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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Der König lächelte und erwiederte: "Du weißt Deine
Bitte mit der Schlauheit Deines Volkes vorzubringen und
wählst das rechte Wort und die rechte Stunde! An mei-
nem Geburtstage kann ich einem treuen Volke kaum eine
Bitte abschlagen; so versprech ich Dir denn, so bald als
möglich die gute Stadt Jerusalem und das Land Deiner
Väter zu besuchen."

"Du wirst Deine Knechte hoch beglücken," antwortete
der Priester. "Unsre Oelbäume und Weinstöcke werden bei
Deinem Nahen schönere Früchte tragen, unsre Pforten
sollen weit gemacht werden zu Deinem Empfange, und Js-
rael wird seinem Herrn entgegen jubeln, doppelt beglückt,
wenn es ihn als neuen Bauherrn --"

"Halt, Priester, halt!" rief Kambyses. "Eure erste
Bitte soll, wie gesagt, nicht unerfüllt bleiben, denn ich
hege schon lange den Wunsch, das reiche Tyros, das goldne
Sidon und Dein Jerusalem mit seinem wunderbaren Aber-
glauben kennen zu lernen; wollt ich euch aber die Er-
laubniß zur Fortsetzung des Tempelbaues schon jetzt erthei-
len, was bliebe mir dann noch übrig euch im nächsten
Jahre zu bewilligen?"

"Deine Knechte werden ihren Herrn nicht wieder be-
helligen," antwortete der Priester, "wenn Du ihnen ge-
stattest, dem Gott ihrer Väter ein Haus zu bauen."

"Seltsame Menschen, diese Palästinäer!" rief Kam-
byses. "Beltsazar hat mir oft erzählt, daß ihr an eine
einzige durch kein Bildniß darstellbare Gottheit glaubt,
welche nichts sei als ein Geist. Meint ihr denn, daß
dieß allgegenwärtige Wesen nach einem Hause verlangt?
-- Wahrlich, euer großer Geist muß schwach und erbärm-
lich sein, wenn er eines Wetterdaches gegen Wind und
Regen und eines Schutzes gegen die Hitze bedarf, welche

Der König lächelte und erwiederte: „Du weißt Deine
Bitte mit der Schlauheit Deines Volkes vorzubringen und
wählſt das rechte Wort und die rechte Stunde! An mei-
nem Geburtstage kann ich einem treuen Volke kaum eine
Bitte abſchlagen; ſo verſprech ich Dir denn, ſo bald als
möglich die gute Stadt Jeruſalem und das Land Deiner
Väter zu beſuchen.“

„Du wirſt Deine Knechte hoch beglücken,“ antwortete
der Prieſter. „Unſre Oelbäume und Weinſtöcke werden bei
Deinem Nahen ſchönere Früchte tragen, unſre Pforten
ſollen weit gemacht werden zu Deinem Empfange, und Js-
rael wird ſeinem Herrn entgegen jubeln, doppelt beglückt,
wenn es ihn als neuen Bauherrn —“

„Halt, Prieſter, halt!“ rief Kambyſes. „Eure erſte
Bitte ſoll, wie geſagt, nicht unerfüllt bleiben, denn ich
hege ſchon lange den Wunſch, das reiche Tyros, das goldne
Sidon und Dein Jeruſalem mit ſeinem wunderbaren Aber-
glauben kennen zu lernen; wollt ich euch aber die Er-
laubniß zur Fortſetzung des Tempelbaues ſchon jetzt erthei-
len, was bliebe mir dann noch übrig euch im nächſten
Jahre zu bewilligen?“

„Deine Knechte werden ihren Herrn nicht wieder be-
helligen,“ antwortete der Prieſter, „wenn Du ihnen ge-
ſtatteſt, dem Gott ihrer Väter ein Haus zu bauen.“

„Seltſame Menſchen, dieſe Paläſtinäer!“ rief Kam-
byſes. „Beltſazar hat mir oft erzählt, daß ihr an eine
einzige durch kein Bildniß darſtellbare Gottheit glaubt,
welche nichts ſei als ein Geiſt. Meint ihr denn, daß
dieß allgegenwärtige Weſen nach einem Hauſe verlangt?
— Wahrlich, euer großer Geiſt muß ſchwach und erbärm-
lich ſein, wenn er eines Wetterdaches gegen Wind und
Regen und eines Schutzes gegen die Hitze bedarf, welche

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[69/0071] Der König lächelte und erwiederte: „Du weißt Deine Bitte mit der Schlauheit Deines Volkes vorzubringen und wählſt das rechte Wort und die rechte Stunde! An mei- nem Geburtstage kann ich einem treuen Volke kaum eine Bitte abſchlagen; ſo verſprech ich Dir denn, ſo bald als möglich die gute Stadt Jeruſalem und das Land Deiner Väter zu beſuchen.“ „Du wirſt Deine Knechte hoch beglücken,“ antwortete der Prieſter. „Unſre Oelbäume und Weinſtöcke werden bei Deinem Nahen ſchönere Früchte tragen, unſre Pforten ſollen weit gemacht werden zu Deinem Empfange, und Js- rael wird ſeinem Herrn entgegen jubeln, doppelt beglückt, wenn es ihn als neuen Bauherrn —“ „Halt, Prieſter, halt!“ rief Kambyſes. „Eure erſte Bitte ſoll, wie geſagt, nicht unerfüllt bleiben, denn ich hege ſchon lange den Wunſch, das reiche Tyros, das goldne Sidon und Dein Jeruſalem mit ſeinem wunderbaren Aber- glauben kennen zu lernen; wollt ich euch aber die Er- laubniß zur Fortſetzung des Tempelbaues ſchon jetzt erthei- len, was bliebe mir dann noch übrig euch im nächſten Jahre zu bewilligen?“ „Deine Knechte werden ihren Herrn nicht wieder be- helligen,“ antwortete der Prieſter, „wenn Du ihnen ge- ſtatteſt, dem Gott ihrer Väter ein Haus zu bauen.“ „Seltſame Menſchen, dieſe Paläſtinäer!“ rief Kam- byſes. „Beltſazar hat mir oft erzählt, daß ihr an eine einzige durch kein Bildniß darſtellbare Gottheit glaubt, welche nichts ſei als ein Geiſt. Meint ihr denn, daß dieß allgegenwärtige Weſen nach einem Hauſe verlangt? — Wahrlich, euer großer Geiſt muß ſchwach und erbärm- lich ſein, wenn er eines Wetterdaches gegen Wind und Regen und eines Schutzes gegen die Hitze bedarf, welche

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/71>, abgerufen am 28.03.2024.