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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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Aeckern rings umher, in zahllosen Mengen, schlank und zier-
lich erhoben.

Oftmals hatte sie diese schönen Bäume bewundert und
sie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre schwe-
ren Kronen erfaßte und ihre schlanken Stämme bald hier-
hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte sie sich gesagt,
hier müsse die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem
Palmenlande sein, der, wie die Priester erzählten, alle 500
Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo-
selbst er sich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte,
um schöner zu erstehen aus seiner Asche und nach drei Ta-
gen in seine östliche Heimat zurückzufliegen. Und während
sie dieses Vogels gedachte und gleich ihm aus der Asche
des Unglücks zu neuem, schönerem Glücke zu erstehen wünschte,
da flog von den Cypressen her, welche die Wohnung dessen
verbargen, den sie liebte und der sie so elend gemacht hatte,
ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, schwang
sich höher und höher und ließ sich endlich auf einer Palme
dicht vor ihrem Fenster nieder. Einen gleichen Vogel hatte
sie noch nie gesehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher
Vogel sein, denn ein goldenes Kettlein hing an seinem
Fuße, und sein Schweif bestand nicht aus Federn, sondern,
wie sie meinte, aus Sonnenstrahlen. Dieß war Benno 111),
der Vogel des Ra! Andächtig fiel sie von Neuem auf die
Kniee nieder und sang das alte Phönixlied, indem sie von
dem strahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.

"Hoch über den Häuptern der Menschen daher
Durchschneidet mein Fittig das Aethermeer.
Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;
Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
*) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.

Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier-
lich erhoben.

Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und
ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe-
ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier-
hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt,
hier müſſe die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem
Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500
Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo-
ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte,
um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta-
gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während
ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche
des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte,
da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen
verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte,
ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang
ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme
dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte
ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher
Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem
Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern,
wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno 111),
der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die
Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von
dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte.

„Hoch über den Häuptern der Menſchen daher
Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer.
Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht;
Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht;
*) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.
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[187/0189] Aeckern rings umher, in zahlloſen Mengen, ſchlank und zier- lich erhoben. Oftmals hatte ſie dieſe ſchönen Bäume bewundert und ſie mit Tänzerinnen verglichen, wenn der Sturm ihre ſchwe- ren Kronen erfaßte und ihre ſchlanken Stämme bald hier- hin bald dorthin beugte. Wie häufig hatte ſie ſich geſagt, hier müſſe die Heimat des Phönix *), des Vogels aus dem Palmenlande ſein, der, wie die Prieſter erzählten, alle 500 Jahre zu dem Tempel des Ra nach Heliopolis kam, wo- ſelbſt er ſich in heiligen Weihrauchflammen verbrannte, um ſchöner zu erſtehen aus ſeiner Aſche und nach drei Ta- gen in ſeine öſtliche Heimat zurückzufliegen. Und während ſie dieſes Vogels gedachte und gleich ihm aus der Aſche des Unglücks zu neuem, ſchönerem Glücke zu erſtehen wünſchte, da flog von den Cypreſſen her, welche die Wohnung deſſen verbargen, den ſie liebte und der ſie ſo elend gemacht hatte, ein großer Vogel mit glänzendem Gefieder auf, ſchwang ſich höher und höher und ließ ſich endlich auf einer Palme dicht vor ihrem Fenſter nieder. Einen gleichen Vogel hatte ſie noch nie geſehen, und es konnte auch kein gewöhnlicher Vogel ſein, denn ein goldenes Kettlein hing an ſeinem Fuße, und ſein Schweif beſtand nicht aus Federn, ſondern, wie ſie meinte, aus Sonnenſtrahlen. Dieß war Benno 111), der Vogel des Ra! Andächtig fiel ſie von Neuem auf die Kniee nieder und ſang das alte Phönixlied, indem ſie von dem ſtrahlenden Luftbewohner keinen Blick verwandte. „Hoch über den Häuptern der Menſchen daher Durchſchneidet mein Fittig das Aethermeer. Der Schöpfer, der mächtige, hat mich gemacht; Er gab meinem Kleide die glänzende Pracht; *) Siehe Anmerkung 114 des I. Theils.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/189>, abgerufen am 29.03.2024.