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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Bande des Bluts und der Freundschaft verbunden war,
so gut als gestorben. Und sie durfte ihrem Schmerze
nicht einmal freien Lauf lassen, denn es lag ihr ob, die
Ausbrüche der Verzweiflung ihres wilden Kindes zu
zügeln.

Atossa geberdete sich wie eine Rasende, als sie von
den verhängten Todesurtheilen hörte. Die Mäßigung,
welche sie durch den Umgang mit der Aegypterin gewon-
nen hatte, wich von ihr, und ihr so lange zurückgehaltenes
Ungestüm brach doppelt lebhaft hervor.

Nitetis, ihre einzige Freundin, Bartja ihr Bruder,
an dem sie mit ganzer Seele hing, Darius, den sie, jetzt
fühlte sie es, nicht nur als ihren Lebensretter ehrte, son-
dern mit der ganzen Jnnigkeit einer ersten Neigung liebte,
Krösus, an dem sie wie eine Tochter hing: -- Alles, was
ihr theuer war, sollte sie jetzt auf einmal verlieren.

Sie zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar, nannte
Kambyses ein Ungeheuer und Jeden, der an die Schuld
so trefflicher Menschen glaube, verblendet und wahnsinnig.
Dann zerfloß sie wieder in Thränen und schickte demüthige
Gebete zu den Göttern, um wenige Minuten später ihre
Mutter zu beschwören, sie auf die hängenden Gärten zu
begleiten und mit ihr die Vertheidigung der Nitetis an-
zuhören.

Kassandane suchte das ungestüme Mädchen zu besänf-
tigen und betheuerte, daß jeder Versuch, Nitetis zu spre-
chen, vergeblich sein würde. Nun begann Atossa von
Neuem zu toben und zwang endlich die Greisin ihr mit
mütterlicher Strenge Stillschweigen aufzuerlegen und sie,
als der Morgen graute, in ihr Schlafgemach zu ver-
weisen.

Das Mädchen folgte dem Gebote der Blinden und

Bande des Bluts und der Freundſchaft verbunden war,
ſo gut als geſtorben. Und ſie durfte ihrem Schmerze
nicht einmal freien Lauf laſſen, denn es lag ihr ob, die
Ausbrüche der Verzweiflung ihres wilden Kindes zu
zügeln.

Atoſſa geberdete ſich wie eine Raſende, als ſie von
den verhängten Todesurtheilen hörte. Die Mäßigung,
welche ſie durch den Umgang mit der Aegypterin gewon-
nen hatte, wich von ihr, und ihr ſo lange zurückgehaltenes
Ungeſtüm brach doppelt lebhaft hervor.

Nitetis, ihre einzige Freundin, Bartja ihr Bruder,
an dem ſie mit ganzer Seele hing, Darius, den ſie, jetzt
fühlte ſie es, nicht nur als ihren Lebensretter ehrte, ſon-
dern mit der ganzen Jnnigkeit einer erſten Neigung liebte,
Kröſus, an dem ſie wie eine Tochter hing: — Alles, was
ihr theuer war, ſollte ſie jetzt auf einmal verlieren.

Sie zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar, nannte
Kambyſes ein Ungeheuer und Jeden, der an die Schuld
ſo trefflicher Menſchen glaube, verblendet und wahnſinnig.
Dann zerfloß ſie wieder in Thränen und ſchickte demüthige
Gebete zu den Göttern, um wenige Minuten ſpäter ihre
Mutter zu beſchwören, ſie auf die hängenden Gärten zu
begleiten und mit ihr die Vertheidigung der Nitetis an-
zuhören.

Kaſſandane ſuchte das ungeſtüme Mädchen zu beſänf-
tigen und betheuerte, daß jeder Verſuch, Nitetis zu ſpre-
chen, vergeblich ſein würde. Nun begann Atoſſa von
Neuem zu toben und zwang endlich die Greiſin ihr mit
mütterlicher Strenge Stillſchweigen aufzuerlegen und ſie,
als der Morgen graute, in ihr Schlafgemach zu ver-
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[229/0231] Bande des Bluts und der Freundſchaft verbunden war, ſo gut als geſtorben. Und ſie durfte ihrem Schmerze nicht einmal freien Lauf laſſen, denn es lag ihr ob, die Ausbrüche der Verzweiflung ihres wilden Kindes zu zügeln. Atoſſa geberdete ſich wie eine Raſende, als ſie von den verhängten Todesurtheilen hörte. Die Mäßigung, welche ſie durch den Umgang mit der Aegypterin gewon- nen hatte, wich von ihr, und ihr ſo lange zurückgehaltenes Ungeſtüm brach doppelt lebhaft hervor. Nitetis, ihre einzige Freundin, Bartja ihr Bruder, an dem ſie mit ganzer Seele hing, Darius, den ſie, jetzt fühlte ſie es, nicht nur als ihren Lebensretter ehrte, ſon- dern mit der ganzen Jnnigkeit einer erſten Neigung liebte, Kröſus, an dem ſie wie eine Tochter hing: — Alles, was ihr theuer war, ſollte ſie jetzt auf einmal verlieren. Sie zerriß ihre Kleider, zerraufte ihr Haar, nannte Kambyſes ein Ungeheuer und Jeden, der an die Schuld ſo trefflicher Menſchen glaube, verblendet und wahnſinnig. Dann zerfloß ſie wieder in Thränen und ſchickte demüthige Gebete zu den Göttern, um wenige Minuten ſpäter ihre Mutter zu beſchwören, ſie auf die hängenden Gärten zu begleiten und mit ihr die Vertheidigung der Nitetis an- zuhören. Kaſſandane ſuchte das ungeſtüme Mädchen zu beſänf- tigen und betheuerte, daß jeder Verſuch, Nitetis zu ſpre- chen, vergeblich ſein würde. Nun begann Atoſſa von Neuem zu toben und zwang endlich die Greiſin ihr mit mütterlicher Strenge Stillſchweigen aufzuerlegen und ſie, als der Morgen graute, in ihr Schlafgemach zu ver- weiſen. Das Mädchen folgte dem Gebote der Blinden und

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/231>, abgerufen am 29.03.2024.