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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Drittes Kapitel.


Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei
den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber ver-
gnügt und arbeitsam, nach der Vorschrift des Krösus.
Alle Tage wurde sie in einer festverschlossenen Sänfte zu
Kassandane und Atossa getragen.

Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden
und geliebten Mutter, und die lebenslustige, unbändige
Tochter des Kyros ersetzte der Aegypterin beinah ihre am
fernen Nil zurückgebliebene Schwester Tachot. -- Nitetis
konnte sich keine bessere Gefährtin wünschen, als das über-
müthige Kind, welches mit Scherz und Frohsinn zu ver-
hindern wußte, daß sich Heimweh oder Unzufriedenheit in
dem Herzen ihrer Freundin einnisteten. Der Ernst der
Einen hellte sich durch die Heiterkeit der Andern auf, und
der Uebermuth der Perserin wurde durch das gesetzte We-
sen der Aegypterin zu gemessener Fröhlichkeit.

Krösus und Kassandane waren gleich zufrieden mit
ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropastes, der Magier
lobte dem Kambyses täglich die Fähigkeiten und den Fleiß
der Jungfrau; Nitetis erlernte die persische Sprache unge-
wöhnlich schnell und gut, der König ging nur zu seiner

Drittes Kapitel.


Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei
den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber ver-
gnügt und arbeitſam, nach der Vorſchrift des Kröſus.
Alle Tage wurde ſie in einer feſtverſchloſſenen Sänfte zu
Kaſſandane und Atoſſa getragen.

Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden
und geliebten Mutter, und die lebensluſtige, unbändige
Tochter des Kyros erſetzte der Aegypterin beinah ihre am
fernen Nil zurückgebliebene Schweſter Tachot. — Nitetis
konnte ſich keine beſſere Gefährtin wünſchen, als das über-
müthige Kind, welches mit Scherz und Frohſinn zu ver-
hindern wußte, daß ſich Heimweh oder Unzufriedenheit in
dem Herzen ihrer Freundin einniſteten. Der Ernſt der
Einen hellte ſich durch die Heiterkeit der Andern auf, und
der Uebermuth der Perſerin wurde durch das geſetzte We-
ſen der Aegypterin zu gemeſſener Fröhlichkeit.

Kröſus und Kaſſandane waren gleich zufrieden mit
ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropaſtes, der Magier
lobte dem Kambyſes täglich die Fähigkeiten und den Fleiß
der Jungfrau; Nitetis erlernte die perſiſche Sprache unge-
wöhnlich ſchnell und gut, der König ging nur zu ſeiner

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[[52]/0054] Drittes Kapitel. Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber ver- gnügt und arbeitſam, nach der Vorſchrift des Kröſus. Alle Tage wurde ſie in einer feſtverſchloſſenen Sänfte zu Kaſſandane und Atoſſa getragen. Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden und geliebten Mutter, und die lebensluſtige, unbändige Tochter des Kyros erſetzte der Aegypterin beinah ihre am fernen Nil zurückgebliebene Schweſter Tachot. — Nitetis konnte ſich keine beſſere Gefährtin wünſchen, als das über- müthige Kind, welches mit Scherz und Frohſinn zu ver- hindern wußte, daß ſich Heimweh oder Unzufriedenheit in dem Herzen ihrer Freundin einniſteten. Der Ernſt der Einen hellte ſich durch die Heiterkeit der Andern auf, und der Uebermuth der Perſerin wurde durch das geſetzte We- ſen der Aegypterin zu gemeſſener Fröhlichkeit. Kröſus und Kaſſandane waren gleich zufrieden mit ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropaſtes, der Magier lobte dem Kambyſes täglich die Fähigkeiten und den Fleiß der Jungfrau; Nitetis erlernte die perſiſche Sprache unge- wöhnlich ſchnell und gut, der König ging nur zu ſeiner

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. [52]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/54>, abgerufen am 20.04.2024.