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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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Wir sprechen von Oberon, und daß so viele Menschen
von allen Ecken herbeygeströmt, um diese Oper zu sehen,
so daß schon Mittags keine Billets mehr zu haben ge¬
wesen. Der junge Goethe hebt die Tafel auf. "Lieber
Vater, sagt er, wenn wir aufstehen wollten! Die Her¬
ren und Damen wünschten vielleicht etwas früher ins
Theater zu gehen." Goethen erscheint diese Eile wun¬
derlich, da es noch kaum vier Uhr ist, doch fügt er sich
und steht auf, und wir verbreiten uns in den Zimmern.
Herr Seidel tritt zu mir und einigen Anderen, und sagt
leise und mit betrübtem Gesicht: "Eure Freude auf das
Theater ist vergeblich, es ist keine Vorstellung, der
Großherzog ist todt
! auf der Reise von Berlin hie¬
her ist er gestorben." Eine allgemeine Bestürzung ver¬
breitete sich unter uns. Goethe kommt herein, wir thun
als ob nichts passirt wäre und sprechen von gleichgülti¬
gen Dingen. Goethe tritt mit mir ans Fenster und
spricht über die Tyroler und das Theater. "Sie gehen
heut in meine Loge, sagte er, Sie haben Zeit bis sechs
Uhr; lassen Sie die Andern und bleiben Sie bey mir,
wir schwätzen noch ein wenig." Der junge Goethe sucht
die Gesellschaft fortzutreiben, um seinem Vater die Er¬
öffnung zu machen, ehe der Canzler, der ihm vorhin
die Bothschaft gebracht, zurückkommt. Goethe kann das
wunderliche Eilen und Drängen seines Sohnes nicht
begreifen und wird darüber verdrießlich. "Wollt Ihr
denn nicht erst Euren Kaffee trinken, sagt er, es ist ja

Wir ſprechen von Oberon, und daß ſo viele Menſchen
von allen Ecken herbeygeſtroͤmt, um dieſe Oper zu ſehen,
ſo daß ſchon Mittags keine Billets mehr zu haben ge¬
weſen. Der junge Goethe hebt die Tafel auf. „Lieber
Vater, ſagt er, wenn wir aufſtehen wollten! Die Her¬
ren und Damen wuͤnſchten vielleicht etwas fruͤher ins
Theater zu gehen.“ Goethen erſcheint dieſe Eile wun¬
derlich, da es noch kaum vier Uhr iſt, doch fuͤgt er ſich
und ſteht auf, und wir verbreiten uns in den Zimmern.
Herr Seidel tritt zu mir und einigen Anderen, und ſagt
leiſe und mit betruͤbtem Geſicht: „Eure Freude auf das
Theater iſt vergeblich, es iſt keine Vorſtellung, der
Großherzog iſt todt
! auf der Reiſe von Berlin hie¬
her iſt er geſtorben.“ Eine allgemeine Beſtuͤrzung ver¬
breitete ſich unter uns. Goethe kommt herein, wir thun
als ob nichts paſſirt waͤre und ſprechen von gleichguͤlti¬
gen Dingen. Goethe tritt mit mir ans Fenſter und
ſpricht uͤber die Tyroler und das Theater. „Sie gehen
heut in meine Loge, ſagte er, Sie haben Zeit bis ſechs
Uhr; laſſen Sie die Andern und bleiben Sie bey mir,
wir ſchwaͤtzen noch ein wenig.“ Der junge Goethe ſucht
die Geſellſchaft fortzutreiben, um ſeinem Vater die Er¬
oͤffnung zu machen, ehe der Canzler, der ihm vorhin
die Bothſchaft gebracht, zuruͤckkommt. Goethe kann das
wunderliche Eilen und Draͤngen ſeines Sohnes nicht
begreifen und wird daruͤber verdrießlich. „Wollt Ihr
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[4/0014] Wir ſprechen von Oberon, und daß ſo viele Menſchen von allen Ecken herbeygeſtroͤmt, um dieſe Oper zu ſehen, ſo daß ſchon Mittags keine Billets mehr zu haben ge¬ weſen. Der junge Goethe hebt die Tafel auf. „Lieber Vater, ſagt er, wenn wir aufſtehen wollten! Die Her¬ ren und Damen wuͤnſchten vielleicht etwas fruͤher ins Theater zu gehen.“ Goethen erſcheint dieſe Eile wun¬ derlich, da es noch kaum vier Uhr iſt, doch fuͤgt er ſich und ſteht auf, und wir verbreiten uns in den Zimmern. Herr Seidel tritt zu mir und einigen Anderen, und ſagt leiſe und mit betruͤbtem Geſicht: „Eure Freude auf das Theater iſt vergeblich, es iſt keine Vorſtellung, der Großherzog iſt todt! auf der Reiſe von Berlin hie¬ her iſt er geſtorben.“ Eine allgemeine Beſtuͤrzung ver¬ breitete ſich unter uns. Goethe kommt herein, wir thun als ob nichts paſſirt waͤre und ſprechen von gleichguͤlti¬ gen Dingen. Goethe tritt mit mir ans Fenſter und ſpricht uͤber die Tyroler und das Theater. „Sie gehen heut in meine Loge, ſagte er, Sie haben Zeit bis ſechs Uhr; laſſen Sie die Andern und bleiben Sie bey mir, wir ſchwaͤtzen noch ein wenig.“ Der junge Goethe ſucht die Geſellſchaft fortzutreiben, um ſeinem Vater die Er¬ oͤffnung zu machen, ehe der Canzler, der ihm vorhin die Bothſchaft gebracht, zuruͤckkommt. Goethe kann das wunderliche Eilen und Draͤngen ſeines Sohnes nicht begreifen und wird daruͤber verdrießlich. „Wollt Ihr denn nicht erſt Euren Kaffee trinken, ſagt er, es iſt ja

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/14>, abgerufen am 19.04.2024.