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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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und nicht die Undankbarkeit der Treulosigkeit beigesellen
wolltest."

Diese Worte lösten den Zorn des beleidigten Jüng-
lings. Seine geballten Hände sanken kraftlos nieder, und
seine Wangen wurden todtenbleich.

Diesen vermeintlichen Zeichen der Reue konnte das
milde Herz des Greises nicht widerstehen; seine Liebe war
stark genug, um den schuldigen wie den unschuldigen Bartja
zu umfassen, und seinen Arm um den Hals desselben schlin-
gend, fragte er ihn, wie eine Mutter ihr Kind fragt, wenn
sie in dem theuren Angesichte Schmerzen wahrzunehmen
glaubt: "Gestehe mir, mein lieber, armer Sohn; wie war
es möglich, daß Dein reines Herz dem Bösen so schnell an-
heimfallen konnte!"

Bartja hörte diesen Worten schaudernd zu. Sein
Angesicht röthete sich wieder, aber seine Seele erfüllte sich mit
bitterem Weh. Zum erstenmale verließ ihn der Glaube an
die Gerechtigkeit der Götter.

Er nannte sich das Schlachtopfer eines grausamen,
unerbittlichen Geschicks, er empfand dasselbe, was das un-
schuldige, gehetzte Wild fühlen muß, wenn es zusammen-
bricht, und das Nahen der Meute und der Jäger vernimmt.
Seine zarte, kindliche Natur wußte nicht, wie sie diesen
ersten ernsten Schicksalsschlägen entgegentreten sollte. Man
hatte seinen Körper und seinen Muth irdischen Feinden
gegenüber zu stählen gewußt; aber seine Erzieher hatten
ihn ebensowenig als seinen Bruder gelehrt, die Schläge des
Geschicks abzuwehren; schienen Kambyses und Bartja doch
bestimmt zu sein, nur aus der Schaale des Glücks und der
Freude zu trinken.

Zopyros konnte die Thränen seines Freundes nicht
ansehen. Zürnend warf er dem Greise vor, daß er hart

und nicht die Undankbarkeit der Treuloſigkeit beigeſellen
wollteſt.“

Dieſe Worte lösten den Zorn des beleidigten Jüng-
lings. Seine geballten Hände ſanken kraftlos nieder, und
ſeine Wangen wurden todtenbleich.

Dieſen vermeintlichen Zeichen der Reue konnte das
milde Herz des Greiſes nicht widerſtehen; ſeine Liebe war
ſtark genug, um den ſchuldigen wie den unſchuldigen Bartja
zu umfaſſen, und ſeinen Arm um den Hals deſſelben ſchlin-
gend, fragte er ihn, wie eine Mutter ihr Kind fragt, wenn
ſie in dem theuren Angeſichte Schmerzen wahrzunehmen
glaubt: „Geſtehe mir, mein lieber, armer Sohn; wie war
es möglich, daß Dein reines Herz dem Böſen ſo ſchnell an-
heimfallen konnte!“

Bartja hörte dieſen Worten ſchaudernd zu. Sein
Angeſicht röthete ſich wieder, aber ſeine Seele erfüllte ſich mit
bitterem Weh. Zum erſtenmale verließ ihn der Glaube an
die Gerechtigkeit der Götter.

Er nannte ſich das Schlachtopfer eines grauſamen,
unerbittlichen Geſchicks, er empfand daſſelbe, was das un-
ſchuldige, gehetzte Wild fühlen muß, wenn es zuſammen-
bricht, und das Nahen der Meute und der Jäger vernimmt.
Seine zarte, kindliche Natur wußte nicht, wie ſie dieſen
erſten ernſten Schickſalsſchlägen entgegentreten ſollte. Man
hatte ſeinen Körper und ſeinen Muth irdiſchen Feinden
gegenüber zu ſtählen gewußt; aber ſeine Erzieher hatten
ihn ebenſowenig als ſeinen Bruder gelehrt, die Schläge des
Geſchicks abzuwehren; ſchienen Kambyſes und Bartja doch
beſtimmt zu ſein, nur aus der Schaale des Glücks und der
Freude zu trinken.

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anſehen. Zürnend warf er dem Greiſe vor, daß er hart

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[176/0178] und nicht die Undankbarkeit der Treuloſigkeit beigeſellen wollteſt.“ Dieſe Worte lösten den Zorn des beleidigten Jüng- lings. Seine geballten Hände ſanken kraftlos nieder, und ſeine Wangen wurden todtenbleich. Dieſen vermeintlichen Zeichen der Reue konnte das milde Herz des Greiſes nicht widerſtehen; ſeine Liebe war ſtark genug, um den ſchuldigen wie den unſchuldigen Bartja zu umfaſſen, und ſeinen Arm um den Hals deſſelben ſchlin- gend, fragte er ihn, wie eine Mutter ihr Kind fragt, wenn ſie in dem theuren Angeſichte Schmerzen wahrzunehmen glaubt: „Geſtehe mir, mein lieber, armer Sohn; wie war es möglich, daß Dein reines Herz dem Böſen ſo ſchnell an- heimfallen konnte!“ Bartja hörte dieſen Worten ſchaudernd zu. Sein Angeſicht röthete ſich wieder, aber ſeine Seele erfüllte ſich mit bitterem Weh. Zum erſtenmale verließ ihn der Glaube an die Gerechtigkeit der Götter. Er nannte ſich das Schlachtopfer eines grauſamen, unerbittlichen Geſchicks, er empfand daſſelbe, was das un- ſchuldige, gehetzte Wild fühlen muß, wenn es zuſammen- bricht, und das Nahen der Meute und der Jäger vernimmt. Seine zarte, kindliche Natur wußte nicht, wie ſie dieſen erſten ernſten Schickſalsſchlägen entgegentreten ſollte. Man hatte ſeinen Körper und ſeinen Muth irdiſchen Feinden gegenüber zu ſtählen gewußt; aber ſeine Erzieher hatten ihn ebenſowenig als ſeinen Bruder gelehrt, die Schläge des Geſchicks abzuwehren; ſchienen Kambyſes und Bartja doch beſtimmt zu ſein, nur aus der Schaale des Glücks und der Freude zu trinken. Zopyros konnte die Thränen ſeines Freundes nicht anſehen. Zürnend warf er dem Greiſe vor, daß er hart

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/178>, abgerufen am 19.04.2024.