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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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und ungerecht sei. Gyges schaute seinen Vater flehend an,
Araspes stellte sich zwischen den tadelnden Greis und den
gekränkten Jüngling; Darius aber trat mit ruhiger Ueber-
legenheit, nachdem er eine Zeitlang alle Betheiligten still
beobachtet hatte, Krösus gegenüber und sagte: "Jhr kränkt
und beleidigt einander, ohne daß der Angeklagte zu wissen
scheint, wessen man ihn bezüchtigt, ohne daß der Richter
die Vertheidigung des Beschuldigten hört. Jch bitte Dich,
Krösus, theile uns mit, um der Freundschaft willen, die
uns bis heute verband, was Dich bewog, Deiner gewohn-
ten Milde zu vergessen und den besten der Achämeniden so
schwerer Vergehen anzuklagen."

Der Greis folgte diesem Verlangen und erzählte, daß
er einen eigenhändigen Brief der Aegypterin gelesen, in
dem dieselbe Bartja eine Liebeserklärung mache und zu
einer geheimen Zusammenkunft auffordre. Seine eignen
Augen, das Zeugniß der ersten Männer im Reiche, ja
selbst der vor dem Hause der Nitetis gefundene Dolch habe
ihn nicht von der Schuld seines Lieblings überzeugen kön-
nen; jener Brief aber sei gleich einer Brandfackel in sein
Herz geflogen und habe die letzten Reste seines Glaubens
an die Tugend und Reinheit des Weibes vernichtet.

"Jch verließ den König," so schloß er, "fest überzeugt
von der frevelhaften Verbindung eures Freundes mit jener
Aegypterin, deren Herz ich bis dahin für einen Spiegel
alles Guten und Schönen gehalten hatte. Könnt ihr mir
verargen, wenn ich denjenigen tadle, welcher diesen klaren
Spiegel und die nicht minder makellose Reinheit seiner
eignen Seele so schändlich befleckte?"

"Wie soll ich Dir meine Unschuld beweisen!?" rief
Bartja die Hände ringend. "Wenn Du mich liebtest, so wür-
dest Du meinen Worten glauben; wärest Du mir zugethan ..."

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. II. 12

und ungerecht ſei. Gyges ſchaute ſeinen Vater flehend an,
Araspes ſtellte ſich zwiſchen den tadelnden Greis und den
gekränkten Jüngling; Darius aber trat mit ruhiger Ueber-
legenheit, nachdem er eine Zeitlang alle Betheiligten ſtill
beobachtet hatte, Kröſus gegenüber und ſagte: „Jhr kränkt
und beleidigt einander, ohne daß der Angeklagte zu wiſſen
ſcheint, weſſen man ihn bezüchtigt, ohne daß der Richter
die Vertheidigung des Beſchuldigten hört. Jch bitte Dich,
Kröſus, theile uns mit, um der Freundſchaft willen, die
uns bis heute verband, was Dich bewog, Deiner gewohn-
ten Milde zu vergeſſen und den beſten der Achämeniden ſo
ſchwerer Vergehen anzuklagen.“

Der Greis folgte dieſem Verlangen und erzählte, daß
er einen eigenhändigen Brief der Aegypterin geleſen, in
dem dieſelbe Bartja eine Liebeserklärung mache und zu
einer geheimen Zuſammenkunft auffordre. Seine eignen
Augen, das Zeugniß der erſten Männer im Reiche, ja
ſelbſt der vor dem Hauſe der Nitetis gefundene Dolch habe
ihn nicht von der Schuld ſeines Lieblings überzeugen kön-
nen; jener Brief aber ſei gleich einer Brandfackel in ſein
Herz geflogen und habe die letzten Reſte ſeines Glaubens
an die Tugend und Reinheit des Weibes vernichtet.

„Jch verließ den König,“ ſo ſchloß er, „feſt überzeugt
von der frevelhaften Verbindung eures Freundes mit jener
Aegypterin, deren Herz ich bis dahin für einen Spiegel
alles Guten und Schönen gehalten hatte. Könnt ihr mir
verargen, wenn ich denjenigen tadle, welcher dieſen klaren
Spiegel und die nicht minder makelloſe Reinheit ſeiner
eignen Seele ſo ſchändlich befleckte?“

„Wie ſoll ich Dir meine Unſchuld beweiſen!?“ rief
Bartja die Hände ringend. „Wenn Du mich liebteſt, ſo wür-
deſt Du meinen Worten glauben; wäreſt Du mir zugethan ...“

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 12
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[177/0179] und ungerecht ſei. Gyges ſchaute ſeinen Vater flehend an, Araspes ſtellte ſich zwiſchen den tadelnden Greis und den gekränkten Jüngling; Darius aber trat mit ruhiger Ueber- legenheit, nachdem er eine Zeitlang alle Betheiligten ſtill beobachtet hatte, Kröſus gegenüber und ſagte: „Jhr kränkt und beleidigt einander, ohne daß der Angeklagte zu wiſſen ſcheint, weſſen man ihn bezüchtigt, ohne daß der Richter die Vertheidigung des Beſchuldigten hört. Jch bitte Dich, Kröſus, theile uns mit, um der Freundſchaft willen, die uns bis heute verband, was Dich bewog, Deiner gewohn- ten Milde zu vergeſſen und den beſten der Achämeniden ſo ſchwerer Vergehen anzuklagen.“ Der Greis folgte dieſem Verlangen und erzählte, daß er einen eigenhändigen Brief der Aegypterin geleſen, in dem dieſelbe Bartja eine Liebeserklärung mache und zu einer geheimen Zuſammenkunft auffordre. Seine eignen Augen, das Zeugniß der erſten Männer im Reiche, ja ſelbſt der vor dem Hauſe der Nitetis gefundene Dolch habe ihn nicht von der Schuld ſeines Lieblings überzeugen kön- nen; jener Brief aber ſei gleich einer Brandfackel in ſein Herz geflogen und habe die letzten Reſte ſeines Glaubens an die Tugend und Reinheit des Weibes vernichtet. „Jch verließ den König,“ ſo ſchloß er, „feſt überzeugt von der frevelhaften Verbindung eures Freundes mit jener Aegypterin, deren Herz ich bis dahin für einen Spiegel alles Guten und Schönen gehalten hatte. Könnt ihr mir verargen, wenn ich denjenigen tadle, welcher dieſen klaren Spiegel und die nicht minder makelloſe Reinheit ſeiner eignen Seele ſo ſchändlich befleckte?“ „Wie ſoll ich Dir meine Unſchuld beweiſen!?“ rief Bartja die Hände ringend. „Wenn Du mich liebteſt, ſo wür- deſt Du meinen Worten glauben; wäreſt Du mir zugethan ...“ Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 12

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/179>, abgerufen am 16.04.2024.