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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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hältnismässig keine grössere Streuung der Zahlen als bei
Silbenreihen, auf deren Erlernen eine annähernd gleich lange
Zeit verwendet worden war. Dort scheinen die vorhin an-
gedeuteten zahllosen störenden Einflüsse sich doch bald zu
einem gewissen mittleren Effekt zu kompensieren; während
hier die Prädisposition für verschiedene Buchstaben- und Sil-
benkombinationen, durch den Einfluss der Muttersprache, eine
sehr ungleichartige sein muss.

Unzweifelhafter sind die Vorzüge unseres Materials in
zwei anderen Hinsichten. Einmal erlaubt es eine unerschöpf-
liche Fülle neuer Kombinationen von ganz gleichartigem Cha-
rakter, während verschiedene Gedichte, verschiedene Prosa-
stücke immer etwas Unvergleichbares haben. Sodann gestattet
es eine sichere und bequeme quantitative Variierung; wogegen
ein Abbrechen vor dem Ende, ein Anfangen in der Mitte
einer Strophe oder eines Satzes durch die verschiedenartigen
Störungen des Sinnes, die es mit sich bringt, auch wieder zu
neuen Komplikationen führt.

Zahlenreihen, die ich ebenfalls versuchte, schienen mir
für grössere Untersuchungen sich zu schnell zu erschöpfen
wegen der geringeren Anzahl ihrer Grundelemente.

§ 13.
Herstellung möglichst konstanter Versuchsumstände.

Für das Auswendiglernen waren folgende Bestimmungen
getroffen:

1. Die einzelnen Reihen wurden immer vollständig von
Anfang bis zu Ende durchgelesen; sie wurden nicht in ein-
zelnen Teilen gelernt, die dann zusammengeschweisst worden
wären; auch wurden nicht einzelne, besonders schwierige
Stellen herausgegriffen und häufiger memoriert. Mit dem

Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 3

hältnismäſsig keine gröſsere Streuung der Zahlen als bei
Silbenreihen, auf deren Erlernen eine annähernd gleich lange
Zeit verwendet worden war. Dort scheinen die vorhin an-
gedeuteten zahllosen störenden Einflüsse sich doch bald zu
einem gewissen mittleren Effekt zu kompensieren; während
hier die Prädisposition für verschiedene Buchstaben- und Sil-
benkombinationen, durch den Einfluſs der Muttersprache, eine
sehr ungleichartige sein muſs.

Unzweifelhafter sind die Vorzüge unseres Materials in
zwei anderen Hinsichten. Einmal erlaubt es eine unerschöpf-
liche Fülle neuer Kombinationen von ganz gleichartigem Cha-
rakter, während verschiedene Gedichte, verschiedene Prosa-
stücke immer etwas Unvergleichbares haben. Sodann gestattet
es eine sichere und bequeme quantitative Variierung; wogegen
ein Abbrechen vor dem Ende, ein Anfangen in der Mitte
einer Strophe oder eines Satzes durch die verschiedenartigen
Störungen des Sinnes, die es mit sich bringt, auch wieder zu
neuen Komplikationen führt.

Zahlenreihen, die ich ebenfalls versuchte, schienen mir
für gröſsere Untersuchungen sich zu schnell zu erschöpfen
wegen der geringeren Anzahl ihrer Grundelemente.

§ 13.
Herstellung möglichst konstanter Versuchsumstände.

Für das Auswendiglernen waren folgende Bestimmungen
getroffen:

1. Die einzelnen Reihen wurden immer vollständig von
Anfang bis zu Ende durchgelesen; sie wurden nicht in ein-
zelnen Teilen gelernt, die dann zusammengeschweiſst worden
wären; auch wurden nicht einzelne, besonders schwierige
Stellen herausgegriffen und häufiger memoriert. Mit dem

Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 3
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[33/0049] hältnismäſsig keine gröſsere Streuung der Zahlen als bei Silbenreihen, auf deren Erlernen eine annähernd gleich lange Zeit verwendet worden war. Dort scheinen die vorhin an- gedeuteten zahllosen störenden Einflüsse sich doch bald zu einem gewissen mittleren Effekt zu kompensieren; während hier die Prädisposition für verschiedene Buchstaben- und Sil- benkombinationen, durch den Einfluſs der Muttersprache, eine sehr ungleichartige sein muſs. Unzweifelhafter sind die Vorzüge unseres Materials in zwei anderen Hinsichten. Einmal erlaubt es eine unerschöpf- liche Fülle neuer Kombinationen von ganz gleichartigem Cha- rakter, während verschiedene Gedichte, verschiedene Prosa- stücke immer etwas Unvergleichbares haben. Sodann gestattet es eine sichere und bequeme quantitative Variierung; wogegen ein Abbrechen vor dem Ende, ein Anfangen in der Mitte einer Strophe oder eines Satzes durch die verschiedenartigen Störungen des Sinnes, die es mit sich bringt, auch wieder zu neuen Komplikationen führt. Zahlenreihen, die ich ebenfalls versuchte, schienen mir für gröſsere Untersuchungen sich zu schnell zu erschöpfen wegen der geringeren Anzahl ihrer Grundelemente. § 13. Herstellung möglichst konstanter Versuchsumstände. Für das Auswendiglernen waren folgende Bestimmungen getroffen: 1. Die einzelnen Reihen wurden immer vollständig von Anfang bis zu Ende durchgelesen; sie wurden nicht in ein- zelnen Teilen gelernt, die dann zusammengeschweiſst worden wären; auch wurden nicht einzelne, besonders schwierige Stellen herausgegriffen und häufiger memoriert. Mit dem Ebbinghaus, Über das Gedächtnis. 3

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/49>, abgerufen am 28.03.2024.