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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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"Schweig," unterbrach der König den Eunuchen, "und
halte Dich bei der Sache."

"Als der Tistarstern gerade aufging, langte ich auf
den Gärten an und verweilte einige Zeit lang mit diesen
edlen Achämeniden, dem Oberpriester und dem Könige
Krösus bei der blauen Lilie, denn dieselbe war in der
That von zauberhafter Schönheit. Dann rief ich meinen
Genossen Kandaulos und fragte denselben in Gegenwart
dieser edlen Zeugen, ob Alles in Ordnung sei. Er be-
jahte dieß und fügte hinzu, er komme eben von Nitetis,
welche den ganzen Tag geweint, und weder Trank noch
Speise zu sich genommen habe. Jch, besorgt für das
Wohlsein meiner hohen Gebieterin, trage Kandaulos auf,
einen Arzt zu holen, und will mich eben, um mich selbst
von dem Befinden der Herrin zu überzeugen, von den
edlen Achämeniden trennen, als ich im Mondschein eine
männliche Gestalt erkenne. Jch war so krank und schwach,
daß ich kaum stehen konnte, und hatte keine männliche
Hülfe, außer dem Gärtner, bei mir.

"Meine Untergebnen hielten, ziemlich weit von uns,
an den Eingängen Wache.

"Jch klatschte in die Hände, um einige derselben her-
bei zu rufen und näherte mich, als dieselben nicht kamen,
von diesen Edlen beschützt, dem Hause. Die männliche
Gestalt stand vor den Fenstern der Aegypterin und stieß,
als sie uns nahen hörte, einen leisen Pfiff aus. Also-
gleich erschien, im hellen Mondlichte genau erkennbar,
eine zweite Gestalt, welche aus dem Fenster des Schlafzim-
mers der Aegypterin in den Garten sprang und mit ihrem
Begleiter uns entgegen kam.

"Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in dem Ein-
dringlinge den edlen Bartja erkannte. Ein Feigengebüsch

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. II. 11

„Schweig,“ unterbrach der König den Eunuchen, „und
halte Dich bei der Sache.“

„Als der Tiſtarſtern gerade aufging, langte ich auf
den Gärten an und verweilte einige Zeit lang mit dieſen
edlen Achämeniden, dem Oberprieſter und dem Könige
Kröſus bei der blauen Lilie, denn dieſelbe war in der
That von zauberhafter Schönheit. Dann rief ich meinen
Genoſſen Kandaulos und fragte denſelben in Gegenwart
dieſer edlen Zeugen, ob Alles in Ordnung ſei. Er be-
jahte dieß und fügte hinzu, er komme eben von Nitetis,
welche den ganzen Tag geweint, und weder Trank noch
Speiſe zu ſich genommen habe. Jch, beſorgt für das
Wohlſein meiner hohen Gebieterin, trage Kandaulos auf,
einen Arzt zu holen, und will mich eben, um mich ſelbſt
von dem Befinden der Herrin zu überzeugen, von den
edlen Achämeniden trennen, als ich im Mondſchein eine
männliche Geſtalt erkenne. Jch war ſo krank und ſchwach,
daß ich kaum ſtehen konnte, und hatte keine männliche
Hülfe, außer dem Gärtner, bei mir.

„Meine Untergebnen hielten, ziemlich weit von uns,
an den Eingängen Wache.

„Jch klatſchte in die Hände, um einige derſelben her-
bei zu rufen und näherte mich, als dieſelben nicht kamen,
von dieſen Edlen beſchützt, dem Hauſe. Die männliche
Geſtalt ſtand vor den Fenſtern der Aegypterin und ſtieß,
als ſie uns nahen hörte, einen leiſen Pfiff aus. Alſo-
gleich erſchien, im hellen Mondlichte genau erkennbar,
eine zweite Geſtalt, welche aus dem Fenſter des Schlafzim-
mers der Aegypterin in den Garten ſprang und mit ihrem
Begleiter uns entgegen kam.

„Wer beſchreibt mein Erſtaunen, als ich in dem Ein-
dringlinge den edlen Bartja erkannte. Ein Feigengebüſch

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 11
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[161/0163] „Schweig,“ unterbrach der König den Eunuchen, „und halte Dich bei der Sache.“ „Als der Tiſtarſtern gerade aufging, langte ich auf den Gärten an und verweilte einige Zeit lang mit dieſen edlen Achämeniden, dem Oberprieſter und dem Könige Kröſus bei der blauen Lilie, denn dieſelbe war in der That von zauberhafter Schönheit. Dann rief ich meinen Genoſſen Kandaulos und fragte denſelben in Gegenwart dieſer edlen Zeugen, ob Alles in Ordnung ſei. Er be- jahte dieß und fügte hinzu, er komme eben von Nitetis, welche den ganzen Tag geweint, und weder Trank noch Speiſe zu ſich genommen habe. Jch, beſorgt für das Wohlſein meiner hohen Gebieterin, trage Kandaulos auf, einen Arzt zu holen, und will mich eben, um mich ſelbſt von dem Befinden der Herrin zu überzeugen, von den edlen Achämeniden trennen, als ich im Mondſchein eine männliche Geſtalt erkenne. Jch war ſo krank und ſchwach, daß ich kaum ſtehen konnte, und hatte keine männliche Hülfe, außer dem Gärtner, bei mir. „Meine Untergebnen hielten, ziemlich weit von uns, an den Eingängen Wache. „Jch klatſchte in die Hände, um einige derſelben her- bei zu rufen und näherte mich, als dieſelben nicht kamen, von dieſen Edlen beſchützt, dem Hauſe. Die männliche Geſtalt ſtand vor den Fenſtern der Aegypterin und ſtieß, als ſie uns nahen hörte, einen leiſen Pfiff aus. Alſo- gleich erſchien, im hellen Mondlichte genau erkennbar, eine zweite Geſtalt, welche aus dem Fenſter des Schlafzim- mers der Aegypterin in den Garten ſprang und mit ihrem Begleiter uns entgegen kam. „Wer beſchreibt mein Erſtaunen, als ich in dem Ein- dringlinge den edlen Bartja erkannte. Ein Feigengebüſch Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. II. 11

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/163>, abgerufen am 20.04.2024.