwandelt hat. Wenn ich bedenke, wie
die Edinburger vor noch nicht langen Jahren meine
Sachen behandelt haben, und ich jetzt dagegen Carly¬
le's
Verdienste um die deutsche Literatur erwäge, so ist
es auffallend, welch ein bedeutender Vorschritt zum
Besseren geschehen ist."

An Carlyle, sagte ich, muß ich vor allem den Geist
und Character verehren, der seinen Richtungen zum
Grunde liegt. Es ist ihm um die Cultur seiner Nation
zu thun, und da fragt er denn bey den literarischen
Erzeugnissen des Auslandes, womit er seine Landsleute
bekannt zu machen wünscht, weniger nach Künsten des
Talents, als nach der Höhe sittlicher Bildung, die aus
solchen Werken zu gewinnen.

"Ja, sagte Goethe, die Gesinnung aus der er
handelt, ist besonders schätzbar. Und wie ist es ihm

Ich fand ihn, wie ich wuͤnſchte, noch allein, in Er¬
wartung der Geſellſchaft. Er trug ſeinen ſchwarzen
Frack und Stern, worin ich ihn ſo gerne ſehe; er ſchien
heute beſonders jugendlich heiter, und wir fingen ſogleich
an von unſerm gemeinſamen Intereſſe zu reden. Goethe
ſagte mir, daß er Carlyle's Aufſatz uͤber ihn gleichfalls
dieſen Morgen betrachtet, und ſo waren wir denn im
Stande, uͤber die Beſtrebungen der Auslaͤnder manche
Worte des Lobes gegenſeitig auszutauſchen.

„Es iſt eine Freude, zu ſehen, ſagte Goethe, wie
die fruͤhere Pedanterie der Schotten ſich in Ernſt und
Gruͤndlichkeit verwandelt hat. Wenn ich bedenke, wie
die Edinburger vor noch nicht langen Jahren meine
Sachen behandelt haben, und ich jetzt dagegen Carly¬
le's
Verdienſte um die deutſche Literatur erwaͤge, ſo iſt
es auffallend, welch ein bedeutender Vorſchritt zum
Beſſeren geſchehen iſt.“

An Carlyle, ſagte ich, muß ich vor allem den Geiſt
und Character verehren, der ſeinen Richtungen zum
Grunde liegt. Es iſt ihm um die Cultur ſeiner Nation
zu thun, und da fragt er denn bey den literariſchen
Erzeugniſſen des Auslandes, womit er ſeine Landsleute
bekannt zu machen wuͤnſcht, weniger nach Kuͤnſten des
Talents, als nach der Hoͤhe ſittlicher Bildung, die aus
ſolchen Werken zu gewinnen.

„Ja, ſagte Goethe, die Geſinnung aus der er
handelt, iſt beſonders ſchaͤtzbar. Und wie iſt es ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0042" n="32"/>
          <p>Ich fand ihn, wie ich wu&#x0364;n&#x017F;chte, noch allein, in Er¬<lb/>
wartung der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Er trug &#x017F;einen &#x017F;chwarzen<lb/>
Frack und Stern, worin ich ihn &#x017F;o gerne &#x017F;ehe; er &#x017F;chien<lb/>
heute be&#x017F;onders jugendlich heiter, und wir fingen &#x017F;ogleich<lb/>
an von un&#x017F;erm gemein&#x017F;amen Intere&#x017F;&#x017F;e zu reden. Goethe<lb/>
&#x017F;agte mir, daß er Carlyle's Auf&#x017F;atz u&#x0364;ber ihn gleichfalls<lb/>
die&#x017F;en Morgen betrachtet, und &#x017F;o waren wir denn im<lb/>
Stande, u&#x0364;ber die Be&#x017F;trebungen der Ausla&#x0364;nder manche<lb/>
Worte des Lobes gegen&#x017F;eitig auszutau&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t eine Freude, zu &#x017F;ehen, &#x017F;agte Goethe, wie<lb/>
die fru&#x0364;here Pedanterie der Schotten &#x017F;ich in Ern&#x017F;t und<lb/>
Gru&#x0364;ndlichkeit verwandelt hat. Wenn ich bedenke, wie<lb/>
die Edinburger vor noch nicht langen Jahren meine<lb/>
Sachen behandelt haben, und ich jetzt dagegen <hi rendition="#g">Carly¬<lb/>
le's</hi> Verdien&#x017F;te um die deut&#x017F;che Literatur erwa&#x0364;ge, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
es auffallend, welch ein bedeutender Vor&#x017F;chritt zum<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;eren ge&#x017F;chehen i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>An Carlyle, &#x017F;agte ich, muß ich vor allem den Gei&#x017F;t<lb/>
und Character verehren, der &#x017F;einen Richtungen zum<lb/>
Grunde liegt. Es i&#x017F;t ihm um die Cultur &#x017F;einer Nation<lb/>
zu thun, und da fragt er denn bey den literari&#x017F;chen<lb/>
Erzeugni&#x017F;&#x017F;en des Auslandes, womit er &#x017F;eine Landsleute<lb/>
bekannt zu machen wu&#x0364;n&#x017F;cht, weniger nach Ku&#x0364;n&#x017F;ten des<lb/>
Talents, als nach der Ho&#x0364;he &#x017F;ittlicher Bildung, die aus<lb/>
&#x017F;olchen Werken zu gewinnen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, &#x017F;agte Goethe, die Ge&#x017F;innung aus der er<lb/>
handelt, i&#x017F;t be&#x017F;onders &#x017F;cha&#x0364;tzbar. Und wie i&#x017F;t es ihm<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0042] Ich fand ihn, wie ich wuͤnſchte, noch allein, in Er¬ wartung der Geſellſchaft. Er trug ſeinen ſchwarzen Frack und Stern, worin ich ihn ſo gerne ſehe; er ſchien heute beſonders jugendlich heiter, und wir fingen ſogleich an von unſerm gemeinſamen Intereſſe zu reden. Goethe ſagte mir, daß er Carlyle's Aufſatz uͤber ihn gleichfalls dieſen Morgen betrachtet, und ſo waren wir denn im Stande, uͤber die Beſtrebungen der Auslaͤnder manche Worte des Lobes gegenſeitig auszutauſchen. „Es iſt eine Freude, zu ſehen, ſagte Goethe, wie die fruͤhere Pedanterie der Schotten ſich in Ernſt und Gruͤndlichkeit verwandelt hat. Wenn ich bedenke, wie die Edinburger vor noch nicht langen Jahren meine Sachen behandelt haben, und ich jetzt dagegen Carly¬ le's Verdienſte um die deutſche Literatur erwaͤge, ſo iſt es auffallend, welch ein bedeutender Vorſchritt zum Beſſeren geſchehen iſt.“ An Carlyle, ſagte ich, muß ich vor allem den Geiſt und Character verehren, der ſeinen Richtungen zum Grunde liegt. Es iſt ihm um die Cultur ſeiner Nation zu thun, und da fragt er denn bey den literariſchen Erzeugniſſen des Auslandes, womit er ſeine Landsleute bekannt zu machen wuͤnſcht, weniger nach Kuͤnſten des Talents, als nach der Hoͤhe ſittlicher Bildung, die aus ſolchen Werken zu gewinnen. „Ja, ſagte Goethe, die Geſinnung aus der er handelt, iſt beſonders ſchaͤtzbar. Und wie iſt es ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/42
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/42>, abgerufen am 19.04.2024.