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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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welcher zufällig in meinen Besitz kam, als mich Gyges,
um mir das Leben zu retten, zwang, meine Kleider mit
seinen Gewändern zu vertauschen."

"Ein Lyder betrügt den Fuchs, ein Syrer den Lyder;
-- aber ein Jonier alle Beide," murmelte der König und
lächelte zum erstenmale; "Krösus erzählte mir von dieser
Geschichte. -- Armer Krösus!" -- Bei diesen Worten
verfinsterten sich seine Züge von Neuem, und seine Hand
versuchte die Falten von seiner Stirn zu streichen; der
Athener aber fuhr fort: "Jch legte meine Reise ohne
Hinderniß zurück, bis ich heute Morgen in der ersten
Stunde nach Mitternacht von einem seltsamen Ereignisse
aufgehalten wurde." --

Der König horchte, aufmerksamer werdend, der Er-
zählung und mahnte den die persische Sprache mühsam
handhabenden Athener zur Eile.

"Wir befanden uns," fuhr derselbe fort, "zwischen
dem letzten und vorletzten Stationshause vor Babylon und
hofften bei Sonnenaufgang die Stadt zu erreichen. Jch
dachte meiner bewegten Vergangenheit, und meine schmerz-
erfüllte, von der Erinnerung an ungerochene Frevelthaten
beunruhigte Seele fand keinen Schlaf, während der ägyp-
tische Greis an meiner Seite, von dem einförmigen Klange
der Glöckchen an den Pferdegeschirren, dem immer gleichen
Hufschlage der Gäule und dem Brausen der Euphratwogen
eingewiegt, an meiner Seite friedlich träumend ruhte. Die
Nacht war wunderbar schön und still. Die Strahlen des
Mondes beschienen den Weg und vereinten sich mit dem
Schimmer der Sterne, um die schlummernde Landschaft
beinahe tageshell zu erleuchten. Kein Fuhrwerk, kein
Wandrer oder Reiter war uns seit einer Stunde begegnet;
die ganze Bevölkerung der Umgegend von Babylon befand

welcher zufällig in meinen Beſitz kam, als mich Gyges,
um mir das Leben zu retten, zwang, meine Kleider mit
ſeinen Gewändern zu vertauſchen.“

„Ein Lyder betrügt den Fuchs, ein Syrer den Lyder;
— aber ein Jonier alle Beide,“ murmelte der König und
lächelte zum erſtenmale; „Kröſus erzählte mir von dieſer
Geſchichte. — Armer Kröſus!“ — Bei dieſen Worten
verfinſterten ſich ſeine Züge von Neuem, und ſeine Hand
verſuchte die Falten von ſeiner Stirn zu ſtreichen; der
Athener aber fuhr fort: „Jch legte meine Reiſe ohne
Hinderniß zurück, bis ich heute Morgen in der erſten
Stunde nach Mitternacht von einem ſeltſamen Ereigniſſe
aufgehalten wurde.“ —

Der König horchte, aufmerkſamer werdend, der Er-
zählung und mahnte den die perſiſche Sprache mühſam
handhabenden Athener zur Eile.

„Wir befanden uns,“ fuhr derſelbe fort, „zwiſchen
dem letzten und vorletzten Stationshauſe vor Babylon und
hofften bei Sonnenaufgang die Stadt zu erreichen. Jch
dachte meiner bewegten Vergangenheit, und meine ſchmerz-
erfüllte, von der Erinnerung an ungerochene Frevelthaten
beunruhigte Seele fand keinen Schlaf, während der ägyp-
tiſche Greis an meiner Seite, von dem einförmigen Klange
der Glöckchen an den Pferdegeſchirren, dem immer gleichen
Hufſchlage der Gäule und dem Brauſen der Euphratwogen
eingewiegt, an meiner Seite friedlich träumend ruhte. Die
Nacht war wunderbar ſchön und ſtill. Die Strahlen des
Mondes beſchienen den Weg und vereinten ſich mit dem
Schimmer der Sterne, um die ſchlummernde Landſchaft
beinahe tageshell zu erleuchten. Kein Fuhrwerk, kein
Wandrer oder Reiter war uns ſeit einer Stunde begegnet;
die ganze Bevölkerung der Umgegend von Babylon befand

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[211/0213] welcher zufällig in meinen Beſitz kam, als mich Gyges, um mir das Leben zu retten, zwang, meine Kleider mit ſeinen Gewändern zu vertauſchen.“ „Ein Lyder betrügt den Fuchs, ein Syrer den Lyder; — aber ein Jonier alle Beide,“ murmelte der König und lächelte zum erſtenmale; „Kröſus erzählte mir von dieſer Geſchichte. — Armer Kröſus!“ — Bei dieſen Worten verfinſterten ſich ſeine Züge von Neuem, und ſeine Hand verſuchte die Falten von ſeiner Stirn zu ſtreichen; der Athener aber fuhr fort: „Jch legte meine Reiſe ohne Hinderniß zurück, bis ich heute Morgen in der erſten Stunde nach Mitternacht von einem ſeltſamen Ereigniſſe aufgehalten wurde.“ — Der König horchte, aufmerkſamer werdend, der Er- zählung und mahnte den die perſiſche Sprache mühſam handhabenden Athener zur Eile. „Wir befanden uns,“ fuhr derſelbe fort, „zwiſchen dem letzten und vorletzten Stationshauſe vor Babylon und hofften bei Sonnenaufgang die Stadt zu erreichen. Jch dachte meiner bewegten Vergangenheit, und meine ſchmerz- erfüllte, von der Erinnerung an ungerochene Frevelthaten beunruhigte Seele fand keinen Schlaf, während der ägyp- tiſche Greis an meiner Seite, von dem einförmigen Klange der Glöckchen an den Pferdegeſchirren, dem immer gleichen Hufſchlage der Gäule und dem Brauſen der Euphratwogen eingewiegt, an meiner Seite friedlich träumend ruhte. Die Nacht war wunderbar ſchön und ſtill. Die Strahlen des Mondes beſchienen den Weg und vereinten ſich mit dem Schimmer der Sterne, um die ſchlummernde Landſchaft beinahe tageshell zu erleuchten. Kein Fuhrwerk, kein Wandrer oder Reiter war uns ſeit einer Stunde begegnet; die ganze Bevölkerung der Umgegend von Babylon befand

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/213>, abgerufen am 19.04.2024.