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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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an diesem Tage seine Landsleute beschenkte, und forderte
die Stabträger auf, diejenigen vor sein Angesicht treten
zu lassen, welche von diesem Feste der Gnade die Gewäh-
rung eines billigen Wunsches erhofften.

Keiner der Bittsteller ging unbefriedigt von dannen,
hatte doch ein Jeder am Tage vorher dem obersten Stab-
träger sein Gesuch vortragen und sich über die Zulässigkeit
desselben unterrichten lassen müssen.

Jn gleicher Weise wurden die Anliegen der Weiber,
ehe dieselben dem Könige vorgetragen werden durften, von
den Eunuchen geprüft.

Nach den Männern führte Boges die Schaar der
Frauen (nur Kassandane blieb sitzen) an dem Herrscher
vorüber.

Atossa eröffnete mit Nitetis den langen Zug. Phä-
dyme und eine andre Schöne folgten den Königstöchtern.
Letztere war auf's Glänzendste geschmückt und von Boges
der gestürzten Favoritin beigesellt worden, um die beinah
dürftige Einfachheit derselben noch schärfer hervortreten zu
lassen.

Jntaphernes und Otanes sahen, wie Boges vermu-
thet hatte, finsteren Blickes auf ihre Enkelin und Tochter,
welche so bleich und dürftig gekleidet an dieser Stätte des
Glanzes erschien.

Kambyses, der aus früheren Zeiten die verschwende-
rische Putzsucht der Phädyme kannte, musterte, als sie ihm
gegenüberstand, halb unwillig, halb erstaunt den schlichten
Anzug und die bleichen Züge der Achämenidin. Seine
Stirn verfinsterte sich und grollend herrschte er dem vor
ihm niedersinkenden Weibe zu: "Was soll diese Bettel-
tracht an meiner Tafel und meinem Ehrenfeste? Kennst
Du nicht mehr die Sitte unsres Volkes, vor seinem Herr-

an dieſem Tage ſeine Landsleute beſchenkte, und forderte
die Stabträger auf, diejenigen vor ſein Angeſicht treten
zu laſſen, welche von dieſem Feſte der Gnade die Gewäh-
rung eines billigen Wunſches erhofften.

Keiner der Bittſteller ging unbefriedigt von dannen,
hatte doch ein Jeder am Tage vorher dem oberſten Stab-
träger ſein Geſuch vortragen und ſich über die Zuläſſigkeit
deſſelben unterrichten laſſen müſſen.

Jn gleicher Weiſe wurden die Anliegen der Weiber,
ehe dieſelben dem Könige vorgetragen werden durften, von
den Eunuchen geprüft.

Nach den Männern führte Boges die Schaar der
Frauen (nur Kaſſandane blieb ſitzen) an dem Herrſcher
vorüber.

Atoſſa eröffnete mit Nitetis den langen Zug. Phä-
dyme und eine andre Schöne folgten den Königstöchtern.
Letztere war auf’s Glänzendſte geſchmückt und von Boges
der geſtürzten Favoritin beigeſellt worden, um die beinah
dürftige Einfachheit derſelben noch ſchärfer hervortreten zu
laſſen.

Jntaphernes und Otanes ſahen, wie Boges vermu-
thet hatte, finſteren Blickes auf ihre Enkelin und Tochter,
welche ſo bleich und dürftig gekleidet an dieſer Stätte des
Glanzes erſchien.

Kambyſes, der aus früheren Zeiten die verſchwende-
riſche Putzſucht der Phädyme kannte, muſterte, als ſie ihm
gegenüberſtand, halb unwillig, halb erſtaunt den ſchlichten
Anzug und die bleichen Züge der Achämenidin. Seine
Stirn verfinſterte ſich und grollend herrſchte er dem vor
ihm niederſinkenden Weibe zu: „Was ſoll dieſe Bettel-
tracht an meiner Tafel und meinem Ehrenfeſte? Kennſt
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[119/0121] an dieſem Tage ſeine Landsleute beſchenkte, und forderte die Stabträger auf, diejenigen vor ſein Angeſicht treten zu laſſen, welche von dieſem Feſte der Gnade die Gewäh- rung eines billigen Wunſches erhofften. Keiner der Bittſteller ging unbefriedigt von dannen, hatte doch ein Jeder am Tage vorher dem oberſten Stab- träger ſein Geſuch vortragen und ſich über die Zuläſſigkeit deſſelben unterrichten laſſen müſſen. Jn gleicher Weiſe wurden die Anliegen der Weiber, ehe dieſelben dem Könige vorgetragen werden durften, von den Eunuchen geprüft. Nach den Männern führte Boges die Schaar der Frauen (nur Kaſſandane blieb ſitzen) an dem Herrſcher vorüber. Atoſſa eröffnete mit Nitetis den langen Zug. Phä- dyme und eine andre Schöne folgten den Königstöchtern. Letztere war auf’s Glänzendſte geſchmückt und von Boges der geſtürzten Favoritin beigeſellt worden, um die beinah dürftige Einfachheit derſelben noch ſchärfer hervortreten zu laſſen. Jntaphernes und Otanes ſahen, wie Boges vermu- thet hatte, finſteren Blickes auf ihre Enkelin und Tochter, welche ſo bleich und dürftig gekleidet an dieſer Stätte des Glanzes erſchien. Kambyſes, der aus früheren Zeiten die verſchwende- riſche Putzſucht der Phädyme kannte, muſterte, als ſie ihm gegenüberſtand, halb unwillig, halb erſtaunt den ſchlichten Anzug und die bleichen Züge der Achämenidin. Seine Stirn verfinſterte ſich und grollend herrſchte er dem vor ihm niederſinkenden Weibe zu: „Was ſoll dieſe Bettel- tracht an meiner Tafel und meinem Ehrenfeſte? Kennſt Du nicht mehr die Sitte unſres Volkes, vor ſeinem Herr-

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/121>, abgerufen am 29.03.2024.