Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten dieselben,
da sie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen,
ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke,
ob ich das Recht habe, einen Sohn des Kyros zu ver-
haften und Krösus denselben anruft, verschwinden die
Beiden plötzlich hinter einem Cypressenbaume. Wir folg-
ten ihnen und suchten lange, aber vergeblich, nach den in
räthselhafter Weise Entkommenen.

"Nur Bartja wird im Stande sein, uns die seltsame
Art seines Verschwindens zu erklären. Die Aegypterin
lag, als ich gleich darauf das Haus untersuchte, ohn-
mächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer."

Alle Anwesenden horchten in ängstlicher Spannung;
Kambyses aber knirschte mit den Zähnen und fragte mit
erregter Stimme: "Kannst Du die Worte des Eunuchen
bezeugen, Hystaspes?"

"Ja!"

"Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?"

"Wir sind Krieger, aber keine Häscher."

"Oder besser: jener Bube ist euch lieber, als euer
König."

"Wir ehren Dich; und verabscheuen den Verbrecher
Bartja, wie wir den schuldlosen Sohn des Kyros liebten."

"Habt ihr Bartja genau erkannt?"

"Ja."

"Auch Du, Krösus, verneinest nicht meine Frage?"

"Nein. Jch glaube Deinen Bruder im Mondscheine
so deutlich, als er dort vor mir steht, gesehen zu haben;
doch mein' ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehn-
lichkeit getäuscht haben muß."

Boges erblaßte bei diesen Worten; Kambyses aber
schüttelte mißbilligend sein Haupt und sagte: "Wem dürfte

verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten dieſelben,
da ſie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen,
ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke,
ob ich das Recht habe, einen Sohn des Kyros zu ver-
haften und Kröſus denſelben anruft, verſchwinden die
Beiden plötzlich hinter einem Cypreſſenbaume. Wir folg-
ten ihnen und ſuchten lange, aber vergeblich, nach den in
räthſelhafter Weiſe Entkommenen.

„Nur Bartja wird im Stande ſein, uns die ſeltſame
Art ſeines Verſchwindens zu erklären. Die Aegypterin
lag, als ich gleich darauf das Haus unterſuchte, ohn-
mächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer.“

Alle Anweſenden horchten in ängſtlicher Spannung;
Kambyſes aber knirſchte mit den Zähnen und fragte mit
erregter Stimme: „Kannſt Du die Worte des Eunuchen
bezeugen, Hyſtaspes?“

„Ja!“

„Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?“

„Wir ſind Krieger, aber keine Häſcher.“

„Oder beſſer: jener Bube iſt euch lieber, als euer
König.“

„Wir ehren Dich; und verabſcheuen den Verbrecher
Bartja, wie wir den ſchuldloſen Sohn des Kyros liebten.“

„Habt ihr Bartja genau erkannt?“

„Ja.“

„Auch Du, Kröſus, verneineſt nicht meine Frage?“

„Nein. Jch glaube Deinen Bruder im Mondſcheine
ſo deutlich, als er dort vor mir ſteht, geſehen zu haben;
doch mein’ ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehn-
lichkeit getäuſcht haben muß.“

Boges erblaßte bei dieſen Worten; Kambyſes aber
ſchüttelte mißbilligend ſein Haupt und ſagte: „Wem dürfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="162"/>
verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten die&#x017F;elben,<lb/>
da &#x017F;ie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen,<lb/>
ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke,<lb/>
ob ich das Recht habe, einen Sohn des Kyros zu ver-<lb/>
haften und Krö&#x017F;us den&#x017F;elben anruft, ver&#x017F;chwinden die<lb/>
Beiden plötzlich hinter einem Cypre&#x017F;&#x017F;enbaume. Wir folg-<lb/>
ten ihnen und &#x017F;uchten lange, aber vergeblich, nach den in<lb/>
räth&#x017F;elhafter Wei&#x017F;e Entkommenen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur Bartja wird im Stande &#x017F;ein, uns die &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Art &#x017F;eines Ver&#x017F;chwindens zu erklären. Die Aegypterin<lb/>
lag, als ich gleich darauf das Haus unter&#x017F;uchte, ohn-<lb/>
mächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Alle Anwe&#x017F;enden horchten in äng&#x017F;tlicher Spannung;<lb/>
Kamby&#x017F;es aber knir&#x017F;chte mit den Zähnen und fragte mit<lb/>
erregter Stimme: &#x201E;Kann&#x017F;t Du die Worte des Eunuchen<lb/>
bezeugen, Hy&#x017F;taspes?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir &#x017F;ind Krieger, aber keine Hä&#x017F;cher.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oder be&#x017F;&#x017F;er: jener Bube i&#x017F;t euch lieber, als euer<lb/>
König.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir ehren Dich; und verab&#x017F;cheuen den Verbrecher<lb/>
Bartja, wie wir den &#x017F;chuldlo&#x017F;en Sohn des Kyros liebten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Habt ihr Bartja genau erkannt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auch Du, Krö&#x017F;us, verneine&#x017F;t nicht meine Frage?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein. Jch glaube Deinen Bruder im Mond&#x017F;cheine<lb/>
&#x017F;o deutlich, als er dort vor mir &#x017F;teht, ge&#x017F;ehen zu haben;<lb/>
doch mein&#x2019; ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehn-<lb/>
lichkeit getäu&#x017F;cht haben muß.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Boges erblaßte bei die&#x017F;en Worten; Kamby&#x017F;es aber<lb/>
&#x017F;chüttelte mißbilligend &#x017F;ein Haupt und &#x017F;agte: &#x201E;Wem dürfte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0164] verbarg uns den Fliehenden; wir aber konnten dieſelben, da ſie kaum vier Schritte weit von uns vorüber gingen, ganz deutlich erkennen. Während ich mich noch bedenke, ob ich das Recht habe, einen Sohn des Kyros zu ver- haften und Kröſus denſelben anruft, verſchwinden die Beiden plötzlich hinter einem Cypreſſenbaume. Wir folg- ten ihnen und ſuchten lange, aber vergeblich, nach den in räthſelhafter Weiſe Entkommenen. „Nur Bartja wird im Stande ſein, uns die ſeltſame Art ſeines Verſchwindens zu erklären. Die Aegypterin lag, als ich gleich darauf das Haus unterſuchte, ohn- mächtig auf dem Divan in ihrem Schlafzimmer.“ Alle Anweſenden horchten in ängſtlicher Spannung; Kambyſes aber knirſchte mit den Zähnen und fragte mit erregter Stimme: „Kannſt Du die Worte des Eunuchen bezeugen, Hyſtaspes?“ „Ja!“ „Warum legtet ihr nicht Hand an den Frevler?“ „Wir ſind Krieger, aber keine Häſcher.“ „Oder beſſer: jener Bube iſt euch lieber, als euer König.“ „Wir ehren Dich; und verabſcheuen den Verbrecher Bartja, wie wir den ſchuldloſen Sohn des Kyros liebten.“ „Habt ihr Bartja genau erkannt?“ „Ja.“ „Auch Du, Kröſus, verneineſt nicht meine Frage?“ „Nein. Jch glaube Deinen Bruder im Mondſcheine ſo deutlich, als er dort vor mir ſteht, geſehen zu haben; doch mein’ ich, daß uns irgend eine wunderbare Aehn- lichkeit getäuſcht haben muß.“ Boges erblaßte bei dieſen Worten; Kambyſes aber ſchüttelte mißbilligend ſein Haupt und ſagte: „Wem dürfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/164
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/164>, abgerufen am 28.03.2024.