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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Jener Brief enthielt folgende Worte:

"Ladike, Gattin des Amasis und Königin von Ober-
und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des
Großkönigs von Persien.

"Wenn Du, meine geliebte Tochter, so lange Zeit ohne
Nachrichten aus der Heimat geblieben bist, so war dieß
nicht unsre Schuld. Die Triere, welche die für Dich
bestimmten Briefe nach Aegae befördern sollte, ist von sami-
schen Kriegsschiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge
nennen sollte, aufgehalten und in den Hafen der Astypa-
laia 62) geschleppt worden.

"Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er
vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein
Fahrzeug ist vor seinen Raubschiffen sicher, seitdem er die
Lesbier und Milesier 63), welche dem Unwesen entgegen zu
treten suchten, auf's Haupt geschlagen.

"Die Söhne des verstorbenen Pisistratos 64) sind seine
Freunde. -- Lygdamis ist ihm verpflichtet und bedarf der
samischen Hülfe, um seine Gewaltherrschaft über Naxos
aufrecht zu erhalten. -- Die Amphiktyonen hat er gewon-
nen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte
Jnsel Rheneia 65) schenkte. Alle seefahrenden Völker lei-
den von seinen Fünfzigrudrern, welche zwanzigtausend Ma-
trosen zur Bemannung bedürfen, den größesten Schaden;
dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen; denn er ist von
trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat seine Burg
und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos fast
uneinnehmbar befestigt.

"Die Kaufleute, welche dem glücklichen Kolaios 66) nach
Westen folgten und jene Raubschiffe, die keine Schonung
kennen, werden Samos zur reichsten Jnsel und Polykrates
zum mächtigsten Menschen machen, wenn nicht, wie Dein

Jener Brief enthielt folgende Worte:

„Ladike, Gattin des Amaſis und Königin von Ober-
und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des
Großkönigs von Perſien.

„Wenn Du, meine geliebte Tochter, ſo lange Zeit ohne
Nachrichten aus der Heimat geblieben biſt, ſo war dieß
nicht unſre Schuld. Die Triere, welche die für Dich
beſtimmten Briefe nach Aegae befördern ſollte, iſt von ſami-
ſchen Kriegsſchiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge
nennen ſollte, aufgehalten und in den Hafen der Aſtypa-
laia 62) geſchleppt worden.

„Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er
vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein
Fahrzeug iſt vor ſeinen Raubſchiffen ſicher, ſeitdem er die
Lesbier und Mileſier 63), welche dem Unweſen entgegen zu
treten ſuchten, auf’s Haupt geſchlagen.

„Die Söhne des verſtorbenen Piſiſtratos 64) ſind ſeine
Freunde. — Lygdamis iſt ihm verpflichtet und bedarf der
ſamiſchen Hülfe, um ſeine Gewaltherrſchaft über Naxos
aufrecht zu erhalten. — Die Amphiktyonen hat er gewon-
nen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte
Jnſel Rheneia 65) ſchenkte. Alle ſeefahrenden Völker lei-
den von ſeinen Fünfzigrudrern, welche zwanzigtauſend Ma-
troſen zur Bemannung bedürfen, den größeſten Schaden;
dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen; denn er iſt von
trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat ſeine Burg
und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos faſt
uneinnehmbar befeſtigt.

„Die Kaufleute, welche dem glücklichen Kolaios 66) nach
Weſten folgten und jene Raubſchiffe, die keine Schonung
kennen, werden Samos zur reichſten Jnſel und Polykrates
zum mächtigſten Menſchen machen, wenn nicht, wie Dein

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[86/0088] Jener Brief enthielt folgende Worte: „Ladike, Gattin des Amaſis und Königin von Ober- und Unterägypten, an ihre Tochter Nitetis, Gemahlin des Großkönigs von Perſien. „Wenn Du, meine geliebte Tochter, ſo lange Zeit ohne Nachrichten aus der Heimat geblieben biſt, ſo war dieß nicht unſre Schuld. Die Triere, welche die für Dich beſtimmten Briefe nach Aegae befördern ſollte, iſt von ſami- ſchen Kriegsſchiffen, welche man lieber Seeräuberfahrzeuge nennen ſollte, aufgehalten und in den Hafen der Aſtypa- laia 62) geſchleppt worden. „Der Uebermuth des Polykrates, dem Alles, was er vornimmt, zu gelingen pflegt, wird immer größer. Kein Fahrzeug iſt vor ſeinen Raubſchiffen ſicher, ſeitdem er die Lesbier und Mileſier 63), welche dem Unweſen entgegen zu treten ſuchten, auf’s Haupt geſchlagen. „Die Söhne des verſtorbenen Piſiſtratos 64) ſind ſeine Freunde. — Lygdamis iſt ihm verpflichtet und bedarf der ſamiſchen Hülfe, um ſeine Gewaltherrſchaft über Naxos aufrecht zu erhalten. — Die Amphiktyonen hat er gewon- nen, indem er dem Apollo von Delos die benachbarte Jnſel Rheneia 65) ſchenkte. Alle ſeefahrenden Völker lei- den von ſeinen Fünfzigrudrern, welche zwanzigtauſend Ma- troſen zur Bemannung bedürfen, den größeſten Schaden; dennoch wagt ihn Niemand anzugreifen; denn er iſt von trefflich geübten Leibwachen umgeben und hat ſeine Burg und die prachtvollen Dämme des Hafens von Samos faſt uneinnehmbar befeſtigt. „Die Kaufleute, welche dem glücklichen Kolaios 66) nach Weſten folgten und jene Raubſchiffe, die keine Schonung kennen, werden Samos zur reichſten Jnſel und Polykrates zum mächtigſten Menſchen machen, wenn nicht, wie Dein

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/88>, abgerufen am 24.04.2024.