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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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zweitens einer ägyptischen Hinrichtung zuzusehen ... aber
ich greife meiner Geschichte vor und will von Anfang an
erzählen. Weinen, lachen, schreien darfst Du vor Freude,
so viel Du willst; das Fragen bleibt Dir aber verwehrt,
bis ich fertig bin. Diese Liebkosung hab' ich wohl ver-
dient! So, jetzt lieg' ich gut, und kann anfangen: "Es
lebte in Persien ein großer König, der viele Weiber hatte,
von denen er Phädyme am meisten liebte und vor allen
Andern auszeichnete. Da fiel es ihm eines Tages ein,
um die Hand der Tochter des Amasis von Aegypten zu
werben. So schickte er denn eine große Gesandtschaft mit
seinem eignen Bruder als Freiwerber nach Sais ..."

"Thorheiten," rief Phädyme, ungeduldig mit den
Füßen stampfend. Jch will wissen, was sich heut ereignet
hat."

"Geduld, Geduld mein ungestümer Wind des Ader *).
Wenn Du mich noch einmal unterbrichst, so geh' ich fort
und erzähle den Bäumen meine Geschichte. Gönne mir
doch die Freude, meine Erfolge zum Andernmale zu durch-
leben. Während ich erzähle, befinde ich mich so wohl,
wie ein Kater, dem man den Rücken streicht!"

"Nein, nein," unterbrach ihn Phädyme abermals,
"ich kann jetzt nicht hören, was ich schon lange weiß. Jch
sterbe vor Ungeduld. Seit vielen Stunden warte ich hier
in fieberhafter Spannung. Jedes neue Gerücht, das sich
Dienerinnen und Eunuchen zu mir zu bringen beeilten,
steigerte meine Ungeduld. Jch bin im Fieber und kann
nicht länger warten. Verlange von mir, was Du willst,
aber befreie mich aus dieser entsetzlichen Spannung. Später
will ich Dir, wenn Du mich bittest, Tage lang zuhören!"

*) März.

zweitens einer ägyptiſchen Hinrichtung zuzuſehen ... aber
ich greife meiner Geſchichte vor und will von Anfang an
erzählen. Weinen, lachen, ſchreien darfſt Du vor Freude,
ſo viel Du willſt; das Fragen bleibt Dir aber verwehrt,
bis ich fertig bin. Dieſe Liebkoſung hab’ ich wohl ver-
dient! So, jetzt lieg’ ich gut, und kann anfangen: „Es
lebte in Perſien ein großer König, der viele Weiber hatte,
von denen er Phädyme am meiſten liebte und vor allen
Andern auszeichnete. Da fiel es ihm eines Tages ein,
um die Hand der Tochter des Amaſis von Aegypten zu
werben. So ſchickte er denn eine große Geſandtſchaft mit
ſeinem eignen Bruder als Freiwerber nach Sais ...“

„Thorheiten,“ rief Phädyme, ungeduldig mit den
Füßen ſtampfend. Jch will wiſſen, was ſich heut ereignet
hat.“

„Geduld, Geduld mein ungeſtümer Wind des Ader *).
Wenn Du mich noch einmal unterbrichſt, ſo geh’ ich fort
und erzähle den Bäumen meine Geſchichte. Gönne mir
doch die Freude, meine Erfolge zum Andernmale zu durch-
leben. Während ich erzähle, befinde ich mich ſo wohl,
wie ein Kater, dem man den Rücken ſtreicht!“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn Phädyme abermals,
„ich kann jetzt nicht hören, was ich ſchon lange weiß. Jch
ſterbe vor Ungeduld. Seit vielen Stunden warte ich hier
in fieberhafter Spannung. Jedes neue Gerücht, das ſich
Dienerinnen und Eunuchen zu mir zu bringen beeilten,
ſteigerte meine Ungeduld. Jch bin im Fieber und kann
nicht länger warten. Verlange von mir, was Du willſt,
aber befreie mich aus dieſer entſetzlichen Spannung. Später
will ich Dir, wenn Du mich bitteſt, Tage lang zuhören!“

*) März.
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[191/0193] zweitens einer ägyptiſchen Hinrichtung zuzuſehen ... aber ich greife meiner Geſchichte vor und will von Anfang an erzählen. Weinen, lachen, ſchreien darfſt Du vor Freude, ſo viel Du willſt; das Fragen bleibt Dir aber verwehrt, bis ich fertig bin. Dieſe Liebkoſung hab’ ich wohl ver- dient! So, jetzt lieg’ ich gut, und kann anfangen: „Es lebte in Perſien ein großer König, der viele Weiber hatte, von denen er Phädyme am meiſten liebte und vor allen Andern auszeichnete. Da fiel es ihm eines Tages ein, um die Hand der Tochter des Amaſis von Aegypten zu werben. So ſchickte er denn eine große Geſandtſchaft mit ſeinem eignen Bruder als Freiwerber nach Sais ...“ „Thorheiten,“ rief Phädyme, ungeduldig mit den Füßen ſtampfend. Jch will wiſſen, was ſich heut ereignet hat.“ „Geduld, Geduld mein ungeſtümer Wind des Ader *). Wenn Du mich noch einmal unterbrichſt, ſo geh’ ich fort und erzähle den Bäumen meine Geſchichte. Gönne mir doch die Freude, meine Erfolge zum Andernmale zu durch- leben. Während ich erzähle, befinde ich mich ſo wohl, wie ein Kater, dem man den Rücken ſtreicht!“ „Nein, nein,“ unterbrach ihn Phädyme abermals, „ich kann jetzt nicht hören, was ich ſchon lange weiß. Jch ſterbe vor Ungeduld. Seit vielen Stunden warte ich hier in fieberhafter Spannung. Jedes neue Gerücht, das ſich Dienerinnen und Eunuchen zu mir zu bringen beeilten, ſteigerte meine Ungeduld. Jch bin im Fieber und kann nicht länger warten. Verlange von mir, was Du willſt, aber befreie mich aus dieſer entſetzlichen Spannung. Später will ich Dir, wenn Du mich bitteſt, Tage lang zuhören!“ *) März.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/193>, abgerufen am 25.04.2024.