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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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ich gebe Dir zu bedenken, daß sich die Kühnheit des Man-
nes im Handeln, die des Weibes im Gehorchen bewähren
muß. Thue darum, was ich Dir sagen werde und warte
geduldig ab, was die Zukunft bringt!"

Nebenchari, der Augenarzt, pflegte Kassandane nach
wie vor, hielt sich von allem Umgange mit den Persern
zurück und wurde bei denselben wegen seines düstern,
schweigsamen Wesens zum Sprüchworte. Bei Tage ver-
weilte er lautlos in den Zimmern der Mutter des Königs,
in großen Papyrosrollen, welche er das Buch des Atho-
thes und die heilige Ambres 40) nannte, blätternd; bei
Nacht bestieg er häufig mit Erlaubniß des Königs und
des Satrapen 41) von Babylon, Tritantächmes, eine der
hohen Mauerthürme, um die Sterne zu beobachten.

Die Chaldäer, das aus dem Norden eingewanderte
Priestergeschlecht von Babylon, die uralten Pfleger der
Himmelskunde, hatten ihm anbieten lassen, seine Beobach-
tungen auf der Spitze des großen Bel-Tempels, ihrer
Sternwarte, zu machen; er aber weigerte sich entschieden
dieser Einladung zu folgen und verharrte in vornehmer
Abgeschlossenheit. -- Als ihm Oropastes, der Magier, den
berühmten babylonischen Schattenweiser, den Anaximander
von Milet auch in Griechenland eingeführt hatte, erklären
wollte, lächelte er spöttisch und kehrte dem Obersten der
medischen Priester den Rücken, indem er sagte: "Das
kannten wir schon, bevor ihr wußtet, was eine Stunde
sei 42)."

Nitetis war ihm freundlich entgegen gekommen; er
aber kümmerte sich nicht um dieselbe, ja er schien sie ab-
sichtlich zu vermeiden. Als sie ihn eines Tages fragte:
"Findest Du etwas Böses an mir, Nebenchari, oder habe
ich Dich beleidigt?" gab er zur Antwort: "Du bist mir

ich gebe Dir zu bedenken, daß ſich die Kühnheit des Man-
nes im Handeln, die des Weibes im Gehorchen bewähren
muß. Thue darum, was ich Dir ſagen werde und warte
geduldig ab, was die Zukunft bringt!“

Nebenchari, der Augenarzt, pflegte Kaſſandane nach
wie vor, hielt ſich von allem Umgange mit den Perſern
zurück und wurde bei denſelben wegen ſeines düſtern,
ſchweigſamen Weſens zum Sprüchworte. Bei Tage ver-
weilte er lautlos in den Zimmern der Mutter des Königs,
in großen Papyrosrollen, welche er das Buch des Atho-
thes und die heilige Ambres 40) nannte, blätternd; bei
Nacht beſtieg er häufig mit Erlaubniß des Königs und
des Satrapen 41) von Babylon, Tritantächmes, eine der
hohen Mauerthürme, um die Sterne zu beobachten.

Die Chaldäer, das aus dem Norden eingewanderte
Prieſtergeſchlecht von Babylon, die uralten Pfleger der
Himmelskunde, hatten ihm anbieten laſſen, ſeine Beobach-
tungen auf der Spitze des großen Bel-Tempels, ihrer
Sternwarte, zu machen; er aber weigerte ſich entſchieden
dieſer Einladung zu folgen und verharrte in vornehmer
Abgeſchloſſenheit. — Als ihm Oropaſtes, der Magier, den
berühmten babyloniſchen Schattenweiſer, den Anaximander
von Milet auch in Griechenland eingeführt hatte, erklären
wollte, lächelte er ſpöttiſch und kehrte dem Oberſten der
mediſchen Prieſter den Rücken, indem er ſagte: „Das
kannten wir ſchon, bevor ihr wußtet, was eine Stunde
ſei 42).“

Nitetis war ihm freundlich entgegen gekommen; er
aber kümmerte ſich nicht um dieſelbe, ja er ſchien ſie ab-
ſichtlich zu vermeiden. Als ſie ihn eines Tages fragte:
„Findeſt Du etwas Böſes an mir, Nebenchari, oder habe
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[56/0058] ich gebe Dir zu bedenken, daß ſich die Kühnheit des Man- nes im Handeln, die des Weibes im Gehorchen bewähren muß. Thue darum, was ich Dir ſagen werde und warte geduldig ab, was die Zukunft bringt!“ Nebenchari, der Augenarzt, pflegte Kaſſandane nach wie vor, hielt ſich von allem Umgange mit den Perſern zurück und wurde bei denſelben wegen ſeines düſtern, ſchweigſamen Weſens zum Sprüchworte. Bei Tage ver- weilte er lautlos in den Zimmern der Mutter des Königs, in großen Papyrosrollen, welche er das Buch des Atho- thes und die heilige Ambres 40) nannte, blätternd; bei Nacht beſtieg er häufig mit Erlaubniß des Königs und des Satrapen 41) von Babylon, Tritantächmes, eine der hohen Mauerthürme, um die Sterne zu beobachten. Die Chaldäer, das aus dem Norden eingewanderte Prieſtergeſchlecht von Babylon, die uralten Pfleger der Himmelskunde, hatten ihm anbieten laſſen, ſeine Beobach- tungen auf der Spitze des großen Bel-Tempels, ihrer Sternwarte, zu machen; er aber weigerte ſich entſchieden dieſer Einladung zu folgen und verharrte in vornehmer Abgeſchloſſenheit. — Als ihm Oropaſtes, der Magier, den berühmten babyloniſchen Schattenweiſer, den Anaximander von Milet auch in Griechenland eingeführt hatte, erklären wollte, lächelte er ſpöttiſch und kehrte dem Oberſten der mediſchen Prieſter den Rücken, indem er ſagte: „Das kannten wir ſchon, bevor ihr wußtet, was eine Stunde ſei 42).“ Nitetis war ihm freundlich entgegen gekommen; er aber kümmerte ſich nicht um dieſelbe, ja er ſchien ſie ab- ſichtlich zu vermeiden. Als ſie ihn eines Tages fragte: „Findeſt Du etwas Böſes an mir, Nebenchari, oder habe ich Dich beleidigt?“ gab er zur Antwort: „Du biſt mir

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/58>, abgerufen am 28.03.2024.