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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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über die nahe Hinrichtung des geliebten Jünglings. Männer,
Weiber, Kinder tobten, schrieen, fluchten und feuerten ein-
ander zu immer heftiger werdenden Zornausbrüchen an.
Alle Werkstellen leerten sich, die Kaufleute schlossen ihre
Gewölbe und die Schulbuben und Dienstleute, denen der
Geburtstag des Königs acht freie Tage zu geben pflegte,
benutzten ihre Unabhängigkeit, um am lautesten zu schreien
und, oftmals ohne zu wissen, um was es sich handelte,
zu klagen und zu heulen.

Endlich wurde das Getümmel so groß, daß die
Peitschenträger nicht mehr zur Herstellung der Ruhe ge-
nügten, und eine Abtheilung der Leibwache, um die Straßen
zu säubern, aufmarschiren mußte. Sobald sich die glän-
zenden Rüstungen und langen Lanzen derselben zeigten,
wich das Volk zurück, besetzte die Nebengassen und sammelte
sich, sobald die Soldaten vorüber waren, zu neuen Haufen.

Am sogenannten Thore des Bel, in welches die nach
Westen führende Landstraße mündete, war das Gedränge
am größten, denn es hieß, daß die Aegypterin zu diesem
Thore, durch welches sie in Babylon eingezogen, schimpflich
hinausgeführt werden solle. So war denn auch an dieser
Stelle eine besonders zahlreiche Schaar von Peitschenträgern
aufgestellt worden, der es oblag, den durch das Thor
ziehenden Wandrern Platz zu machen. Uebrigens begaben
sich heute nur Wenige aus der Stadt hinaus, denn die
Neugier war stärker, als der Drang der Geschäfte oder
die Lust, sich im Freien zu ergehn; diejenigen aber, welche
von auswärts kamen, verweilten fast alle bei dem Thor,
als sie vernahmen, welches Schauspiel der dort versam-
melten Menge geboten werden sollte.

Schon stand die Sonne hoch am Himmel, und es
fehlten nur noch wenige Stunden an der zum Eselsritte

über die nahe Hinrichtung des geliebten Jünglings. Männer,
Weiber, Kinder tobten, ſchrieen, fluchten und feuerten ein-
ander zu immer heftiger werdenden Zornausbrüchen an.
Alle Werkſtellen leerten ſich, die Kaufleute ſchloſſen ihre
Gewölbe und die Schulbuben und Dienſtleute, denen der
Geburtstag des Königs acht freie Tage zu geben pflegte,
benutzten ihre Unabhängigkeit, um am lauteſten zu ſchreien
und, oftmals ohne zu wiſſen, um was es ſich handelte,
zu klagen und zu heulen.

Endlich wurde das Getümmel ſo groß, daß die
Peitſchenträger nicht mehr zur Herſtellung der Ruhe ge-
nügten, und eine Abtheilung der Leibwache, um die Straßen
zu ſäubern, aufmarſchiren mußte. Sobald ſich die glän-
zenden Rüſtungen und langen Lanzen derſelben zeigten,
wich das Volk zurück, beſetzte die Nebengaſſen und ſammelte
ſich, ſobald die Soldaten vorüber waren, zu neuen Haufen.

Am ſogenannten Thore des Bel, in welches die nach
Weſten führende Landſtraße mündete, war das Gedränge
am größten, denn es hieß, daß die Aegypterin zu dieſem
Thore, durch welches ſie in Babylon eingezogen, ſchimpflich
hinausgeführt werden ſolle. So war denn auch an dieſer
Stelle eine beſonders zahlreiche Schaar von Peitſchenträgern
aufgeſtellt worden, der es oblag, den durch das Thor
ziehenden Wandrern Platz zu machen. Uebrigens begaben
ſich heute nur Wenige aus der Stadt hinaus, denn die
Neugier war ſtärker, als der Drang der Geſchäfte oder
die Luſt, ſich im Freien zu ergehn; diejenigen aber, welche
von auswärts kamen, verweilten faſt alle bei dem Thor,
als ſie vernahmen, welches Schauſpiel der dort verſam-
melten Menge geboten werden ſollte.

Schon ſtand die Sonne hoch am Himmel, und es
fehlten nur noch wenige Stunden an der zum Eſelsritte

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[198/0200] über die nahe Hinrichtung des geliebten Jünglings. Männer, Weiber, Kinder tobten, ſchrieen, fluchten und feuerten ein- ander zu immer heftiger werdenden Zornausbrüchen an. Alle Werkſtellen leerten ſich, die Kaufleute ſchloſſen ihre Gewölbe und die Schulbuben und Dienſtleute, denen der Geburtstag des Königs acht freie Tage zu geben pflegte, benutzten ihre Unabhängigkeit, um am lauteſten zu ſchreien und, oftmals ohne zu wiſſen, um was es ſich handelte, zu klagen und zu heulen. Endlich wurde das Getümmel ſo groß, daß die Peitſchenträger nicht mehr zur Herſtellung der Ruhe ge- nügten, und eine Abtheilung der Leibwache, um die Straßen zu ſäubern, aufmarſchiren mußte. Sobald ſich die glän- zenden Rüſtungen und langen Lanzen derſelben zeigten, wich das Volk zurück, beſetzte die Nebengaſſen und ſammelte ſich, ſobald die Soldaten vorüber waren, zu neuen Haufen. Am ſogenannten Thore des Bel, in welches die nach Weſten führende Landſtraße mündete, war das Gedränge am größten, denn es hieß, daß die Aegypterin zu dieſem Thore, durch welches ſie in Babylon eingezogen, ſchimpflich hinausgeführt werden ſolle. So war denn auch an dieſer Stelle eine beſonders zahlreiche Schaar von Peitſchenträgern aufgeſtellt worden, der es oblag, den durch das Thor ziehenden Wandrern Platz zu machen. Uebrigens begaben ſich heute nur Wenige aus der Stadt hinaus, denn die Neugier war ſtärker, als der Drang der Geſchäfte oder die Luſt, ſich im Freien zu ergehn; diejenigen aber, welche von auswärts kamen, verweilten faſt alle bei dem Thor, als ſie vernahmen, welches Schauſpiel der dort verſam- melten Menge geboten werden ſollte. Schon ſtand die Sonne hoch am Himmel, und es fehlten nur noch wenige Stunden an der zum Eſelsritte

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/200>, abgerufen am 28.03.2024.