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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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vorüber, schlüpfte mit seinem Begleiter in die offen gehal-
tene Fallthüre, schloß dieselbe behutsam und verschwand.

Mandane eilte schnell in das Zimmer, in welchem
ihre Herrin des Abends zu verweilen pflegte. Sie kannte
die Gewohnheiten derselben und wußte, daß sie allabendlich
beim Aufgang der Sterne an dem dem Euphrat zugekehr-
ten Fenster saß und von dort aus, ohne jemals nach einer
Dienerin zu verlangen, Stundenlang in den Strom und
die Ebene schaute. So hatte sie, ohne eine Entdeckung von
dieser Seite befürchten zu brauchen, und von dem Eunuchen-
obersten selbst beschützt, ihren Geliebten ruhig erwarten
können.

Kaum hatte sie ihre bewußtlose Herrin gefunden, als
sie vernahm, wie sich der Garten mit Menschen füllte,
Männer- und Eunuchenstimmen durcheinander schrieen, und
die Trompete ertönte, welche die Wächter herbeizurufen be-
stimmt war. Anfänglich zitterte sie in dem Gedanken, man
habe ihren Geliebten entdeckt; als aber Boges erschien und
ihr zuflüsterte: "Er ist glücklich entkommen!" befahl sie den
Dienerinnen, welche aus dem Weibergemach, in das sie die-
selben, ihres Stelldicheins wegen, verbannt hatte, schaaren-
weis herbeiströmten, die Gebieterin in ihre Schlafkammer
zu tragen, und wendete alle Mittel an, um Nitetis in's
Leben zurückzurufen. Dieselbe hatte kaum die Augen ge-
öffnet, als Boges in ihr Zimmer trat und zweien Eunuchen,
die ihm folgten, befahl, ihre zarten Arme mit Ketten zu
belasten.

Keines Wortes mächtig ließ Nitetis Alles über sich
ergehen; ja sie fand keine Erwiderung, als ihr Boges, das
Haus verlassend, zurief: "Laß' Dir's in Deinem Käfig wohl
gefallen, mein gefangenes Vögelchen. So eben erzählt man
Deinem Herrn, ein Königsmarder habe sich in seinem

vorüber, ſchlüpfte mit ſeinem Begleiter in die offen gehal-
tene Fallthüre, ſchloß dieſelbe behutſam und verſchwand.

Mandane eilte ſchnell in das Zimmer, in welchem
ihre Herrin des Abends zu verweilen pflegte. Sie kannte
die Gewohnheiten derſelben und wußte, daß ſie allabendlich
beim Aufgang der Sterne an dem dem Euphrat zugekehr-
ten Fenſter ſaß und von dort aus, ohne jemals nach einer
Dienerin zu verlangen, Stundenlang in den Strom und
die Ebene ſchaute. So hatte ſie, ohne eine Entdeckung von
dieſer Seite befürchten zu brauchen, und von dem Eunuchen-
oberſten ſelbſt beſchützt, ihren Geliebten ruhig erwarten
können.

Kaum hatte ſie ihre bewußtloſe Herrin gefunden, als
ſie vernahm, wie ſich der Garten mit Menſchen füllte,
Männer- und Eunuchenſtimmen durcheinander ſchrieen, und
die Trompete ertönte, welche die Wächter herbeizurufen be-
ſtimmt war. Anfänglich zitterte ſie in dem Gedanken, man
habe ihren Geliebten entdeckt; als aber Boges erſchien und
ihr zuflüſterte: „Er iſt glücklich entkommen!“ befahl ſie den
Dienerinnen, welche aus dem Weibergemach, in das ſie die-
ſelben, ihres Stelldicheins wegen, verbannt hatte, ſchaaren-
weis herbeiſtrömten, die Gebieterin in ihre Schlafkammer
zu tragen, und wendete alle Mittel an, um Nitetis in’s
Leben zurückzurufen. Dieſelbe hatte kaum die Augen ge-
öffnet, als Boges in ihr Zimmer trat und zweien Eunuchen,
die ihm folgten, befahl, ihre zarten Arme mit Ketten zu
belaſten.

Keines Wortes mächtig ließ Nitetis Alles über ſich
ergehen; ja ſie fand keine Erwiderung, als ihr Boges, das
Haus verlaſſend, zurief: „Laß’ Dir’s in Deinem Käfig wohl
gefallen, mein gefangenes Vögelchen. So eben erzählt man
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[182/0184] vorüber, ſchlüpfte mit ſeinem Begleiter in die offen gehal- tene Fallthüre, ſchloß dieſelbe behutſam und verſchwand. Mandane eilte ſchnell in das Zimmer, in welchem ihre Herrin des Abends zu verweilen pflegte. Sie kannte die Gewohnheiten derſelben und wußte, daß ſie allabendlich beim Aufgang der Sterne an dem dem Euphrat zugekehr- ten Fenſter ſaß und von dort aus, ohne jemals nach einer Dienerin zu verlangen, Stundenlang in den Strom und die Ebene ſchaute. So hatte ſie, ohne eine Entdeckung von dieſer Seite befürchten zu brauchen, und von dem Eunuchen- oberſten ſelbſt beſchützt, ihren Geliebten ruhig erwarten können. Kaum hatte ſie ihre bewußtloſe Herrin gefunden, als ſie vernahm, wie ſich der Garten mit Menſchen füllte, Männer- und Eunuchenſtimmen durcheinander ſchrieen, und die Trompete ertönte, welche die Wächter herbeizurufen be- ſtimmt war. Anfänglich zitterte ſie in dem Gedanken, man habe ihren Geliebten entdeckt; als aber Boges erſchien und ihr zuflüſterte: „Er iſt glücklich entkommen!“ befahl ſie den Dienerinnen, welche aus dem Weibergemach, in das ſie die- ſelben, ihres Stelldicheins wegen, verbannt hatte, ſchaaren- weis herbeiſtrömten, die Gebieterin in ihre Schlafkammer zu tragen, und wendete alle Mittel an, um Nitetis in’s Leben zurückzurufen. Dieſelbe hatte kaum die Augen ge- öffnet, als Boges in ihr Zimmer trat und zweien Eunuchen, die ihm folgten, befahl, ihre zarten Arme mit Ketten zu belaſten. Keines Wortes mächtig ließ Nitetis Alles über ſich ergehen; ja ſie fand keine Erwiderung, als ihr Boges, das Haus verlaſſend, zurief: „Laß’ Dir’s in Deinem Käfig wohl gefallen, mein gefangenes Vögelchen. So eben erzählt man Deinem Herrn, ein Königsmarder habe ſich in ſeinem

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/184>, abgerufen am 19.04.2024.