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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Meldung, daß sie nächsten Dienstag das Vergnügen
haben werde, ihn zu besuchen.

Seit dem Tode des Großherzogs hatte Goethe Nie¬
manden von der fürstlichen Familie gesehen. Er hatte
zwar mit der Großherzogin Mutter in fortwährendem
Briefwechsel gestanden, so daß sie sich über den erlitte¬
nen Verlust gewiß hinlänglich ausgesprochen hatten.
Allein jetzt stand das persönliche Wiedersehen bevor, das
ohne einige schmerzliche Regungen von beyden Seiten
nicht wohl abgehen konnte, und das demnach im Voraus
mit einiger Apprehension mochte empfunden werden.
So auch hatte Goethe den jungen Hof noch nicht ge¬
sehen und als neuer Landesherrschaft gehuldigt. Dieses
alles stand ihm bevor, und wenn es ihn auch als gro¬
ßen Weltmann keineswegs genieren konnte, so genierte
es ihn doch als Talent, das immer in seinen angebore¬
nen Richtungen und in seiner Thätigkeit leben möchte.

Zudem drohten Besuche aus allen Gegenden. Das
Zusammenkommen berühmter Naturforscher in Berlin
hatte viele bedeutende Männer in Bewegung gesetzt, die,
in ihren Wegen Weimar durchkreuzend, sich theils hat¬
ten melden lassen und deren Ankunft zu erwarten war.
Wochenlange Störungen, die den inneren Sinn hinnah¬
men und aus der gewohnten Bahn lenkten, und was
sonst für Unannehmlichkeiten mit übrigens so werthen
Besuchen in Verbindung stehen mochten, dieses alles
mußte von Goethe gespenstisch voraus empfunden wer¬

Meldung, daß ſie naͤchſten Dienſtag das Vergnuͤgen
haben werde, ihn zu beſuchen.

Seit dem Tode des Großherzogs hatte Goethe Nie¬
manden von der fuͤrſtlichen Familie geſehen. Er hatte
zwar mit der Großherzogin Mutter in fortwaͤhrendem
Briefwechſel geſtanden, ſo daß ſie ſich uͤber den erlitte¬
nen Verluſt gewiß hinlaͤnglich ausgeſprochen hatten.
Allein jetzt ſtand das perſoͤnliche Wiederſehen bevor, das
ohne einige ſchmerzliche Regungen von beyden Seiten
nicht wohl abgehen konnte, und das demnach im Voraus
mit einiger Apprehenſion mochte empfunden werden.
So auch hatte Goethe den jungen Hof noch nicht ge¬
ſehen und als neuer Landesherrſchaft gehuldigt. Dieſes
alles ſtand ihm bevor, und wenn es ihn auch als gro¬
ßen Weltmann keineswegs genieren konnte, ſo genierte
es ihn doch als Talent, das immer in ſeinen angebore¬
nen Richtungen und in ſeiner Thaͤtigkeit leben moͤchte.

Zudem drohten Beſuche aus allen Gegenden. Das
Zuſammenkommen beruͤhmter Naturforſcher in Berlin
hatte viele bedeutende Maͤnner in Bewegung geſetzt, die,
in ihren Wegen Weimar durchkreuzend, ſich theils hat¬
ten melden laſſen und deren Ankunft zu erwarten war.
Wochenlange Stoͤrungen, die den inneren Sinn hinnah¬
men und aus der gewohnten Bahn lenkten, und was
ſonſt fuͤr Unannehmlichkeiten mit uͤbrigens ſo werthen
Beſuchen in Verbindung ſtehen mochten, dieſes alles
mußte von Goethe geſpenſtiſch voraus empfunden wer¬

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[8/0018] Meldung, daß ſie naͤchſten Dienſtag das Vergnuͤgen haben werde, ihn zu beſuchen. Seit dem Tode des Großherzogs hatte Goethe Nie¬ manden von der fuͤrſtlichen Familie geſehen. Er hatte zwar mit der Großherzogin Mutter in fortwaͤhrendem Briefwechſel geſtanden, ſo daß ſie ſich uͤber den erlitte¬ nen Verluſt gewiß hinlaͤnglich ausgeſprochen hatten. Allein jetzt ſtand das perſoͤnliche Wiederſehen bevor, das ohne einige ſchmerzliche Regungen von beyden Seiten nicht wohl abgehen konnte, und das demnach im Voraus mit einiger Apprehenſion mochte empfunden werden. So auch hatte Goethe den jungen Hof noch nicht ge¬ ſehen und als neuer Landesherrſchaft gehuldigt. Dieſes alles ſtand ihm bevor, und wenn es ihn auch als gro¬ ßen Weltmann keineswegs genieren konnte, ſo genierte es ihn doch als Talent, das immer in ſeinen angebore¬ nen Richtungen und in ſeiner Thaͤtigkeit leben moͤchte. Zudem drohten Beſuche aus allen Gegenden. Das Zuſammenkommen beruͤhmter Naturforſcher in Berlin hatte viele bedeutende Maͤnner in Bewegung geſetzt, die, in ihren Wegen Weimar durchkreuzend, ſich theils hat¬ ten melden laſſen und deren Ankunft zu erwarten war. Wochenlange Stoͤrungen, die den inneren Sinn hinnah¬ men und aus der gewohnten Bahn lenkten, und was ſonſt fuͤr Unannehmlichkeiten mit uͤbrigens ſo werthen Beſuchen in Verbindung ſtehen mochten, dieſes alles mußte von Goethe geſpenſtiſch voraus empfunden wer¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/18>, abgerufen am 25.04.2024.