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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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ihre letzte Stunde und sagte sich: "Er tödtet Dich zwar;
aber er tödtet Dich aus Liebe." Dann kam ihr der Ge-
danke, ihm einen Brief zu schreiben und ihm in demselben
die ganze Fülle ihrer Liebe zu gestehen. Er sollte dieß
Schreiben erst nach ihrem Tode erhalten, damit er nicht
glauben möge, sie habe dasselbe, um ihr Leben zu retten,
geschrieben. Die Hoffnung, der unbeugsame Starke könnte
diese letzten Grüße vielleicht mit seinen Thränen benetzen,
erfüllte ihre Seele mit einer schmerzlichen Wollust.

Trotz ihrer schweren Ketten schrieb sie dann folgende
Worte: "Kambyses wird dieses Schreiben erst, wenn ich
nicht mehr sein werde, erhalten. Dasselbe soll meinem Ge-
bieter sagen, daß ich ihn heißer liebe als die Götter, die
Welt, ja als mein eigenes junges Leben. Kassandane und
Atossa sollen sich meiner freundlich erinnern! Aus dem
Briefe meiner Mutter werden sie ersehen, daß ich unschuldig
bin und Bartja nur um meiner armen Schwester willen
zu sprechen begehrte. Boges hat mir gesagt, mein Tod
sei beschlossen. Wenn der Henker naht, so werde ich mei-
nem Leben ein Ende machen. Jch begehe ein Verbrechen
an mir selbst, um Dich, Kambyses, vor einer schimpflichen
That zu bewahren."

Dieses Schreiben übergab sie sammt dem Briefe ihrer
Mutter der weinenden Mandane mit der Bitte, denselben
Kambyses, wenn sie nicht mehr sein sollte, zuzustellen.

Dann warf sie sich nieder und flehte zu den Göttern
ihrer Heimat, indem sie dieselben wegen ihrer Abtrünnig-
keit um Verzeihung bat.

Als Mandane sie ermahnte, ihrer Schwäche zu geden-
ken und sich niederzulegen, sagte sie: "Jch brauche nicht
zu schlafen, denn ich habe ja nur noch kurze Zeit zu
wachen!"

ihre letzte Stunde und ſagte ſich: „Er tödtet Dich zwar;
aber er tödtet Dich aus Liebe.“ Dann kam ihr der Ge-
danke, ihm einen Brief zu ſchreiben und ihm in demſelben
die ganze Fülle ihrer Liebe zu geſtehen. Er ſollte dieß
Schreiben erſt nach ihrem Tode erhalten, damit er nicht
glauben möge, ſie habe daſſelbe, um ihr Leben zu retten,
geſchrieben. Die Hoffnung, der unbeugſame Starke könnte
dieſe letzten Grüße vielleicht mit ſeinen Thränen benetzen,
erfüllte ihre Seele mit einer ſchmerzlichen Wolluſt.

Trotz ihrer ſchweren Ketten ſchrieb ſie dann folgende
Worte: „Kambyſes wird dieſes Schreiben erſt, wenn ich
nicht mehr ſein werde, erhalten. Daſſelbe ſoll meinem Ge-
bieter ſagen, daß ich ihn heißer liebe als die Götter, die
Welt, ja als mein eigenes junges Leben. Kaſſandane und
Atoſſa ſollen ſich meiner freundlich erinnern! Aus dem
Briefe meiner Mutter werden ſie erſehen, daß ich unſchuldig
bin und Bartja nur um meiner armen Schweſter willen
zu ſprechen begehrte. Boges hat mir geſagt, mein Tod
ſei beſchloſſen. Wenn der Henker naht, ſo werde ich mei-
nem Leben ein Ende machen. Jch begehe ein Verbrechen
an mir ſelbſt, um Dich, Kambyſes, vor einer ſchimpflichen
That zu bewahren.“

Dieſes Schreiben übergab ſie ſammt dem Briefe ihrer
Mutter der weinenden Mandane mit der Bitte, denſelben
Kambyſes, wenn ſie nicht mehr ſein ſollte, zuzuſtellen.

Dann warf ſie ſich nieder und flehte zu den Göttern
ihrer Heimat, indem ſie dieſelben wegen ihrer Abtrünnig-
keit um Verzeihung bat.

Als Mandane ſie ermahnte, ihrer Schwäche zu geden-
ken und ſich niederzulegen, ſagte ſie: „Jch brauche nicht
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[184/0186] ihre letzte Stunde und ſagte ſich: „Er tödtet Dich zwar; aber er tödtet Dich aus Liebe.“ Dann kam ihr der Ge- danke, ihm einen Brief zu ſchreiben und ihm in demſelben die ganze Fülle ihrer Liebe zu geſtehen. Er ſollte dieß Schreiben erſt nach ihrem Tode erhalten, damit er nicht glauben möge, ſie habe daſſelbe, um ihr Leben zu retten, geſchrieben. Die Hoffnung, der unbeugſame Starke könnte dieſe letzten Grüße vielleicht mit ſeinen Thränen benetzen, erfüllte ihre Seele mit einer ſchmerzlichen Wolluſt. Trotz ihrer ſchweren Ketten ſchrieb ſie dann folgende Worte: „Kambyſes wird dieſes Schreiben erſt, wenn ich nicht mehr ſein werde, erhalten. Daſſelbe ſoll meinem Ge- bieter ſagen, daß ich ihn heißer liebe als die Götter, die Welt, ja als mein eigenes junges Leben. Kaſſandane und Atoſſa ſollen ſich meiner freundlich erinnern! Aus dem Briefe meiner Mutter werden ſie erſehen, daß ich unſchuldig bin und Bartja nur um meiner armen Schweſter willen zu ſprechen begehrte. Boges hat mir geſagt, mein Tod ſei beſchloſſen. Wenn der Henker naht, ſo werde ich mei- nem Leben ein Ende machen. Jch begehe ein Verbrechen an mir ſelbſt, um Dich, Kambyſes, vor einer ſchimpflichen That zu bewahren.“ Dieſes Schreiben übergab ſie ſammt dem Briefe ihrer Mutter der weinenden Mandane mit der Bitte, denſelben Kambyſes, wenn ſie nicht mehr ſein ſollte, zuzuſtellen. Dann warf ſie ſich nieder und flehte zu den Göttern ihrer Heimat, indem ſie dieſelben wegen ihrer Abtrünnig- keit um Verzeihung bat. Als Mandane ſie ermahnte, ihrer Schwäche zu geden- ken und ſich niederzulegen, ſagte ſie: „Jch brauche nicht zu ſchlafen, denn ich habe ja nur noch kurze Zeit zu wachen!“

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/186>, abgerufen am 19.04.2024.