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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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benutzte das allgemeine Stillschweigen und sagte, sich tief
verneigend: "Gestattest Du mir, einige Worte zu reden,
mein König?"

"Sprich!"

"Unser Vater gab uns das Beispiel, nur dem Guten
und Reinen nachzustreben; darum war mein Wandel bis
dahin unbefleckt. Kannst Du mich einer einzigen finsteren
Handlung zeihen, so glaube mir nicht; findest Du aber
keinen Fehl an mir, so traue meinen Worten und bedenke,
daß ein Sohn des Kyros den Tod einer Lüge vorzieht.
Jch gestehe, daß sich noch kein Richter in einer mißlicheren
Lage befand, als Du. Die Besten Deines Reichs zeugen
gegen die Besten, der Freund gegen den Freund, der Va-
ter gegen den Sohn. Jch aber sage Dir, daß, wenn ganz
Persien seine Hand gegen Dich aufhöbe, und Alle beschwö-
ren wollten, Kambyses habe Dieß oder Jenes begangen,
Du aber versichern würdest: ,Jch that es nicht,' ich,
Bartja, das ganze Persien Lügen strafen und ausrufen
würde: ,Jhr seid falsche Zeugen, denn viel eher wird das
Meer Feuer auswerfen, als der Mund des Kyrossohnes
mit Lügen umgehen!' Wir Beide sind so hoch geboren,
daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich selbst
zu zeugen vermagst."

Kambyses sah nach diesen Worten weniger zornig auf
seinen Bruder; dieser aber fuhr fort: "So beschwöre ich
denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geistern meine
Unschuld. Wenn ich seit meiner Heimkehr auf den hän-
genden Gärten gewesen bin, wenn mein Mund Dich jetzo
belügt, dann soll mein Leben vergehen und mein Geschlecht
aussterben!"

Bartja hatte diesen Eid mit so sicherer, überzeugender
Stimme geleistet, daß Kambyses befahl, die Ketten des-

benutzte das allgemeine Stillſchweigen und ſagte, ſich tief
verneigend: „Geſtatteſt Du mir, einige Worte zu reden,
mein König?“

„Sprich!“

„Unſer Vater gab uns das Beiſpiel, nur dem Guten
und Reinen nachzuſtreben; darum war mein Wandel bis
dahin unbefleckt. Kannſt Du mich einer einzigen finſteren
Handlung zeihen, ſo glaube mir nicht; findeſt Du aber
keinen Fehl an mir, ſo traue meinen Worten und bedenke,
daß ein Sohn des Kyros den Tod einer Lüge vorzieht.
Jch geſtehe, daß ſich noch kein Richter in einer mißlicheren
Lage befand, als Du. Die Beſten Deines Reichs zeugen
gegen die Beſten, der Freund gegen den Freund, der Va-
ter gegen den Sohn. Jch aber ſage Dir, daß, wenn ganz
Perſien ſeine Hand gegen Dich aufhöbe, und Alle beſchwö-
ren wollten, Kambyſes habe Dieß oder Jenes begangen,
Du aber verſichern würdeſt: ‚Jch that es nicht,‘ ich,
Bartja, das ganze Perſien Lügen ſtrafen und ausrufen
würde: ‚Jhr ſeid falſche Zeugen, denn viel eher wird das
Meer Feuer auswerfen, als der Mund des Kyrosſohnes
mit Lügen umgehen!‘ Wir Beide ſind ſo hoch geboren,
daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich ſelbſt
zu zeugen vermagſt.“

Kambyſes ſah nach dieſen Worten weniger zornig auf
ſeinen Bruder; dieſer aber fuhr fort: „So beſchwöre ich
denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geiſtern meine
Unſchuld. Wenn ich ſeit meiner Heimkehr auf den hän-
genden Gärten geweſen bin, wenn mein Mund Dich jetzo
belügt, dann ſoll mein Leben vergehen und mein Geſchlecht
ausſterben!“

Bartja hatte dieſen Eid mit ſo ſicherer, überzeugender
Stimme geleiſtet, daß Kambyſes befahl, die Ketten des-

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[164/0166] benutzte das allgemeine Stillſchweigen und ſagte, ſich tief verneigend: „Geſtatteſt Du mir, einige Worte zu reden, mein König?“ „Sprich!“ „Unſer Vater gab uns das Beiſpiel, nur dem Guten und Reinen nachzuſtreben; darum war mein Wandel bis dahin unbefleckt. Kannſt Du mich einer einzigen finſteren Handlung zeihen, ſo glaube mir nicht; findeſt Du aber keinen Fehl an mir, ſo traue meinen Worten und bedenke, daß ein Sohn des Kyros den Tod einer Lüge vorzieht. Jch geſtehe, daß ſich noch kein Richter in einer mißlicheren Lage befand, als Du. Die Beſten Deines Reichs zeugen gegen die Beſten, der Freund gegen den Freund, der Va- ter gegen den Sohn. Jch aber ſage Dir, daß, wenn ganz Perſien ſeine Hand gegen Dich aufhöbe, und Alle beſchwö- ren wollten, Kambyſes habe Dieß oder Jenes begangen, Du aber verſichern würdeſt: ‚Jch that es nicht,‘ ich, Bartja, das ganze Perſien Lügen ſtrafen und ausrufen würde: ‚Jhr ſeid falſche Zeugen, denn viel eher wird das Meer Feuer auswerfen, als der Mund des Kyrosſohnes mit Lügen umgehen!‘ Wir Beide ſind ſo hoch geboren, daß Du nur gegen mich, Du aber allein gegen Dich ſelbſt zu zeugen vermagſt.“ Kambyſes ſah nach dieſen Worten weniger zornig auf ſeinen Bruder; dieſer aber fuhr fort: „So beſchwöre ich denn hiermit beim Mithra und allen reinen Geiſtern meine Unſchuld. Wenn ich ſeit meiner Heimkehr auf den hän- genden Gärten geweſen bin, wenn mein Mund Dich jetzo belügt, dann ſoll mein Leben vergehen und mein Geſchlecht ausſterben!“ Bartja hatte dieſen Eid mit ſo ſicherer, überzeugender Stimme geleiſtet, daß Kambyſes befahl, die Ketten des-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/166>, abgerufen am 20.04.2024.