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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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Man wird sich daher dieses Gesetzes, wenn nicht als
eines unbedingt sicheren, so doch als eines mit grosser Wahr-
scheinlichkeit orientierenden Kriteriums bedienen können, um
zu erkennen, ob die annähernd konstanten Mittelwerte, die
man durch irgend ein Verfahren erhält, als wahre naturwissen-
schaftliche Konstanten versuchsweise weiter verwertet werden
dürfen oder nicht. Dasselbe giebt nicht die hinreichenden, aber
eine der notwendigen Bedingungen für diese Verwertbarkeit,
und die endliche Aufklärung muss man von dem Fortgange
eben der Untersuchungen erwarten, denen es eine gewisse
Sicherheit der Unterlage geben hilft. Den von ihm gebotenen
Massstab habe ich daher auch zur Beantwortung unserer im-
mer noch schwebenden Frage angelegt: ist die durchschnitt-
liche Anzahl von Wiederholungen, die erforderlich sind, um
unter möglichst gleichen Umständen gleichartige
Reihen bis zur "erstmöglichen" Reproduktion zu lernen, eine
konstante Durchschnittszahl im naturwissenschaftlichen Sinne?
Und wie ich gleich vorwegnehmend bemerke, ist die Antwort
hierauf in den untersuchten Fällen bejahend ausgefallen.

§ 9.
Resume.

Gegen die Übertragung der sogenannten naturwissen-
schaftlichen Methode auf die Untersuchung psychischer Vor-
gänge erheben sich zwei, wie es scheint, fundamentale Schwierig-
keiten: 1) der stete Fluss und die Unbotmässigkeit des
psychischen Geschehens erlauben nicht die Herstellung kon-
stanter Versuchsbedingungen; 2) die psychischen Vorgänge
bieten keine direkte Handhabe für eine Messung oder Zählung.

Für das specielle Gebiet des Gedächtnislebens (Lernen,
Behalten, Reproducieren) lässt sich die zweite Schwierigkeit

Man wird sich daher dieses Gesetzes, wenn nicht als
eines unbedingt sicheren, so doch als eines mit groſser Wahr-
scheinlichkeit orientierenden Kriteriums bedienen können, um
zu erkennen, ob die annähernd konstanten Mittelwerte, die
man durch irgend ein Verfahren erhält, als wahre naturwissen-
schaftliche Konstanten versuchsweise weiter verwertet werden
dürfen oder nicht. Dasselbe giebt nicht die hinreichenden, aber
eine der notwendigen Bedingungen für diese Verwertbarkeit,
und die endliche Aufklärung muſs man von dem Fortgange
eben der Untersuchungen erwarten, denen es eine gewisse
Sicherheit der Unterlage geben hilft. Den von ihm gebotenen
Maſsstab habe ich daher auch zur Beantwortung unserer im-
mer noch schwebenden Frage angelegt: ist die durchschnitt-
liche Anzahl von Wiederholungen, die erforderlich sind, um
unter möglichst gleichen Umständen gleichartige
Reihen bis zur „erstmöglichen“ Reproduktion zu lernen, eine
konstante Durchschnittszahl im naturwissenschaftlichen Sinne?
Und wie ich gleich vorwegnehmend bemerke, ist die Antwort
hierauf in den untersuchten Fällen bejahend ausgefallen.

§ 9.
Résumé.

Gegen die Übertragung der sogenannten naturwissen-
schaftlichen Methode auf die Untersuchung psychischer Vor-
gänge erheben sich zwei, wie es scheint, fundamentale Schwierig-
keiten: 1) der stete Fluſs und die Unbotmäſsigkeit des
psychischen Geschehens erlauben nicht die Herstellung kon-
stanter Versuchsbedingungen; 2) die psychischen Vorgänge
bieten keine direkte Handhabe für eine Messung oder Zählung.

Für das specielle Gebiet des Gedächtnislebens (Lernen,
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[25/0041] Man wird sich daher dieses Gesetzes, wenn nicht als eines unbedingt sicheren, so doch als eines mit groſser Wahr- scheinlichkeit orientierenden Kriteriums bedienen können, um zu erkennen, ob die annähernd konstanten Mittelwerte, die man durch irgend ein Verfahren erhält, als wahre naturwissen- schaftliche Konstanten versuchsweise weiter verwertet werden dürfen oder nicht. Dasselbe giebt nicht die hinreichenden, aber eine der notwendigen Bedingungen für diese Verwertbarkeit, und die endliche Aufklärung muſs man von dem Fortgange eben der Untersuchungen erwarten, denen es eine gewisse Sicherheit der Unterlage geben hilft. Den von ihm gebotenen Maſsstab habe ich daher auch zur Beantwortung unserer im- mer noch schwebenden Frage angelegt: ist die durchschnitt- liche Anzahl von Wiederholungen, die erforderlich sind, um unter möglichst gleichen Umständen gleichartige Reihen bis zur „erstmöglichen“ Reproduktion zu lernen, eine konstante Durchschnittszahl im naturwissenschaftlichen Sinne? Und wie ich gleich vorwegnehmend bemerke, ist die Antwort hierauf in den untersuchten Fällen bejahend ausgefallen. § 9. Résumé. Gegen die Übertragung der sogenannten naturwissen- schaftlichen Methode auf die Untersuchung psychischer Vor- gänge erheben sich zwei, wie es scheint, fundamentale Schwierig- keiten: 1) der stete Fluſs und die Unbotmäſsigkeit des psychischen Geschehens erlauben nicht die Herstellung kon- stanter Versuchsbedingungen; 2) die psychischen Vorgänge bieten keine direkte Handhabe für eine Messung oder Zählung. Für das specielle Gebiet des Gedächtnislebens (Lernen, Behalten, Reproducieren) läſst sich die zweite Schwierigkeit

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/41>, abgerufen am 28.03.2024.