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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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drohten sich in jedem Augenblicke zu theilen und die von
ihnen eingeschlossenen Frauen preiszugeben dem unvermeid-
lichen Sturz in den Abgrund, welcher tief, schwarz, un-
ergründlich, ein Sitz der finsteren Diws, bereit schien, die
schönen Opfer in seinem Rachen zu zermalmen.

"Jch stand, mich an den Stamm der Cypresse klam-
mernd, vor dem zerberstenden, schwebenden Wagen. Da
traf mich zum Erstenmale der flehende Blick Deiner Schwe-
ster. Seit jenem Augenblicke liebte ich Atossa; aber da-
mals wußte ich noch nicht, was in meinem Herzen vor-
ging, denn ich konnte an nichts, als an die Rettung der
Deinen denken. Jn wilder Hast hob ich die zitternden
Weiber aus dem Wagen, der eine Minute später in tau-
send Stücke zersplitterte und krachend in den Abgrund her-
niederstürzte. Jch bin ein starker Mann, aber ich be-
durfte des Aufwandes aller Kräfte, um mich selbst und
die beiden Frauen so lange über dem Abgrunde zu erhal-
ten, bis man Seile zu mir hernieder geworfen hatte. --
Atossa hing an meinem Halse, Kassandane ruhte, von
meiner Linken gehalten, an meiner Brust. Mit der Rech-
ten schlang ich den Strick um meinen Leib, man zog uns
empor, und wenige Minuten später befand ich mich mit den
geretteten Deinen auf der sicheren Landstraße.

"Nachdem ein Magier die Wunden, welche das scharf
angezogene Seil in meine Seite geschnitten, verbunden
hatte, ließ mich der König rufen, beschenkte mich mit die-
ser Halskette, den Einkünften einer ganzen Satrapie und
führte mich selbst zu den Frauen, welche mir in warmen
Worten ihren Dank aussprachen. Kassandane gestattete
mir, ihre Stirn zu küssen und ließ mir den ganzen
welchen sie während jenes Augenblickes der Ge-
agen hatte, für meine künftige Gattin überreichen.

drohten ſich in jedem Augenblicke zu theilen und die von
ihnen eingeſchloſſenen Frauen preiszugeben dem unvermeid-
lichen Sturz in den Abgrund, welcher tief, ſchwarz, un-
ergründlich, ein Sitz der finſteren Diws, bereit ſchien, die
ſchönen Opfer in ſeinem Rachen zu zermalmen.

„Jch ſtand, mich an den Stamm der Cypreſſe klam-
mernd, vor dem zerberſtenden, ſchwebenden Wagen. Da
traf mich zum Erſtenmale der flehende Blick Deiner Schwe-
ſter. Seit jenem Augenblicke liebte ich Atoſſa; aber da-
mals wußte ich noch nicht, was in meinem Herzen vor-
ging, denn ich konnte an nichts, als an die Rettung der
Deinen denken. Jn wilder Haſt hob ich die zitternden
Weiber aus dem Wagen, der eine Minute ſpäter in tau-
ſend Stücke zerſplitterte und krachend in den Abgrund her-
niederſtürzte. Jch bin ein ſtarker Mann, aber ich be-
durfte des Aufwandes aller Kräfte, um mich ſelbſt und
die beiden Frauen ſo lange über dem Abgrunde zu erhal-
ten, bis man Seile zu mir hernieder geworfen hatte. —
Atoſſa hing an meinem Halſe, Kaſſandane ruhte, von
meiner Linken gehalten, an meiner Bruſt. Mit der Rech-
ten ſchlang ich den Strick um meinen Leib, man zog uns
empor, und wenige Minuten ſpäter befand ich mich mit den
geretteten Deinen auf der ſicheren Landſtraße.

„Nachdem ein Magier die Wunden, welche das ſcharf
angezogene Seil in meine Seite geſchnitten, verbunden
hatte, ließ mich der König rufen, beſchenkte mich mit die-
ſer Halskette, den Einkünften einer ganzen Satrapie und
führte mich ſelbſt zu den Frauen, welche mir in warmen
Worten ihren Dank ausſprachen. Kaſſandane geſtattete
mir, ihre Stirn zu küſſen und ließ mir den ganzen
welchen ſie während jenes Augenblickes der Ge-
agen hatte, für meine künftige Gattin überreichen.

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[151/0153] drohten ſich in jedem Augenblicke zu theilen und die von ihnen eingeſchloſſenen Frauen preiszugeben dem unvermeid- lichen Sturz in den Abgrund, welcher tief, ſchwarz, un- ergründlich, ein Sitz der finſteren Diws, bereit ſchien, die ſchönen Opfer in ſeinem Rachen zu zermalmen. „Jch ſtand, mich an den Stamm der Cypreſſe klam- mernd, vor dem zerberſtenden, ſchwebenden Wagen. Da traf mich zum Erſtenmale der flehende Blick Deiner Schwe- ſter. Seit jenem Augenblicke liebte ich Atoſſa; aber da- mals wußte ich noch nicht, was in meinem Herzen vor- ging, denn ich konnte an nichts, als an die Rettung der Deinen denken. Jn wilder Haſt hob ich die zitternden Weiber aus dem Wagen, der eine Minute ſpäter in tau- ſend Stücke zerſplitterte und krachend in den Abgrund her- niederſtürzte. Jch bin ein ſtarker Mann, aber ich be- durfte des Aufwandes aller Kräfte, um mich ſelbſt und die beiden Frauen ſo lange über dem Abgrunde zu erhal- ten, bis man Seile zu mir hernieder geworfen hatte. — Atoſſa hing an meinem Halſe, Kaſſandane ruhte, von meiner Linken gehalten, an meiner Bruſt. Mit der Rech- ten ſchlang ich den Strick um meinen Leib, man zog uns empor, und wenige Minuten ſpäter befand ich mich mit den geretteten Deinen auf der ſicheren Landſtraße. „Nachdem ein Magier die Wunden, welche das ſcharf angezogene Seil in meine Seite geſchnitten, verbunden hatte, ließ mich der König rufen, beſchenkte mich mit die- ſer Halskette, den Einkünften einer ganzen Satrapie und führte mich ſelbſt zu den Frauen, welche mir in warmen Worten ihren Dank ausſprachen. Kaſſandane geſtattete mir, ihre Stirn zu küſſen und ließ mir den ganzen welchen ſie während jenes Augenblickes der Ge- agen hatte, für meine künftige Gattin überreichen.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/153>, abgerufen am 28.03.2024.